Die Siebziger in ihren Fünzigern

Fünfzig sind die neuen Dreißig. Darüber ist jeder Zweifel erhaben. Dass die Siebziger nun ihre Fünfziger feiern, macht eine ganze Designdekade noch mehr zum Objekt der Begierde. Mit ihren typischen Farben und Kombinationen daraus sowie mit ihren charakteristischen Formen und Rundungen melden sie sich zurück und rufen sowohl Begeisterung als auch Erinnerungen hervor. Zum Beispiel mit einem markanten Orange und einem immer schon die Gemüter spaltenden Braun. Es sind zwei Farbtöne, die man sich wohl niemals einzeln aussuchen, aber trotzdem niemals voneinander trennen würde. Aber auch die Grüntöne kommen wieder - als Wandfarbe, als Fliese, als Teppich oder als Stoffbezug. Sie alle sind auf legendäre Weise mit einem Wohnstil unzertrennlich verbunden, der ohne sie nichts wäre.

Doch nicht nur die Farben sind wieder zurück, sondern auch das bodennahe Sitzen, das ein gewisser Michel Ducaroy „erfand“. Mit seiner Kreation „Togo“ für das französische Unternehmen Ligne Roset, das er selbst als „Zahnpastatube“ bezeichnete, stieß er 1972 allerdings auf wenig Gegenliebe. Doch mit der Zeit etablierte sich die neue Art zu sitzen immer mehr und zeichnet heute Evergreens aus, die nach einem halben Jahrhundert zu begehrten Sammlerstücken und Einrichtungsklassikern zählen. Ikonisches Design scheint eben doch kein Ablaufdatum zu haben, auch, wenn es alles andere als „zeitlos“ ist.

In diesem Jahr scheinen besonders viele Hersteller auf den Charme der 1970er zu setzen, denn noch selten war die Farbpalette so unverwechselbar und eindeutig. Ja, natürlich gibt es Dauerbrenner wie die „Serie Up“ von B&B Italia, entworfen vom erst dieses Jahr verstorbenen Architekten und Designer Gaetano Pesce, der 1969 das Thema „Sich an Mamas Busen drücken“ recht anschaulich umsetzte. Seither gibt es immer wieder neue Dresscodes für die außergewöhnliche Kuschelecke. B&B Italia holte auch die 1972 von Mario Bellini entworfene und von Starfotograf Oliviero Toscani - typisch Siebziger - recht freizügig in Szene gesetzte Sitzmöbelfamilie „Le Bambole“ vor den Vorhang. Für das italienische Label Cassina, das sich schon mehrmals in den eigenen Archiven umgesehen hat, um vergessene Schätze erneut zutage zu fördern, hat Designer Antonio Citterio zur Feder gegriffen und das modulare Sofa „Esosoft“ und den passenden Couchtisch entworfen. Mit diesem Entwurf geht er sogar noch eine Dekade weiter zurück in die Sechziger Jahre, heute allerdings ganz anders in Sachen Produktionstechnik und viel mehr Nachhaltigkeit. Viel Siebziger, teilweise aber auch viel Sechziger stecken in den Lizenz-Produktionen von Verpan, zumindest, was so manche Farbe und Form betrifft. Teppich „Wave“ beispielsweise aus dem Jahr 1973 stammt von Verner Panton, einem Virtuosen auf der Design-Klaviatur jener Epoche.

Neben der Optik kommt auch die Haptik nicht zu kurz: Gefühlte Erinnerungen an die schillernden Zeiten bescheren etwa das mit Cord-Stoff bezogene Sofa „Jalis“ von Cor, ein von orientalischen, gefalteten Sitzkissen inspiriertes Design von Jehs + Laub, oder die Serie „Livid“ aus einer Kollektion mit glänzenden Fischgrät-Tonfliesen, irgendwo zwischen Blau, Grün und Grau angesiedelt. Sie und sieben weitere Varianten wurden gemeinsam vom englischen Farben- und Tapetenhersteller Little Greene und der Fliesenmanufaktur Bert & May entwickelt. Apropos Wand: Wenn es darum geht, diese stilgerecht zu gestalten, bleiben abgesehen von Farben und Fliesen noch die Möglichkeit einer Tapete mit überdimensionalen Fotomotiven wie „Madame“ von Wallpepper, oder auch ein schmucker, wandmontierter Heizkörper wie „Re-Color“ von Antrax, der eindeutig noch einmal tief in den Farbtopf der Siebziger Jahre greift.