Interview

„Rabattschlachten trotz Boom sind fatal“

17.12.2020

Steckt die Haustechnikbranche mitten in einem Transformationsprozess? Antworten darauf gibt uns mit Martin Hagleitner einer der zentralen SHK-Meinungsbildner. Der CEO der Austria Email AG ist unter anderem auch Gründungsmitglied des Zukunftsforum SHL.

In Ihrer letzten Presseaussendung verweisen Sie auf einen erfreulichen Aufwärtstrend in der Heizungssanierung. Warum ist aber dann der „Raus aus dem Öl“-Fördertopf noch so voll? Mit Stand von Mitte Oktober wurde erst etwas mehr als ein Drittel des verfügbaren Budgets von 100 Millionen Euro abgeholt.

Martin Hagleitner: Der Lockdown im Frühjahr und die erst danach erfolgte definitive Freigabe der Bundesmittel haben das Jahr verkürzt. Neben „Raus aus Öl“ werden auch stark gefragte regionale und kommunale Förderungen abgerufen. Ein weiterer – allerdings erfreulicher – Grund liegt darin, dass eine steigende Anzahl von Endverbrauchern den eigenen wirtschaftlichen Vorteil und Beitrag zum Klimaschutz durch eine Heizungs- und Warmwassersanierung erkannt hat. Wachsende Ersparnisse der Haushalte in Verbindung mit fehlenden Veranlagungsalternativen machen eine Sanierung auch ohne umfassende Förderung lukrativ. Durch die Novelle des Umweltförderungsgesetzes sind die Mittel für den „Raus aus dem Öl“-Bonus überdies bis 2022 gesichert. Die Ausschöpfung der Förderungen spielt für die Neu-Verhandlungen ab 2023 eine wichtige Rolle. Daher sind wir hier als Branche zur weiteren Aktivierung der Endkunden aufgefordert!  

Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach von der Bundesregierung jetzt noch zu setzen, um die Sanierungsquote wirklich signifikant zu erhöhen?

Mit den im Rahmen des Konjunkturpaketes erfolgten Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft und den bis Anfang 2023 dotierten Fördermitteln ist eine gute Grundlage vor allem zur Heizungs- und Warmwassersanierung eigengenutzter Häuser geschaffen.  Zur Sicherstellung der langfristigen Nachhaltigkeit und Wirkung auch über den gesamten Gebäude-  und Anlagenbestand hinweg bedarf es noch flankierender Maßnahmen wie:

• Anpassungen des Wohn- und Mietrechtes   

• Steuerliche Anreize und verkürzte Abschreibungsdauern 

• Konsistente Qualität und transparente Standards in der Energieberatung 

• Bundesländerübergreifende Wärmestrategie 

• Keine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Fernwärme 

• Green Gas als Brückentechnologie   

• Entbürokratisierung und Entlastung der Betriebe, um Kapazitäten frei zu bekommen  

Das Zukunftsforum SHL hat gemeinsam mit anderen Verbänden der Wärmewirtschaft ein detailliertes 10-Punkte-Maßnahmenpaket erarbeitet und der Bundesregierung übergeben. 

Und was kann/soll/muss unsere Branche dazu beitragen?

Das ist der springende Punkt. Einige langjährige Forderungen der Branche wurden erfüllt, das öffentliche Interesse am Thema Heizungs- und Warmwassersanierung ist spürbar gestiegen und die Rahmenbedingungen – vor allem im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und anderen Branchen – sind trotz Jahrhundert-Rezession wahrlich gut.  Diese Chancen und Möglichkeiten sollten wir erstens als solche sehen und zweitens konsequent nutzen: Kunden informieren und zum Sanieren motivieren, in die eigenen Betriebe sowie in die Entwicklung und auch Aufnahme von Mitarbeiterinnen und Innovationen investieren. Und ganz praktisch und auch kurzfristig mit bestehenden Mittlen und Ressourcen möglich: Verlängern wir die Sanierungssaison. Auch wenn die Heizperiode schon eingesetzt hat, können wir Kunden nicht nur laufend zu den Möglichkeiten beraten und gewinnen, sondern sollten auch im Herbst und Winter sanieren.  

Was zählen Sie in der jungen Geschichte des Zukunftsforum SHL zu den bisher größten Erfolgen, und welche Bretter waren einstweilen noch zu dick zum Bohren?   

Entgegen der anfänglichen Skepsis und des Reflexsatzes „das hat doch schon in der Vergangenheit nie funktioniert“ ist uns dank des Engagements unserer Mitglieder und unserer Verbündeten in drei Jahren einiges gelungen. Das SHL Forum stellt eine beispiellose Allianz innerhalb der Dreistufigkeit und andererseits auch über den „Runden Tisch“ mit anderen wesentlichen Verbänden dar und hat sich so als führender Ansprechpartner gegenüber der Politik etabliert und den Branchenanliegen zu höherer Wahrnehmung verholfen. Exemplarisch hier einige Fakten:

  1. Kein Regierungsprogramm  oder Konjunkturpaket der Vergangenheit hat der Sanierung von Warmwasser und Heizung einen vergleichbaren Stellenwert eingeräumt.
  2. 400 Millionen stehen dafür bis Anfang 2023 zur Verfügung; während die thermische Sanierung mit 250 Millionen Euro dotiert ist. 
  3. Auch im Corona-Jahr konnten drei neue Mitglieder gewonnen werden. 

Die Mission ist noch nicht erfüllt; denn zur nachhaltigen Sicherung einer höheren Sanierungsrate bedarf es eines flankierenden Gesamtpaketes, wie wir es im 10-Punkte-Plan vorgeschlagen haben. Immer öfters werden wir seitens Regierung und auch etlicher Unternehmen mit der Herausforderung des Fachkräftemangels konfrontiert.   

