Interview
"Es entstehen Kosten in alle Richtungen"
Allen Widrigkeiten zum Trotz war 2021 für die Baubranche ein gutes Jahr. Aber auch eines, das viel Kraft erforderte. Corona, Materialengpässe, Preissteigerungen – all das sorgt nach wie vor für Kopfzerbrechen, auch wenn die Auftragsbücher gefüllt sind. Robert Jägersberger, Bundesinnungsmeister Bau, spricht im Interview mit der Bauzeitung über die wirtschaftlichen Folgen von Corona, wie man dem Fachkräftemangel entgegenwirken will und die Zukunft des Baugewerbes.
2021 hat der Baubranche einen regelrechten Auftragsboom beschert, war aber in vielerlei Hinsicht auch sehr herausfordernd. Wie nehmen Sie derzeit die Stimmung bei Ihren Mitgliedsunternehmen wahr?
Robert Jägersberger: Die Stimmung ist angesichts der Konjunktur und der Auslastung der Betriebe gut. Unsere Betriebe haben ein herausforderndes Jahr gemeistert. Zusätzlich zu Corona waren Bauunternehmungen mit weiteren Problemen konfrontiert: Der massive und in dieser Form unvorhersehbare Preisanstieg bei Baumaterialien hat zu der paradoxen Situation geführt, dass Baufirmen trotz voller Auftragsbücher finanzielle Einbußen hinnehmen mussten. Durch Lieferengpässe bei wichtigen Materialien und den nach wie vor großen Facharbeitermangel gerieten die Baufirmen auch bei den Fertigstellungsterminen unter Druck.
Ist man dennoch gut durch die Krisen gekommen, oder überwiegen die Einbußen?
Jägersberger: Mit dem Auftragsvolumen können wir zufrieden sein. Allerdings gerieten Baufirmen durch den besagten Preisanstieg bei Baumaterialien in eine Kostenfalle. Man muss bedenken, dass gerade bei den für die KMU-Betriebe aus dem Baugewerbe relevanten kleineren Bauprojekten in der Regel Festpreisverträge abgeschlossen werden. Hier sind viele Baufirmen mit erheblichen finanziellen Einbußen konfrontiert. Ergänzend ist zu erwähnen, dass es je nach Vertragssituation bei nicht vorhersehbaren Kostenentwicklungen die Möglichkeit der Preisanpassung gibt. Erschwerend hinzu kamen die Lieferengpässe: Laut Wifo-Konjunkturbericht stieg der Anteil jener Bauunternehmen, deren Produktion durch Material- und Kapazitätsmangel gehemmt wurde, zwischen März und Mai 2021 von fünf Prozent auf 32 Prozent. Über den Sommer entschärfte sich die Lage etwas, im September stieg der Anteil aber erneut auf 30 Prozent. Zugleich beklagen die Bauunternehmen weiterhin einen eklatanten Arbeitskräftemangel, für 30 Prozent der Unternehmen war er laut Wifo zuletzt das primäre Produktionshindernis.
Eine zentrale Frage im vergangenen Jahr war ja, inwieweit die überraschenden Preisanstiege weitergegeben werden können. Wie waren in diesem Punkt die Erfahrungen mit Auftraggebern?
Jägersberger: Das ist natürlich individuell sehr unterschiedlich. Aber man kann schon sagen, dass das Entgegenkommen überschaubar war. Hier bedarf es klar einer neuen Gesprächskultur und eines gegenseitigen Verständnisses. Wobei man schon auch betonen muss, dass die Bauunternehmen – je nach Vertrag – auch ein Anrecht auf eine Erstattung der Mehrkosten haben. Das belegen mehrere Gutachten – u. a. von Prof. Andreas Kletecka –, welche die rechtlichen Konsequenzen für laufende Bauverträge geprüft haben. Für nächstes Jahr hoffe ich sehr, dass die Bauunternehmen entsprechend den neuen Voraussetzungen kalkulieren. Wir sind schließlich Kostenkalkulanten und richten uns nicht nach eventuell erzielbaren Marktpreisen aufgrund der hohen Nachfrage. Was 2022 in dieser Hinsicht bringt, wird sich erst zeigen – auch ob es durch Corona und den damit einhergehenden Lockdowns erneut zu Unterbrechungen der Lieferketten kommt. Was aber fix ist, ist dass sich auch die CO2-Bepreisung künftig auf die Kosten und damit auch auf die Baupreise auswirken wird. Die Kosten entstehen in alle Richtungen – angefangen bei Energie, Material, Transport usw. Entlastungen wie beispielsweise der Öko-Bonus sind nur auf Konsumenten ausgerichtet – die Unternehmen schauen durch die Finger.
