Robotik in der Tischlerei
Geschichten vom Fräd
Birgit Kumpusch ist Geschäftsführerin der Tischlerei Kumpusch, Tischlermeisterin und Restauratorin. 2008 stieg sie in den 1978 gegründeten Familienbetrieb in Gleinstätten ein. Der Spezialisierung ihres Vaters auf den Möbelbau ist sie treu geblieben, als zusätzliche Elemente band sie die Restaurierung und den künstlerischen Anspruch ein. 2019 wurden die Weichen nochmals neu gestellt, denn Kumpusch holte Maschinenbauer Niko Bretterklieber mit ins sechsköpfige Team. Kurz darauf folgte ein Kuka-Industrieroboter – liebevoll Fräd genannt – den Bretterklieber aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit an der TU Graz sowie seiner Erfahrungen in der Automobilindustrie entsprechend den Bedürfnisses des Betriebs adaptierte.
Tischler Journal: Sie haben seit 2019 einen 6-Achs-Fräsroboter im Einsatz. War anfangs Skepsis da oder wurde der "Kollege Roboter" gleich positiv empfangen?
Birgit Kumpusch & Niko Bretterklieber: Wie immer, werden Neuerungen bzw. Veränderungen zu Beginn kritisch unter die Lupe genommen und es dauerte schon ein wenig, bis man sich mit dem neuen "Kollegen" angefreundet hat. Die Angst, Fräd würde jemanden ersetzen, wurde aber relativ schnell genommen. Bei uns wird der Roboter für Arbeiten eingesetzt, die Handwerker*innen mit einfachen Maschinen nicht bewerkstelligen könnten und umgekehrt fehlen dem Roboter Fähigkeiten, die nur ein Mensch hat. Also sozusagen ist Fräd unser verlängerter Arm. Für uns ergibt sich dadurch eine perfekte Kombination, die uns als Betrieb eine neue Reichweite an Projekten ermöglicht.
Wie sind Sie auf Kuka und auf dieses Roboter-Modell gestoßen?
Ein Freund, der bereits in der Vergangenheit mit Robotern gearbeitet hat, war der Weichensteller in Richtung Kuka. Obwohl wir ein kleiner Kunde sind, wurden wir von der Firma perfekt beraten und betreut und sind mit unserem Fräd sehr zufrieden. Konkret handelt es sich um das Modell KR210 R 2700 extra, wobei 210 für die Nenn-Traglast und 2700 für die Armlänge in Millimeter steht.
Also hat sich dieser Roboter genau für die von Ihnen gewünschten Zwecke empfohlen?
Nein, eigentlich wurde dieses Modell nicht für unseren Einsatzzweck entwickelt. So war es auch nicht möglich, die Funktionsweise vorher zu testen. Grundsätzlich sind diese Roboter für einfache Arbeiten wie z.B. das Positionieren bzw. Stapeln von schweren Teilen angedacht. Um auf die gewünschte Genauigkeit von 0,15 Millimeter zu kommen, waren mechanische wie auch softwaretechnische Anpassungen notwendig. Wir haben einen einfachen Greifer durch eine Frässpindel ersetzt und sind damit in der Lage, beliebige Fräswerkzeuge einzuspannen.
Für welche Arbeiten kommt Fräd nun konkret zum Einsatz und wofür braucht es nach wie vor "echte" Menschen?
Generell kann man sagen, dass der Roboter überall dort zum Einsatz kommt, wo der Mensch bzw. herkömmliche CNC Maschinen an ihre Grenzen stoßen. Fräd hat unser Portfolio extrem erweitert, die Investition hat uns die Spezialisierung auf Sonderlösungen und Prototypen erst möglich gemacht. Dank des Roboters können wir nun Formen gestalten, von denen wir zuvor nur geträumt haben. Dennoch macht seine Arbeit in einem Roboterprojekt oft nur einen Bruchteil der Zeit aus. Die Vorbereitung des Rohmaterials, das Verleimen der Rohblöcke, die richtige Aufspannung des Materials, die Programmierung der Fräsbahnen sowie die anschließende Oberflächenbehandlung sind essenzielle Arbeiten, die durch Menschenhand passieren und ohne die es kein fertiges Produkt geben würde.
Wer sagt Fräd, was er genau zu tun hat?
