Interview
"Vom Infrastrukturbau allein können wir nicht leben"
Seit knapp sechs Monaten ist Johannes Wilhelm als neuer Bauinnungsmeister in Vorarlberg im Amt. Schon beim Start waren die Prognosen für das heurige Jahr nicht rosig – nun rutscht die Baubranche in eine Vollbremsung, die sich gewaschen hat. Wie man als Landesinnung Vorarlberg die Mitgliedsunternehmen unterstützen will und welchen Maßnahmen vonseiten der Politik notwendig wären, berichtet Johannes Wilhelm im Gespräch.
Sie sind in nicht gerade einfachen Zeiten als Landesinnungsmeister in Vorarlberg gestartet. Wie sind die ersten Monate für Sie verlaufen?
Johannes Wilhelm: Die ersten Monate waren aufgrund der Situation turbulent, das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf der Bewältigung der derzeitigen Herausforderungen für die Bauwirtschaft – und diese sind groß.
Warum tut man sich diese Aufgabe derzeit an?
Wilhelm: Ich fühle mich dem Einsatz für die Branche verpflichtet. Nur gemeinsam können die Anforderungen der Zukunft gemeistert werden.
Wenn diese Situation unverändert bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dies auch zur Freistellung von Personal führt.
Sprechen wir gleich über die aktuellen Herausforderungen. Der Wohnbau schwächelt bundesweit und sorgt für Kopfzerbrechen. Wie geht es derzeit dem Vorarlberger Baugewerbe?
Wilhelm: Der Wohnbau hat österreichweit Schlagseite – das ist auch nicht schönzureden. Im Gegenteil: Es ist dramatisch! Bei uns in Vorarlberg ist dieser Bereich sicherlich um über 70 Prozent eingebrochen. Das ist nochmal ein gutes Stück mehr, als wir Ende 2022 auf Basis unserer Blitzumfrage prognostiziert haben. Ich merke es selber auch bei uns im Unternehmen – es wurden zum Beispiel drei Projekte aufgrund der fehlenden Nachfrage gestoppt. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den gesamten Baubereich – wie massiv diese Auswirkungen werden, wird sich für die Betriebe je nach Größe und Tätigkeitsfeld unterschiedlich darstellen. Wenn der Betrieb breit aufgestellt ist, kann man das operative Personal vielleicht noch gut umschichten. Reine Bauträger allerdings werden sich schwer tun. Wenn diese Situation unverändert bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dies auch zur Freistellung von Personal führt.
Wie groß ist die Sorge im zweiten Halbjahr vor einer weiter einbrechenden Baukonjunktur?
Wilhelm: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, da die Antwort ebenfalls von der Betriebsstruktur – gemäß der Größe, Handlungsfelder etc. – abhängt. Soweit ich mitbekomme, stehen im Gewerbe- und Infrastrukturbau die Zeichen noch nicht auf Sturm, aber mittelfristige Aussagen sind derzeit kaum möglich. Derzeit sind im Infrastrukturbau von der öffentlichen Hand noch einige Ausschreibungen vorhanden und auch größere von der Asfinag, die bei uns auch sehr wichtig sind. Jedoch alleine vom Infrastrukturbau können unsere Mitgliedsbetriebe auch nicht leben.
Aber gerade im Infrastrukturbereich ist die Bauindustrie traditionell auch sehr stark. Wird es zu Kannibalisierungen kommen?
Wilhelm: Das kommt sicher noch. Wenn größere Ausschreibungen oder interessante Bauabschnitte dabei sind, wird die Bauindustrie sicher auch mitmischen. Dadurch wird der Wettbewerb verschärft.
Ist die aktuelle Situation mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar?
Wilhelm: Die Finanzkrise 2008/09 war mit Sicherheit schlimm. In der momentanen Situation fallen aber mehrere Faktoren zusammen wie die Inflation, die KIM-Verordnung, die gesamten Teuerungen in den Bereichen Material, Lohn, Energiekosten und so weiter. Das war 2008 alles nicht vorhanden. Da gab es zwar eine Finanzkrise, aber drumherum blieb es relativ ruhig. Dadurch ist es eigentlich nur schwer vergleichbar und die aktuelle Situation ungleich dramatischer.
Mit welchen Maßnahmen und Aktivitäten können Sie die Mitgliedsbetriebe in der aktuellen Krise unterstützen?
Wilhelm: Das ist derzeit natürlich schwierig. Wir hatten vor einigen Tagen einen Termin mit Landeshauptmann Markus Wallner und Landesrat Marco Tittler, bei dem es um Lösungsvorschläge ging, wie man Eigenheime für die Bevölkerung wieder leistbar machen kann. Die Wohnbauförderung (WBF) könnte hier vor allem jungen Menschen mit günstigem Startkapital tatkräftig unter die Arme greifen. Allerdings ermöglichen es die in der WBF-Richtlinie formulierten Vorgaben der Branche nicht, Wohnungen mit Wohnbauförderung anzubieten. Aufgrund der gestiegenen Grundstücks- und Herstellungskosten sowie der Materialteuerungen bringen wir rund 90 Prozent der Einheiten nicht in die Wohnbauförderung. Seitens des Landes wären weitere Nachbesserungen erforderlich, denn derzeit gehen die Anforderungen an der Marktrealität vorbei. Die Antragszahlen sinken – auch bei gemeinnützigen Bauträgern – seit Jahren, was schade ist, denn somit entfacht ein zentrales Steuerungselement des Landes zum Thema Wohnen kaum Wirkung.