Ich hoffe, dass sich die Materialpreise im kommenden Jahr einpendeln, wenngleich – wie ich fürchte – auf hohem Niveau, und die Baufirmen so zumindest wieder Planungssicherheit haben.
Das klingt nicht unbedingt sehr optimistisch für das kommende Jahr?
Jägersberger: Ich hoffe, dass sich die Materialpreise einpendeln, wenngleich – wie ich fürchte – auf hohem Niveau, und die Baufirmen so zumindest wieder Planungssicherheit haben. Bei der Baunachfrage rechnet der aktuelle Euroconstruct-Bericht in den nächsten Jahren mit einem Anstieg der Sanierungsrate im Wohnungsbau – bedingt durch die Klimaziele und die nationale CO2-Bepreisung –, wenngleich vorerst nur moderat. Die Bauinvestitionen im gesamten Nichtwohnbau werden 2021 voraussichtlich real um 8,0 Prozent wachsen und sich bis 2024 in Richtung zwei Prozent abflachen. Im Tiefbau werden laut Euroconstruct angesichts der Herausforderungen in den Bereichen Breitband und Umweltschutz die Sektoren Telekommunikation und Energie bis 2024 an Bedeutung gewinnen.
Sie gehen von einer Steigerung der Sanierungsrate aus. Laut einer Studie des IIBW müsste dafür auch die Bauproduktion um ein gutes Stück erhöht werden. Ist das in Zeiten von Bauboom und Facharbeitermangel überhaupt realisierbar?
Jägersberger: Seit ich in der Baubranche tätig bin – und wahrscheinlich auch schon davor –, stellt der Facharbeitermangel eine Herausforderung für die Bauwirtschaft dar. Hier müssen auch unabhängig von der Steigerung der Sanierungsrate Lösungen gefunden werden. Aber wenn beispielsweise die Investitionsprämie nicht mehr zu spüren ist, wird der derzeitige Bauboom auch wieder etwas abflachen. Dann gibt es auch mehr Kapazitäten für die Sanierung.
Sie haben es selbst gesagt – der Kampf gegen den Fachkräftemangel ist seit Jahrzehnten ein Langzeitprojekt – der Ruf nach neuen Ideen wird immer lauter. Welche Wege wollen Sie in der Bundesinnung Bau hier gehen?
Jägersberger: Die Bauverbände haben im Rahmen des Projekts Baulehre 2020 eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um die Baulehre zu attraktivieren und zukunftsfit zu machen: U. a. wurden die Bau-Lehrberufe und ihre Inhalte strategisch neu ausgerichtet. Die neuen Berufsbilder tragen dem zunehmenden Einsatz digitaler Geräte auf der Baustelle und neuer Arbeitstechniken Rechnung. Als weiteres sichtbares Zeichen der Attraktivierung der Baulehre stellen die Bauverbände den Baulehrlingen Tablets zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung zur Verfügung. Mit dem Projekt www.e-baulehre.at beschreiten wir seit Herbst 2019 neue Wege der digitalen Wissensvermittlung. Zudem sind wir mit unseren Lehrlingsexpert*innen u. a. in Schulen präsent, wir bieten Schnuppertage für Schüler an den Bauakademien an, veranstalten – hoffentlich bald wieder – Lehrlings-Castings. Und unsere neue Lehrlingskampagne wird auf Social-Media- und Internet-Kanälen ausgespielt. Dadurch können wir sowohl Schüler als auch Eltern noch direkter und genauer ansprechen. Das ist gerade angesichts von Corona und den zwangsläufig eingeschränkten physischen Kontaktmöglichkeiten eine wichtige Schiene der Kommunikation.
