„Ein gewaltiges Potenzial, das wir derzeit nicht nutzen“
Tristan Tallafuss, der neue Geschäftsführer des Österreichischen Baustoff-Recycling Verbands (BRV), im Interview mit der Bauzeitung – er spricht darüber, welche Herausforderungen das Deponieverbot für Gipsplatten bringt, und welche gewaltigen Möglichkeiten wir beim Bodenaushub derzeit nicht nutzen

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Herr Tallafuss: Ich gratuliere zu Ihrer neuen Aufgabe. Wie geht es Ihnen mit ihr?
Tristan Tallafuss: Sehr gut, danke der Nachfrage. Ganz so groß ist die Umstellung ja nicht. Die Funktion ist neu, aber nach mehr als 20 Jahren Tätigkeit beim BRV bin ich mit der Materie recht gut vertraut.
Nicht mehr in den Bauschutt
Sie sprechen die vergangenen 20 Jahre an. Da hat sich beim Thema Kreislaufwirtschaft sehr viel getan. Was sind denn die größten Herausforderungen für die nächsten 20 Jahre?
Da würde ich gar nicht so weit in die Ferne schauen. Mit einer sehr großen Herausforderung befassen wir uns jetzt gerade. Mit 1. April gilt in Österreich eine Trennverpflichtung für Gipsabfälle. Das bedeutet: Gipsplatten dürfen nicht mehr in die Bauschuttmulde. Sie müssen nun sauber getrennt und anschließend in einer Recycling-Anlage wieder aufbereitet werden.
Wie hoch ist der Aufwand für die Bauunternehmen?
Der ist durchaus hoch. Das beginnt bei der Trennung. Der Gips muss sortenrein getrennt werden – und zwar nach Stoffgruppen: Gipsplatten, Gipsfaserplatten und Calciumsulfatestrichen. Anschließend ist er trocken zu lagern. Gipskarton, der nass wird, kann nur mehr sehr schwer recycelt werden. Und die trockene Lagerung stellt in der Praxis durchaus eine Herausforderung dar. Denn eine Mulde auf der Baustelle ist normalerweise offen. Man braucht also einen Unterstand. Und ganz zum Schluss kommt der nicht ganz unwichtige Punkt: Wie gelangt der Gips zur Recycling-Anlage? Das ist ein enormer logistischer Aufwand, mit dem die ausführenden Unternehmen hier konfrontiert sind.
Wie bekommen die Unternehmen die Lieferung zur Recycling-Anlage am besten in den Griff?
Es wird Partnerschaften geben – von Unternehmen, die das Material gemeinsam zwischenlagern und dann zur Anlage bringen. An diesen Kooperationen wird gearbeitet. Aber vor allem in Westösterreich ist das nicht so einfach.
Sie spielen darauf an, dass es bislang nur eine Gips-Recycling-Anlage in Österreich gibt – und zwar das Gips-zu-Gips-Werk in Stockerau, das gemeinsam von der Porr, Saint-Gobain und Saubermacher betrieben wird.
Ja, das ist sicher eine sehr gute Anlage. Aber es ist bislang die einzige. Und sie steht im Osten. Es stellt sich nun die Frage, wie das Material aus Westösterreich dorthin kommt. Auf Dauer benötigen wir in ganz Österreich sicher zwei bis drei Anlagen.
Erweitern wir den Blickwinkel – vom Gips hin zur gesamten Bauwirtschaft: Welche Bedeutung haben Sekundärrohstoffe, die durch Recycling gewonnen werden, für die Versorgung der Bauwirtschaft mit Rohstoffen?