Wir sind beide für die Abwicklung von Sonderprojekten mit Hilfe von Fräd verantwortlich. Dabei haben sich in den letzten Jahren zwei – mehr oder wenige gegensätzliche – Bereiche herauskristallisiert: die technische Schiene, in der der Prototypen- und Formenbau in der Automobilindustrie eine große Rolle spielt die künstlerische Schiene. Von der Bearbeitung ganzer Baumstämme, über Designobjekte, geschwungene Tischbeine, Handläufe, Altäre, Wegkreuze, überdimensionierte Pressformen bis hin zu feinen Gravuren auf 3D Oberflächen ist alles möglich. Beliebige Freiformen zu fräsen ist aber Fräds Lieblingsbeschäftigung. Es freut uns auch jedes Mal, wenn wir anderen Tischlereien Sonderlösung anbieten können.
In der Tischlerei besteht kein Grund zur Furcht vor Robotern. Letztendlich hängt die Qualität der Maschine immer von den Fähigkeiten der Person ab, die sie steuert.
Sie haben sich durch die Robotik in eine neue Richtung orientiert. Wie ist Ihr Fazit nach fünf Jahren mit Fräd?
2019 konnten noch nicht viele etwas mit dem Thema anfangen, schön langsam merken wir aber ein stärker werdendes Interesse. Man wird vermehrt auf uns aufmerksam, da wir doch fünf Jahre Vorsprung vorweisen können. Das erweist sich für uns auch als ein gutes Geschäftsfeld. Aber verstehen Sie uns nicht falsch – die Ausrichtung war keine finanzielle Entscheidung. Wir sind kein Industriebetrieb und wollen auch keiner werden. Vielmehr treibt uns der Wunsch an, Dinge zu verwirklichen, die lange Zeit nur in den Köpfen waren. Sehr viele Designer*innen, Künstler*innen, Architekt*innen und Tischlerkolleg*innen haben geniale Ideen, können diese aber nicht umsetzen. Da kommen wir ins Spiel. Vielen unserer Kundinnen und Kunden ist es wichtig, ein Produkt aus einer Hand zu bekommen. Wir bringen die Idee mit Hilfe von CAD-Programmen in eine digitale Form, erstellen die ersten Prototypen und begleiten die Produkte bei Bedarf bis zur Serienfertigung. Neben den technischen Projekten hat sich auch der künstlerische Zweig rasch entwickelt. Durch die 6-Achsbearbeitung des Roboters fallen die Einschränkungen durch konventionelle Bearbeitungsmöglichkeiten weg – und dem Denken und Gestalten kann freier Lauf gelassen werden.
Was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Arbeit
Außergewöhnliche Projekte gehen immer Hand in Hand mit außergewöhnlichen Menschen. Eine unserer größten Freuden ist es, neue und einzigartige Menschen kennenzulernen. Fräd öffnete uns die Welt beginnend bei einem Designer für den wir Kunstobjekte für London produzieren über eine italienische Schlossbesitzerin bis hin zu deutschen Automobilkonzernen und vielen weiteren unglaublich verrückten – natürlich positiv gemeint – Menschen. Und wir lieben es so!
In Zeiten des steigenden Fachkräftemangels könnte der Einsatz von Robotik ganz neue Möglichkeiten schaffen – auch für Tischlereibetriebe. Welches Zukunftspotenzial sehen Sie?
Leider ist es ein Irrglaube, dass eine CNC-Maschine oder ein Roboter einen Facharbeiter ersetzen könnten. Ganz im Gegenteil: Die Maschine ist grundsätzlich "dumm" und nur so gut wie die Person, die sie bedient. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken ist es wichtig, den Job so attraktiv und zukunftssicher wie möglich zu gestalten. In der Robotik sehe ich eine große Chance für das Tischlerhandwerk, jungen Leuten genau das anzubieten.
Skeptiker befürchten durch einen verstärkten Robotereinsatz ein "Ende des Tischlerhandwerks". Sie sehen das durchaus anders?
Unsere Meinung dazu haben wir auf unserer Webseite so zusammengefasst: "Fräd läutet die Zukunft ein. Nicht auf Kosten der Menschen, sondern gemeinsam mit ihnen.“ Wir sind kein Industriebetrieb sondern ein KMU und haben uns auf Sonderlösungen spezialisiert. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass man sich immer wieder auf neue Situationen einstellen muss und dies in kürzester Zeit. Diese Tatsache macht auch vor dem Tischlerhandwerk nicht Halt. Verschließt man sich vor Veränderungen, bleibt man schnell auf der Strecke. In vielen Gesprächen musste ich feststellen, dass die Unwissenheit Angst macht. Viele Kolleg*innen haben Angst vor Neuerungen, weil sie glauben, dem nicht gewachsen zu sein – und dann ist es oft der leichtere Weg Dinge abzulehnen.