Bekanntlich sind die Auftragsbücher der Installationsbetriebe randvoll. Entsprechend lautstark reklamieren Industrie und Handel fehlende Montagekapazitäten. Es könne mehr verkauft, als eingebaut werden. Dies dürfte sich künftig auch noch verschärfen. Wie kommen wir Ihrer Meinung nach raus aus diesem Dilemma?

Uns sollte eines bewusst sein, wir haben ein Luxusproblem im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und einzelnen Branchen, die sich im Existenzkampf befinden. Wir können es uns allerdings nicht leisten, Chancen ungenutzt zu lassen oder interessierte Endkunden zu ignorieren. Wir können auch nicht darauf warten, dass uns Ausbildungsstätten oder die Politik laufend Fachkräfte „produziert“. Eine Allzweckwaffe gibt es nicht – jedoch erfolgversprechende Ansätze, die je nach Unternehmen unterschiedliche Relevanz haben wie:

  • Geänderte Arbeitsteilung und Prozessverbesserungen in arbeitsteiligen und mehrstufigen Prozessketten zwischen den Beteiligten  
  • Verlängerung der zu kurzen Sanierungssaison
  • Attraktivierung von Jobs für Bewerber – Installateur als krisensicherer Job mit Perspektive    
  • Digitale und smarte Tools zur Reduktion von Aufwand und hausgemachter Bürokratie  
  • Erhöhung des Vorfertigungsgrades und Plug and Play-Lösungen 

Frauenthal bietet für einfache Arbeiten, wie etwa das „Aufmaß nehmen“ oder den Badmöbeleinbau bereits Montagetruppen an, um den überhitzten Auftragsmarkt zu entlasten. Hat dieses Modell aus Ihrer Sicht Beispielwirkung? Sind seitens der Industrie ähnliche Aktivitäten geplant?

Was immer dazu beiträgt, das wachsende Marktpotenzial abzuschöpfen und Ressourcenengpässe zu vermeiden, ist sinnvoll. In etablierten Partnerschaften ist sicherlich die Basis dafür da, offen über eine geänderte Arbeitsteilung oder Leistungserbringung zu sprechen. Generell ist die Corona-Krise kein „Game Changer“, aber ein Beschleuniger und Verstärker für Trends und Veränderungen, die bereits vor Corona einsetzten. Auch in der Industrie ist die Erhöhung der Kapazität und der Servicetiefe ein Thema. Geschäfts- und Vertriebsmodelle stehen am Prüfstand. Auf partnerschaftlichem Weg abzugrenzen, wer konzentriert sich worauf und zu klären, was ist die Leistung und der angemessene Wert dafür, sind dazu 

erforderlich.  

Ein Sanitäranbieter hat kürzlich den Ausstieg aus der Dreistufigkeit recht unverblümt damit erklärt, dass er unter anderem aufgrund der verstärkten Eigenmarkenoffensive des Großhandels zunehmend Nachteile spürt. Könnte dies ein weiteres Modell mit Beispielwirkung sein?

Die Transformation bedeutet, dass auch Vertriebsmodelle je nach Produkt- und Kundengruppe neu strukturiert geordnet werden. Eine nachhaltige und zukunftsgerichtete Ausrichtung muss jedes Unternehmen für sich definieren – hier gibt es kein Patentrezept. Ich kann und will das aus der Ferne auch nicht bewerten.   Ganz generell und ungeachtet, um welche Vertriebsstufe es sich handelt: In einem boomenden Umfeld Preis- und Rabattschlachten zu veranstalten, anstatt sich auf die Wachstumschancen zu konzentrieren, ist für mich null nachvollziehbar! 

Wir erleben somit derzeit eine durchaus einschneidende Transformation unserer Branche. Was könnten die daraus entstehenden Vorteile für Installationsbetriebe sein, und wo orten Sie potenzielle Nachteile?

Wie gesagt die Chancen und die Wachstumsmöglichkeiten überwiegen. Der Beruf hat sich gerade in den letzten Monaten als krisenfest gezeigt. Mit dem gestiegenen öffentlichen Interesse an der Heizungssanierung und einer erhöhten Investitionsfreude in den eigenen vier Wänden erfährt auch das Berufsbild eine Aufwertung. Smart, digital und green spricht  qualifizierten Nachwuchs zusätzlich an. Entscheidend und herausfordernd ist es speziell für kleinere Betriebe, wachstums- und zukunftsfit zu bleiben oder zu werden. In Summe haben wir als Branche das Privileg, Zukunftsfragen bei gutem Wind und Wachstum anzugehen.  

Ende August haben Sie in Alpbach im Beisein der Umweltministerin eine spannende Kooperation mit A1 Energy Solutions präsentiert. Mittels smarter Warmwasserspeicher sollen allfällige Netzschwankungen ausgeglichen werden. Was ist bei diesem Projekt aktuell der letzte Stand?  

Der smarte Elektrospeicher EWH WD wirkt wie ein „Energiemanager“. Die erste Pilot-Wohnhausanlage der Alpenländischen gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft in Kooperation mit dem Tiroler Energieversorger TIWAG in Völs ist bereits seit 2019 aktiv, und es konnten durch eine intelligente Bewirtschaftung schon erste Erfolge erzielt werden. Aktuell laufen dort die Vorbereitungen für den Rollout einer Vorserie mit 250 Stück. Weitere Sondierungen mit Wohnbaugesellschaften und Energieversorgen laufen. 

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Haustechnik

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