Der Schatten des CO2
Gerald Beck, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), über ein Instrument für die grüne Transformation, das derzeit in Deutschland heiß diskutiert wird: der CO2-Schattenpreis.
In Deutschland wird derzeit die Einführung eines CO2-Schattenpreises bei öffentlichen Ausschreibungen diskutiert. Die Idee dahinter: Bei der Vergabe wird nicht nur der angebotene Preis, sondern auch der CO₂-Fußabdruck bewertet und bepreist. Was halten Sie davon?
Gerald Beck: Aus Sicht eines Immobilienunternehmens kann ein CO2-Schattenpreis ein sinnvoller Hebel sein, um bereits in der Planungs- und Ausschreibungsphase den Fokus stärker auf emissionsarme Bauweisen und Materialien zu legen. Öffentliche Ausschreibungen haben oft eine Signalwirkung für die gesamte Branche: Wenn der Bund vorangeht und den CO₂-Fußabdruck bewertet und bepreist, kann das den Druck auf alle Marktteilnehmer erhöhen, nachhaltigere Lösungen zu entwickeln und anzubieten.
„Ohne den CO2-Schattenpreis wird die Transformation scheitern“, meinen viele Befürworter*innen. Sind Sie auch dieser Meinung?
Aus unserer Sicht wird eine erfolgreiche Transformation ohne CO₂-Schattenpreis nur schwer möglich sein. Denn es ist klar, dass die Bau- und Immobilienbranche einen großen Anteil an den CO₂-Emissionen hat. Ohne eine klare, einheitliche Bewertung und Einpreisung von Treibhausgasemissionen bleiben klimaschonende Alternativen womöglich zu teuer und finden im Preiswettbewerb kaum Gehör. Außerdem gilt es, das Bewusstsein zu stärken, mit welchen Maßnahmen man Hebel hat, um den CO₂-Fußabdruck zu senken. Ein CO₂-Schattenpreis könnte hierfür geeignet sein und die Attraktivität klimafreundlicher Lösungen erhöhen.
Wie könnte der CO2-Schattenpreis in der Praxis funktionieren?
Ein CO₂-Schattenpreis müsste so gestaltet sein, dass er für alle Beteiligten transparent und einfach anwendbar bleibt. Der zusätzliche bürokratische Aufwand müsste so gering wie möglich gehalten werden. Bei der Umsetzung sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Als Basis könnte die Lebenszyklusbetrachtung dienen: Bei größeren Bauprojekten wird in der Planungsphase eine Lebenszyklus-Analyse erstellt – von der Herstellung der Baustoffe bis zum Betrieb und zur Entsorgung. Daraus kann ein CO₂-Gesamtfußabdruck abgeleitet werden. Nun braucht es ein Bewertungssystem: Ein fester CO₂-Preis pro Tonne CO₂ wird angesetzt. Dieser Preis fließt in die Wirtschaftlichkeitsrechnung mit ein. Dann sind einheitliche Berechnungsgrundlagen wichtig: Die Methodik – zum Beispiel Ökobilanzen und EPDs – muss standardisiert sein, damit Vergleiche zwischen Ausschreibungen möglich und fair bleiben. Und abschließend braucht es Anreizkomponenten: Projekte, die unter dem durchschnittlichen CO₂-Schattenwert liegen, könnten gefördert oder durch Bonuspunkte in der Ausschreibung bewertet werden. Wer weit darüber liegt, müsste entsprechend höhere „Kosten“ im Angebot ausweisen.
Welcher Preis könnte für eine Tonne CO₂ veranschlagt werden?
In Deutschland ist häufig von einem CO₂-Preis von mindestens 50-80 Euro pro Tonne die Rede, um wirtschaftliche Anreize zu schaffen. In Österreich könnte man sich an bestehenden internationalen Modellen aus Schweden und Frankreich orientieren und einen sektorenspezifischen Ansatz für die Baubranche entwickeln. Die BIG arbeitet gerade daran, nach den Ende 2024 veröffentlichten SBTi- Sektorenstandards neue Zielwerte zu berechnen.