In Dauerkritik steht derzeit auch die Kreditvergabe-Verordnung.
Wilhelm: Die KIM-Verordnung erschwert die Vergabe von Wohnbaukrediten dermaßen, dass es für den Großteil der Bevölkerung unmöglich ist, erforderliche Finanzierungen zu erhalten. Durch die österreichweite restriktive Umsetzung ist – im Vergleich zu anderen EU-Staaten wie zum Beispiel Deutschland – ein großer Wettbewerbsnachteil spürbar. Mittlerweile hört man aus den verschiedensten Bundesländern und auch bei uns in Vorarlberg, dass Banken aus dem benachbarten Ausland über die Grenze finanzieren. Hier muss der Druck in Richtung Wien erhöht werden, damit diese zur Unzeit verabschiedete Verordnung endlich fällt.
Hat das Gespräch mit Landeshauptmann Wallner auch konkrete Ergebnisse oder zumindest Umsetzungsideen gebracht?
Wilhelm: Sagen wir so: Bemüht sind sie sicher. Die Politik ist ja auch gezwungen, etwas zu unternehmen. Schlussendlich geht es dabei auch um Wählerstimmen – aber das sollte natürlich nicht der Hauptgrund sein. Die Erhöhung der WBF-Obergrenze im vergangenen Jahr hat leider nichts gebracht. Aktuell gibt es die Idee, mit Banken zu sprechen, damit diese Wohnbauförderungen als Eigenkapital mitanrechnen. Dann hätte man vielleicht bei der Finanzierung anfangs einen Vorteil. Viele werden allerdings dennoch an der hohen Kreditrate mit den dazugehörigen Vorschriften scheitern. Einen einfachen Lösungsweg gibt es leider noch nicht.
Ebenfalls immer wieder seit Jahren in der Kritik steht die Rohstoff- und Deponiestrategie des Landes Vorarlberg. Ist hier in letzter Zeit eine Verbesserung eingetreten?
Wilhelm: Leider im Gegenteil! 2018 hat die Landesregierung gemeinsam mit der WK Vorarlberg eine Rohstoffversorgungs- bzw. drei Jahre später eine Deponiestudie gemacht. Im Zuge dessen wurde vonseiten der Politik klar kommuniziert, dass bestehende Anlagen bzw. Erweiterungen bevorzugt werden. Mittlerweile gibt es aber viele Unternehmen, die eigene Gründe mit Rohstoffvorkommen hätten, und es werden ihnen dennoch administrative Prügel vor die Beine gelegt. Uns geht es selber so. Wir betreiben seit über 50 Jahren ein Kieswerk in Brederis und suchen sicher schon seit über zehn Jahren um die Genehmigung einer Erweiterung an. Leider benötigt es von Seiten der Behörde immer wieder neue Untersuchungen und Gutachten – das alles kostet sehr viel Zeit und auch Geld. Hier vermissen wir ganz klar die Kooperationsbereitschaft der Behörde.
Woran liegt das?
Wilhelm: Das Problem ist, dass Nassbaggerungen im Rheintal nicht erwünscht sind – oder nur in Ausnahmefällen. Aber wir haben in Vorarlberg nicht viele andere Möglichkeiten, Rundkorn zu gewinnen, das wir wiederum für die Betonproduktion benötigen. Ich befürchte aber, dass sich in absehbarer Zeit bei diesem Thema nichts ändern wird. Wir importieren Material, das es bei uns gäbe, und exportieren Aushub, da uns die Deponien fehlen. Strategisches Vorgehen kann hier nur bedingt erkannt werden
Strategisches Vorgehen wird aktuell in vielen Bundesländern auch bei der digitalen Baueinreichung vermisst. Wie ist hier der Stand der Dinge in Vorarlberg?
Wilhelm: In Tirol wurde neben Wien die digitale Baueinreichung implementiert – hier werden wir uns auch für eine Lösung für Vorarlberg einsetzen, denn derzeit sind wir noch meilenweit davon entfernt. Gerade erst neulich habe ich wieder fünf große Ordner und einen USB-Stick der Behörde übergeben. An der Wirtschaft liegt es nicht, dass sich hier nichts tut. Die Betriebe sind so weit, und es ließen sich die Behördengänge deutlich erleichtern. Leider muss hier wieder jede Bezirksbehörde ihr eigenes Süppchen kochen. Eine zentrale Anlaufstelle für das ganze Land wäre hilfreich – dann hätten wir auch alle den gleichen Wissensstand.
Gibt es noch weitere Themen, die Sie in den kommenden Monaten angehen werden?
Wilhelm: Neben den aktuellen Herausforderungen ist die Aus- und Weiterbildung ein Thema, das uns besonders am Herzen liegt. Es besteht die Überlegung, am Bauakademie-Standort Hohenems ein neues Ausbildungszentrum entstehen zu lassen. Ideen könnten sein, enger mit der Berufsschule oder auch den Baunebengewerben zusammenzuarbeiten. Wir denken Aus- und Weiterbildung hier im großen Stil, jedoch ist es derzeit noch zu früh, um konkrete Eckpunkte zu benennen. Eine Steuerungsgruppe wurde installiert, es gilt, viele Aspekte und Stakeholder zu berücksichtigen, denn hier bietet sich eine echte Chance, in Vorarlberg neue Wege zu beschreiten.