Brennpunkt
"Wir bleiben positiv"
Im Februar 2023 erreichte die Inflation in Österreich mit elf Prozent das höchste Niveau seit 70 Jahren. Gleichzeitig prognostizieren die Wirtschaftsforscher*innen quasi ein Nullwachstum der Wirtschaft. Diese Stagflation bedeutet, dass die Investitionsbereitschaft auf allen Ebenen zurückgeht, im Baugewerbe hört man schon von Auftragsstornierungen. Aber wie stellt sich die Situation bei den Tischler*innen dar? "Wir hören zum Teil, dass die Anfragen weniger werden, das muss sich aber nicht ursächlich auf die Auftragslage auswirken", sagt Bundesinnungsmeister Gerhard Spitzbart, der sich zuversichtlich zeigt, dass seine Branche schon wie in den Jahren davor "mit einem blauen Auge davonkommt". So sei aktuell eher die Zulieferindustrie betroffen, die Grundstimmung im Handwerk sei nach wie vor gut. Und – die anhaltenden Inflation könne auch einen Effekt in die entgegengesetzte Richtung nehmen: Droht das Geld weniger wert zu werden, investieren viele in bleibende Werte, dazu gehören auch Möbel von heimischen Tischlereien. Natürlich käme es sehr auf den Kund*innenkreis an, räumt Spitzbart ein: "Bei öffentlichen (Groß)Aufträgen kann es durchaus zu Verschiebungen kommen. Komplette Absagen werden aber sehr selten sein." Schwer vorhersehbar seien die Entwicklung der Energiepreise und die Belastung der Betriebe, auch weil die Beantragung von Unterstützungen wie dem Energiekostenzuschuss im gewerblichen Sektor sehr kompliziert sei und einen längeren Vorlauf bräuchte. Seine Stellvertreter bewerten die Lage ähnlich: "Ich höre bisher noch nichts von einer Stornowelle. Und ich sehe sogar Chancen, wenn sich die Auftragsspitzen etwas abflachen – das gibt dem überhitzten Arbeitsmarkt Zeit, sich zu konsolidieren", sagt Helmut Mitsch. Der niederösterreichische Landesinnungsmeister ist seit Juni 2022 "der Neue" im Bund. Auch Klaus Nenning berichtet von nach wie vor vollen Auftragsbüchern, aber: "Dass alles teurer wird, spüren auch unsere Mitarbeiter*innen, entsprechend mussten wir mit den Löhnen nachziehen."
Hohe Abschlüsse
Genau diese Lohngestaltung für die Tischler*innen und Holzgestalter*innen brachte man heuer früh und schnell am 16. Februar über die Bühne: Ab 1. Mai 2023 bekommen rund 25.000 Beschäftigte eine deutliche Lohnerhöhung von 9,9 Prozent. Die Verträge sind auf zwei Jahre abgeschlossen, alle Details sind in der neuen Lohnordnung geregelt. Bei den Angestellten im Gewerbe und Handwerk war es schon mit 1. Jänner 2023 soweit: Diese KV-Gehälter wurden um 7,5 bis 8 Prozent erhöht. Die rund 8.595 betroffenen Angestellten sind allerdings nach wie vor in der großen Gruppe der Gewerbe-Angestellten integriert. Um hier "wie bei den Arbeiter*innen nur für die Tischler*innen verhandeln zu können“, soll es bis 2024 einen eigenen KV geben. "Wir haben unsere Mitglieder bereits 2022 "vorgewarnt", dass es wohl zu Abschlüssen um die zehn Prozent kommen wird", so BIM Spitzbart. Und diese Schnellschätzungen haben sich "leider" bewahrheitet. Für die nächsten Verhandlungen 2025 gehe man nicht von einer solchen Erhöhung aus. Denn bis dahin sollte sich die Inflationsrate – die Basis für die Erhöhungen – auf ein viel niedrigeres Niveau einpendeln. Wichtig zu beachten sei die Parallelverschiebungs-Klausel, die auch verlängert wurde: Der Mindestlohn muss um die vereinbarten 9,9 Prozent angehoben werden, allerdings nicht der Ist-Lohn, sofern er über dem KV liegt.
Zehn Prozent mehr für Lehrlinge
Für Lehrlinge gibt es ein Plus von zehn Prozent und eine weitere Aufwertung: Auszubildende, die im Lehrverhältnis das 18. Lebensjahr vollenden, erhalten mit dem 18. Geburtstag das Einkommen des dritten Lehrjahres. "Wir liegen jetzt bei einem Grundgehalt von 800 Euro im ersten Lehrjahr, das ist ein weiteres gutes Argument für unseren Beruf. Und auch die Erhöhung für über 18-Jährige entspricht dem Zeitgeist – wollen wir doch auch Um- und Quereinsteiger*innen ansprechen", so Gerhard Spitzbart (siehe Info-Kasten).