Die deutsche Bauwirtschaft drängt auf die Einführung des CO2-Schattenpreises. Wie schaut es in Österreich aus? In Österreich gewinnt das Thema ebenfalls an Relevanz. Hier gibt es bereits verschiedene Initiativen und Pilotprojekte, die CO₂-Kosten in Bauvorhaben integrieren. Allerdings ist eine flächendeckende, gesetzlich verankerte Vorgehensweise noch nicht etabliert. Aus Sicht eines Immobilienunternehmens ist es wünschenswert, dass sich Österreich eng an bewährten und bereits diskutierten Modellen wie aus Deutschland oder Skandinavien orientiert, um Synergieeffekte zu nutzen und Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.
Wer müsste das Thema vorantreiben, damit es zügig umgesetzt wird?
Die Bundesregierung müsste den gesetzlichen Rahmen schaffen und gegebenenfalls Förderungen oder steuerliche Anreize verankern. Es braucht aber auch Bundesländer und Gemeinden. Gerade im Baubereich sind regionale Vorgaben und Fördertöpfe ausschlaggebend – ich denke da an die Baubewilligungen und die Raumordnung. Eine rasche Umsetzung hängt daher stark von regionaler Gesetzgebung und Verwaltungspraxis ab. Dazu kommen Branchenverbände und Kammern: Sowohl die Bauwirtschaft als auch die Immobilienwirtschaft sollten bei der konkreten Ausgestaltung eng eingebunden werden, damit die Regelungen in der Praxis funktionieren! Und schließlich braucht es die Investoren und Finanzierer: Wenn Banken und institutionelle Investoren Emissionen bei Finanzierungsentscheidungen stärker berücksichtigen, entsteht zusätzlicher Marktdruck.
Sollte der CO2-Schattenpreis nur für öffentliche Ausschreibungen gelten oder auch für gewerbliche/privatwirtschaftliche?
Ein erster Schritt könnte sein, den CO₂-Schattenpreis verbindlich bei öffentlichen Ausschreibungen einzuführen, weil hier die öffentliche Hand Vorbildwirkung hat und ein großer Teil des Bauvolumens in Europa ohnehin über staatliche Stellen läuft. Langfristig wäre es sinnvoll, dass auch private Auftraggeber und gewerbliche Projekte einen CO₂-Schattenpreis einbeziehen. Gerade große Immobilienunternehmen und private Investoren orientieren sich zunehmend an ESG-Kriterien. Das kann durch einen einheitlichen CO₂-Schattenpreis noch transparenter und vergleichbarer werden. Für ein echtes „Level Playing Field“ ist eine Ausweitung auf die Privatwirtschaft notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Auch der BIG Konzern steht zum Beispiel bei Büroimmobilien oder Quartiersentwicklungen in direkter Konkurrenz zur Privatwirtschaft.
Worauf kommt es bei der Umsetzung des Konzepts an?
Es braucht klar definierte Berechnungsmethoden und die Methodik muss einfach und nachvollziehbar sein. Zudem halte ich einen stabilen und planbaren CO₂-Preis für wichtig. Unternehmen brauchen eine gewisse Planungssicherheit, um Investitionen in nachhaltige Bau- und Sanierungstechnologien langfristig kalkulieren zu können.
Kritiker warnen davor, dass der CO₂-Schattenpreis zu sehr den Charakter einer Bestrafung hat.
Das ist ein wichtiger Punkt: Ich plädiere daher für Incentivierung statt alleiniger Bestrafung. Man sollte Förderungen und Boni für besonders ressourcenschonende Projekte motivieren Unternehmen sowie für innovative und nachhaltige Bauweisen einsetzen. In Summe ist aus Sicht eines Immobilienunternehmens der CO₂-Schattenpreis ein vielversprechendes Instrument, um die Transformation zu einem klimafreundlicheren Gebäudesektor zu beschleunigen – vorausgesetzt, er wird praktikabel, verlässlich und transparent gestaltet und in der gesamten Branche implementiert – ähnlich einer „Lebensmittel-Ampel“ mit Angaben zu Nährwert und Kilo-Kalorien, die nur dann als Entscheidungsgrundlage für Produkte geeignet ist, wenn alle Produkte und Alternativen gekennzeichnet sind.