Spiegeln sich diese Maßnahmen auch in den Lehrlingszahlen wider – sprich wurde der Bauberuf dadurch attraktiver?
Jägersberger: Ich denke schon. Der aktuelle Trend zeigt nach oben. Verglichen mit letztem Jahr rechnen wir für heuer in Baugewerbe und Bauindustrie mit einem Zuwachs der Bau-Lehrlingszahlen von fast fünf Prozent. Aber diesen Maßnahmen wollen wir auch weiter die Zeit geben, um zu greifen.
Aber nur mit Lehrlingen wird man die Lücke nicht schließen können, oder?
Jägersberger: Nein, das nicht. Allein die Pensionsabgänge werden wir mit Lehrlingen nicht ersetzen können – so realistisch muss man sein. Der Fachkräftemangel beginnt bereits damit, dass zu wenige Jugendliche sich überhaupt für eine Lehre entscheiden. Deshalb wünsche ich mir von der Politik mehr Maßnahmen zur Aufwertung des Images der Lehre. Ein wichtiger Baustein wird aber auch sein, künftig verstärkt auf Teilqualifizierungen von Facharbeitern zu setzen. Hier soll es in Zukunft eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem AMS und unseren Bauakademien geben. Geplant sind modulare Ausbildungsmöglichkeiten – sowohl für bereits in Bauunternehmen Beschäftigte als auch für branchenfremde Arbeitssuchende. Das Konzept dazu wird gerade ausgearbeitet – 2023 wollen wir damit starten.
Die Baupreise steigen, der Facharbeitermangel scheint ein unlösbares Thema – industrielle Vorfertigung und Digitalisierung werden zu einem immer zentraleren Puzzlestück, wenn es um Effizienz und Produktivität am Bau geht. Wo sehen Sie in den nächsten zehn
Jägersberger: Unsere Branche wird in Zukunft noch mehr auf Qualität und Ausbildung setzen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch im Hinblick auf Effizienz und Produktivität werden wir im Hochlohnland Österreich gefordert sein, da sind die Möglichkeiten der Digitalisierung hilfreich. Diese haben wir durch die Studie der TU Wien "Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen" bereits aufgezeigt. Aber dafür braucht es auch Hilfe seitens der Politik, nämlich Maßnahmen in der Verwaltung und in der öffentlichen Administration – Stichwort digitale Projekteinreichung, Baugenehmigungen und Entbürokratisierung. Ich mache mir aber um das Baugewerbe keine Sorgen. Wir haben uns bis jetzt immer neuen Gegebenheiten, Herausforderungen und neuen Technologien angepasst. Schließlich wohnen wir auch nicht mehr in Höhlen. Und wenn jetzt Häuser aus dem 3D-Drucker kommen oder mehr vorgefertigt wird, wird man trotzdem noch Facharbeiter benötigen.
Sind die Betriebe für die kommenden Herausforderungen gerüstet, oder gibt es hier noch Nachholbedarf?
Jägersberger: Wir als Interessenvertretung versuchen, so gut es geht, unsere Mitgliedsbetriebe auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten. Besondere Hoffnungen setze ich auf die vor kurzem gegründete Zukunftsagentur Bau (ZAB), in welcher das Kompetenzzentrum Bauforschung integriert wurde und mit der wir als Bundesinnung Bau eng zusammenarbeiten. Wir sind z. B. gerade dabei, den Digitalisierungsgrad bei unseren Mitgliedsunternehmen zu erheben und daraus unsere Schwerpunkte abzuleiten. Des Weiteren werden aber auch wie schon zuvor beim Kompetenzzentrum Bauforschung Forschungsthemen wie z. B. im Bereich Ökologisierung und Co im Fokus stehen. Aber wir müssen auch realistisch sein: Gerade in den letzten zwei Jahren haben unsere Firmen angesichts der Herausforderungen vermutlich weniger freie Kapazitäten gehabt, um sich mit Zukunftsvisionen zu beschäftigen.