Hilfreiche Normen
Die Schwerpunktthemen, die Helmut Mitsch als BIM-Stellvertreter übernommen hat sind zum Großteil jene, die der als "Technikfreak" bekannte Tischlermeister bereits seit Jahren im Innungsausschuss besetzt: Dazu zählt "alles, was mit Fenstern und Türen zu tun hat" sowie die Thematik Normung. Momentan arbeite man an der Fertigstellung einer neuen Werksvertragsnorm für Möbel, die es in dieser Form bisher nicht gibt. Die Fertigstellung ist für Herbst 2023 geplant. "Alles, was in einer Norm geregelt ist, muss man als Auftragnehmer*in nicht gesondert in die Verträge schreiben. Und das kann echte Erleichterungen bringen", ist Mitsch überzeugt. Denn für die Ausarbeitung umfangreicher AGBs müsse man ein enormes Detailwissen haben, zudem seien diese für die Endkund*innen kaum lesbar – und damit Probleme im Fall einer Beanstandung bzw. bei unterschiedlichen Auffassungen vorprogrammiert.
Gutes Klima
Wesentliche Punkte der neuen Norm betreffen die Zusammenarbeit mit den Vorgewerken wie Maurern, Elektrikern oder Installateuren: "Diese Berufe verfügen bereits zum Großteil über Normen, die für ihre Bedürfnisse optimiert sind. Wir schreiben nun auch fest, wie eine Baustelle aus unserer Sicht abgewickelt werden soll", erklärt Mitsch. So werden u.a. die klimatischen Bedingungen thematisiert: "Ist es auf einer Baustelle kalt und feucht, kann dieses Raumklima die Qualität hochwertiger Tischlermöbel empfindlich beeinträchtigen. Daher regeln wir in der Norm, welches Klima auf der Baustelle bereitgestellt werden muss, um die gleichbleibende Qualität zu garantieren. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass bei Nichtbeachtung keine Reklamationen im Schadensfall akzeptiert werden."
Positiver Schub
Im Rückblick sind zwei Ausbildungsthemen besonders erwähnenswert: Nach langem Arbeiten ist die neue Meisterprüfungsordnung nach den Vorgaben des Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) 6 österreichweit umgesetzt. Das heißt, dass die Meisterprüfungen österreichweit nach dem neuen Modus abgehalten werden. Beim Meisterstück hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt: Es werden sowohl Einzelarbeiten als auch Projektarbeiten akzeptiert. Extrem gut kam auch der neue Austragungsmodus des Bundeslehrlingswettbewerbes an, bei dem 2022 erstmals die zu fertigenden Stücke erst direkt am Wettbewerbstag bekanntgeben wurden. "Diese Neuerung wird sicher einen Schub für das Thema Wettbewerbe bringen", ist Helmut Mitsch überzeugt.
Für ein langes Fenster-Leben
Ein weiteres Projekt, das vor rund zwei Jahren ins Leben gerufen wurde ist jenes des Fenster-Upgrades. Der Hintergedanke: Das Upgrade eines Holzfensters bietet für Tischler*innen große Marktchancen, da dieses Segment von der Industrie nicht bedient werden kann. "Ende Mai werden die Ergebnisse allen unseren Mitgliedsbetrieben auf der BI-Webseite zur Verfügung stehen", sagt Helmut Mitsch, Mit-Initiator und Schnittstelle für alle Beteiligten. Gleichzeitig wird man mit den konkreten Zahlen in der Hand versuchen, diese Art der Fenstersanierung in die Wohnbauförderung aufzunehmen. Denn momentan wird nur ein Fenstertausch, nicht jedoch die Sanierung bzw. ein echtes Upgrade gefördert. "Wir haben es geahnt, jetzt haben wir es wissenschaftlich belegt: Die Verbesserungen, die man erreichen kann, sind gewaltig", ist Mitsch erfreut. So zeigten die Messwerte, die an über fünfzig Prüfständen gesammelt wurden, verschiedene Wirkungs-Stufen: Sehr viel lässt sich mit einem Dichtungstausch erreichen, weitere Maßnahmen sind der Tausch der Beschläge, des Glases und der Vorsatzschale. Im Ergebnisprotokoll werden die Werte je nach Maßnahme und Effekt, z. B. auf die Wärmedämmung und den Schallschutz, einzeln aufgeschlüsselt. "Die Fenster sind im Kontext Energiesparen ein Riesenthema. Und alles, was zu einem Nichtfenstertausch beiträgt, ist gut. Denn ein Upgrade durch den Tischler oder die Tischlerin spart Zeit und Geld, es ist nachhaltig und ressourcenschonend, es müssen keine Fassaden aufgerissen werden, auch wird das Aussehen des Gebäudes – Stichwort Ensembleschutz – erhalten", fasst Mitsch zusammen.
