Bodenverbrauch
Mythen und Fakten zur Bodenversiegelung
„Man hat den Eindruck, dass die Diskussion auf Basis von anekdotischer Evidenz geführt wird anstatt anhand empirischer Daten.“ Andreas Kreutzer ist eigentlich nicht zum Lachen zumute. Bei der Diskussion, auf die sich der Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Kreutzer Fischer & Partner bezieht, geht es um das Thema „Bodenverbrauch“ oder „Bodenversiegelung“. Eine Aussage, die im Zuge dieser Debatte so häufig fällt wie Abseitstore in einem Fußballmatch: „Österreich ist Europameister bei der Bodenversiegelung“. Mit der „Realität hat das wenig zu tun“, mein Kreutzer, der sich durchaus darüber wundert: „Die Zahlen und Fakten wären verfügbar.“
Die Bundesinnung Bau in der Wirtschaftskammer Österreich hat Kreutzer und sein Team vor einigen Monaten beauftrag, diese Fakten in Form einer Studie aufzubereiten. Dabei hat der Marktforscher vorliegende Daten des Bundesamts für Eich- und Vermessungstechnik (BEV) und des Umweltbundesamtes (UBA) ausgewertet. Bundesinnungsmeister Bau Robert Jägersberger: „Uns war es wichtig, mit der Vermischung von Zahlen, Begriffen und Behauptungen aufzuräumen und die Fakten auf den Tisch zu legen – so wie sie sind.“
Die Studie liegt nun vor. Ihre Ergebnisse sind eindeutig. Befund Nummer eins: 3,5 Prozent der Staatsfläche ist in Österreich versiegelt. Befund Nummer zwei: Damit ist Österreich weiter von einem Spitzenplatz im europaweiten Ranking entfernt als die heimische Fußballnationalmannschaft voraussichtlich bei der kommenden EM. Wenn man den europäischen Durchschnitt als Indexwert 100 heranzieht, kommt Österreich auf einen Wert von 82. Ganz vorne befinden sich die Niederlande mit 307 und Belgien mit 306. Deutschland liegt mit 191 an dritter Stelle. In anderen Worten: Bei unseren deutschen Nachbarn ist der Anteil der versiegelten Fläche an der gesamten Staatsfläche fast doppelt so hoch wie bei uns, in den Niederlanden und Belgien ist sie sogar mehr als dreimal so hoch.
Verbraucht ist nicht versiegelt
Um beim Match um die Deutungshoheit in der Debatte nicht den Überblick zu verlieren, macht es Sinn, einige Begriffe zu klären. Die Diskutanten verwenden die Begriffe „Bodenverbrauch“, „Flächenverbrauch“ oder „Flächeninanspruchnahme“. Alle drei bedeuten dasselbe: Sie bezeichnen die Nutzung von Land für Zwecke außerhalb der Land- und Forstwirtschaft – sei es für Wohngebäude inklusive Gärten, betriebliche Flächen, Verkehrswege, Freizeitanlagen wie Parks oder Golfplätze, Abbauflächen wie Halden oder Deponien oder für Friedhöfe. Laut der vorliegenden Studie von Kreutzer Fischer & Partner fallen knapp 7 Prozent der heimischen Staatsfläche in diese Kategorie.