Das lässt sich sehr gut in Zahlen ausdrücken: Pro Jahr werden in der österreichischen Bauwirtschaft rund 100 Millionen Tonnen an Gesteinsmaterial eingesetzt. Zugleich fallen jährlich etwa elf Millionen Tonnen an mineralischen Baurestmassen an. Davon werden an die 90 Prozent recycelt. Das ergibt fast zehn Prozent des Bedarfs, der durch Sekundärrohstoffe abgedeckt werden kann. Diese Quote kann man noch leicht erhöhen, indem man das Recycling optimiert. Aber eine vollständige Kreislaufwirtschaft ist nicht möglich. Die Grenze für die Quote liegt also irgendwo unterhalb von zehn Prozent.
Könnte man diese Quote nicht doch irgendwie erhöhen?
Ja, das ist möglich. Die Rohstoffindustrie – also vor allem die Betreiber von Kiesgruben und Steinbrüchen – ist sehr daran interessiert, dass ihre Vorkommen möglichst lange halten. Und es gibt tatsächlich ein gewaltiges Potenzial, das bislang noch nicht genutzt wird …
… Sie machen mich neugierig.
Ich spreche vom Bodenaushub. Das gesamte Abfallaufkommen in Österreich pro Jahr liegt bei fast 70 Millionen Tonnen. Davon entfallen 40 Millionen Tonnen auf Aushub. Das ist eine gewaltige Menge. Und dieses Material nutzen wir bislang nur sehr unzulänglich. Dabei könnte es in großem Umfang direkt auf den Baustellen verwendet werden, ohne dass eine Behandlung notwendig wäre – zum Beispiel bei der Befüllung von Künetten oder als Tragschichtmaterial. Aufbereitetes Material kann als Sekundärrohstoff zum Beispiel. für die Betonherstellung verwendet werden.
Das klingt ja großartig. Wo ist denn das Problem?
Das ist juristischer Natur. Wenn bei einer Baumaßnahme Material anfällt, dann wird das laut Abfallrecht als „Abfall“ eingestuft – egal um welches Material es sich handelt. Es kann eine wunderbare Qualität haben. Zum Beispiel Kies oder Muttererde. Das spielt aber keine Rolle: Laut Gesetz handelt es sich immer um Abfall. Und das hat gravierende Konsequenzen: Denn mit dieser Klassifizierung ist ein hoher Mehraufwand verbunden: Abfall muss dokumentiert werden. Es gibt umfangreiche Abfalldokumentationspflichten. Abfall muss gesammelt, gelagert und einem Behandler übergeben werden. Das kostet viel Zeit und Geld. Dazu kommt das Risiko: Wenn ich gegen das Abfallrecht verstoße, kann das verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen haben. Es ist daher kein Wunder, dass viele Bauherren mit Abfall nichts zu tun haben wollen.
Das kann ich mir vorstellen. Das Problem klingt allerdings nicht unlösbar. Man könnte das Gesetz ja ändern …
… genau. Und daran wird auch schon gearbeitet. Es gibt bereits den Entwurf einer neuen Abfallendeverordnung, der von der alten Regierung erarbeitet worden ist. Die neue Regierung hat sich bereits positiv geäußert. Diese Verordnung sieht vor, dass ein zertifizierter Prüfer das Aushubmaterial vor Ort begutachten kann. Erfüllt das Material die Kriterien, kann der Prüfer es als unbedenklich einstufen und die Klassifizierung als Abfall aufheben. Dann kann es direkt vor Ort auf der Baustelle oder beispielsweise in der Landwirtschaft eingesetzt werden.
Das klingt ja fast zu schön, um wahr zu sein.
Es wäre jedenfalls ein gutes Beispiel dafür, wie man mit geringem Aufwand die Bürokratie reduziert, die Planbarkeit erhöht und die Kreislaufwirtschaft fördert. Ich hoffe daher, dass diese Lösung rasch umgesetzt wird, und bin hier auch sehr zuversichtlich.
Wie hoch könnte der Anteil des Aushubs sein, der nicht mehr als Abfall eingestuft wird?
Das ist schwer zu sagen, da die Qualität des Materials derzeit nicht erfasst wird. Aber ich denke schon, dass es weit mehr als die Hälfte sein wird.