Softwarebefragung
Der Dritte im Bund(e), der Vorarlberger LIM Klaus Nenning, ist aktuell mit der Auswertung einer bundesweiten Digitalisierungsumfrage beschäftigt. In deren Rahmen wurden die Mitglieder in Stichproben u.a. dazu befragt, welche Software-Systeme und sozialen Medien sie nützen und wo sie Verbesserungsbedarf sehen. "Im Prinzip ist es eine Erhebung des Ist-Zustandes mit dem Ziel, die Felder "aufzudecken", in denen wir als Innung Unterstützung leisten können." Ein Ergebnis zeichnet sich bereits ab: Die Kritik an einer fehlenden Durchgängigkeit und die Schnittstellenproblematik bei betrieblicher Planungs- und Steuerungssoftware (ERP/Enterprise-Resource-Planning-Systeme): "Viele Anbieter*innen kochen ihr eigenes Süppchen. Das ist nicht gerade förderlich, um Systeme miteinander zu verbinden. Es wird zwar schwierig sein, hier schnelle Änderungen herbeizuführen. Aber wir sehen in der praxisnahen Aufarbeitung und Einbindung beider Seiten durchaus Potenzial", ist Nenning zuversichtlich. "Ebenso möchten wir darüber informieren, in welcher Form z. B. der Einsatz von Robotik auch in kleineren Betrieben Sinn macht", erläutert der BIM-Stv. weiter, der sich ein auf die Branche zugeschnittenes Informationsangebot gut vorstellen kann.
Junges Interesse fördern
Zum Abschluss erwähnt Klaus Nenning ein Vorarlberger Projekt, das auch für ganz Österreich Modell stehen könnte: "Die Themen Nachwuchs- und Facharbeitergewinnung sind ein ungebrochen aktueller Dauerbrenner. Daher möchten wir einen Leitfaden entwickeln, wie man das Interesse der Jungen für unseren Beruf noch stärker wecken kann. Konkret gehen wir die Stärkung der Schnupperlehre, die Etablierung eines Lehrlingsbotschafters oder einer -Botschafterin und die Überarbeitung des Ausbildungskonzeptes an. Klares Ziel ist die Steigerung der Lehrlingszahlen, als Zeithorizont für eine spürbare Wirkung haben wir uns drei bis fünf Jahre gesetzt."
NEU: Duale Akademie
Zum Thema Quereinsteiger*innen passt das Ausrollen eines neuen Ausbildungsmodells: Die duale Akademie startet im Herbst auf jeden Fall in OÖ; Salzburg, Kärnten und Vorarlberg sind auch dabei, die anderen Länder werden folgen. In Wien gibt es die „Duak“ bereits seit 2021. Das Modell richtet sich speziell an AHS-Maturant*innen, die sich statt eines Studiums für ein Handwerk entscheiden. Angesiedelt zwischen Lehrabschluss und Meisterprüfung auf NQR Niveau 5, baut das Format auf der verkürzten Lehre nach der Matura auf und bietet zudem den Erwerb von "Zukunftskompetenzen". Dazu zählen u.a. der europäische Computerführerschein (ECDL), Kundenberatung und fachbezogenes Englisch sowie ein zweiwöchiges Auslandspraktikum. Nach der LAP wird ein Anerkennungsjahr als arbeitende Gesellin bzw. Geselle absolviert. "Aktuell sind wir auf der Suche nach Ausbildungsbetrieben für diesen neuen Weg, der vor allem für den Beruf Tischlereitechnik Sinn macht", sagt BIM Spitzbart. Wichtig sei die Werbung für dieses attraktive Modell, von dem beide Seiten profitieren: Betriebe bekommen motivierte Mitarbeiter*innen mit Vorbildung und es gibt einen Zuschuss vom Arbeitsmarktservice. Die Auszubildenden etablieren sich in einem zukunftsträchtigen Beruf, erhalten Zusatzqualifikationen und einen höheren Lohn. Weitere Informationen bei den Landesinnungen und online hier.