„Verbraucht“ bedeutet aber noch lange nicht „versiegelt“. Von „versiegelt“ sprechen die Experten dann, wenn eine wasserundurchlässige Schicht den Boden bedeckt – also, wenn sie bebaut, asphaltiert oder betoniert ist. Das trifft in Österreich auf rund die Hälfte der verbrauchten Fläche zu. So kommt man auf die bereits erwähnten 3,5 Prozent versiegelter Staatsfläche. Doch die Definitionen, die von der offiziellen Statistik verwendet werden, führen oft zu ungenauen Schlussfolgerungen: So wird zum Beispiel eine Parklandschaft oder ein Einfamilienhaus mit einem großen Garten zur Gänze als „verbraucht“ bewertet, obwohl in den meisten Fällen nur ein kleinerer Teil tatsächlich bebaut ist. Demgegenüber gilt ein Weingarten oder eine Ackerfläche überhaupt nicht als „verbraucht“. Bundesinnungsmeister Jägersberger: „Hier stellt sich die Frage, was ökologisch kritischer zu betrachten ist – der Garten eines Einfamilienhauses oder ein mit Pestiziden belasteter Weingarten beziehungsweise Monokultur-Flächen.“
Von Befürwortern einer restriktiven Handhabung des Bodenverbrauchs wird gerne die Metapher vom Fußballfeld verwendet. In Österreich werden täglich im Schnitt 11,4 Hektar Boden verbraucht. Dies, so die bildhafte Argumentation, entspreche einer Fläche von 16 Fußballfeldern. Die Rechnung ist durchaus korrekt. Es fehlt aber ein wichtiger Bezugspunkt: Man müsse fairerweise auch anführen, „dass die Landesfläche Österreichs rund 11,8 Millionen Fußballfeldern entspricht“, meint Studienautor Kreutzer. So klingen 16 weitaus weniger spektakulär. Der jährlich Bodenverbrauch betrug Kreutzers Rechnung nach in den Jahre 2018 bis 2022 durchschnittlich 0,05 Prozent der Landesfläche. „Es benötigt somit 20 Jahre, um den Anteil der Flächeninanspruchnahme an der Landesfläche und 40 Jahre, um den Versiegelungsgrad um nur einen Prozentpunkt zu erhöhen“, heißt es in der Studie. „Setzt man die Landesfläche mit einem Fußballplatz gleich, entspricht die beanspruchte Fläche gerade mal etwas mehr als die Hälfe eines Torraums. Versiegelt ist zirka ein Drittel davon.“
Als Argument für eine drastische Beschränkung des Bodenverbrauchs wird häufig der Selbstversorgungsgrad bei Feldfrüchten ins Spiel gebracht. Der Vorwurf: Durch den hohen Bodenverbrauch könne die österreichische Landwirtschaft die Bevölkerung bald nicht mehr versorgen. Auch diese Behauptung haben die Marktforscher in ihrer Studie untersucht. Das Ergebnis: Zwar sei zwischen 2012 und 2022 die Ackerfläche um 2,5 Prozent gesunken, obwohl die Bevölkerung um 7,4 Prozent gestiegen sei. Aber: „Gleichzeitig erhöhte sich der Hektarertrag bei Feldfrüchten um 15,4 Prozent, womit der Selbstversorgungsgrad aktuell höher ist als vor zwanzig Jahren.“
Ungeachtet dieser Daten sieht das Regierungsprogramm vor, im Rahmen einer Bodenstrategie den Bodenverbrauch bis zum Jahr 2030 substantiell zu reduzieren. Als Ziel wird ein jährlicher bundesweiter Flächenverbrauch von neun Quadratkilometern angepeilt. Heruntergebrochen auf einen Tag sind das 2,5 Hektar gegenüber 11,4 Hektar, die derzeit verbraucht werden. „Das entspricht einer Reduktion von 78 Prozent“, sagt Kreutzer und ergänzt: „Die 2,5 Hektar pro Tag sind eine vollkommen willkürliche Zahl. Es gibt keine Studie, die diesen Wert nahelegt.“
In seiner Studie hat der Marktforscher untersucht, wie sich diese Reduktion auf die einzelnen Sektoren auswirken würde: Da alle Prognosen von einem weiteren Bevölkerungswachstum ausgehen, wird man nur schwer beim mehrgeschossigen Wohnbau sparen können. Die Leittragende dieser Beschränkung wäre vor allem die Wirtschaft – vor allem natürlich die Bauwirtschaft. Laut Studie würde der jährliche Bauproduktionswert um 28 Prozent oder 14,4 Milliarden Euro gegenüber dem Jahresmittelwert im Zeitraum 2018 bis 2022 sinken. Knapp 73.000 Arbeitsplätze am Bau wären in Gefahr. Die gute Nachrichte für die Baubranche: Länder und Gemeinden sind entschieden gegen die 2,5-Hektar-Beschränkung. Sie wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kommen.