Werkzeugmaschinen

Einfache Berechnung des Co2-Fußabdrucks

Baumaschinen
14.01.2025

Expert*innen entwerfen einen praxisorientierten Leitfaden für mehr Transparenz in der Lieferkette. Alle Details dazu.
Bild in der Halle von Schuler

Wie groß ist der CO2-Fußabdruck einer Werkzeugmaschine? Wer für ein produzierendes Unternehmen den Nachhaltigkeitsbericht erstellen oder Fortschritte bei den Treibhausgasemissionen dokumentieren will, wird diese Frage wohl gleich in die Lieferkette weitergeben. Die Antwort ist nicht leicht: Immerhin besteht eine Werkzeugmaschine schon mal aus mehreren 10.000 Einzelteilen, einschließlich zugekaufter Materialien und Vorprodukte. Es gibt eine riesige Produktvielfalt, die von der kompakten Fräsmaschine für filigrane Uhrwerke bis zur Presse für Flugzeugteile reichen kann: Fast jede Maschine ist ein Unikat. Wie kommt man zu einem Wert, der auch für Wirtschaftsprüfer valide und zudem vergleichbar ist?  

„Die CO2-Bewertung an sich ist schon komplex“, stellt Prof. Felix Hackelöer vom Institut für Automation und Industrial IT der TH Köln dazu fest, „für Werkzeugmaschinen ist sie sehr komplex“. Hackelöer gehört einer Expert*innengruppe an, die sich auf Initiative des VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) gebildet hat. Die Gruppe stand vor der Aufgabe, so genannte Product Category Rules (PCR) für Werkzeugmaschinen zu entwickeln. Dabei geht es um einen eBrechnungsansatz, mit dessen Hilfe sich der Product Carbon Footprint (PCF), also der CO2-Fußabdruck einer Werkzeugmaschine ermitteln lässt. Mit im Team: Fachleute aus sechs VDW-Mitgliedsunternehmen: Chiron, DMG Mori, Grob, Heller, Schuler und United Grinding sowie aus den mit Normung und Standardisierung befassten Fachabteilungen von VDW und VDMA. Ziel sollte es sein, mit einem VDMA-Einheitsblatt eine Richtlinie zu erstellen, die sich im Idealfall bis zur ISO-Norm weiterentwickeln lässt.

Prämisse: Anwendbarkeit auch für KMU sicherstellen

Die Projektgruppe kam im Februar 2024 erstmals zusammen. Es gab eine kurze Findungsphase, in der unterschiedliche Erfahrungen berichtet und mögliche Vorgehensweisen diskutiert wurden. Auf einige zentrale Punkte habe man sich schnell verständigen können, berichtet Jörg Süßdorf, Global Quality Manager bei Schuler Pressen, Göppingen: „Viele Unternehmen sehnen sich nach einem einfachen, gut strukturierten Papier“, sagt er. „Wir waren uns einig, dass sich unsere Regeln ohne großen bürokratischen Aufwand auch für KMU umsetzen lassen müssen.“ Die Ergebnisse sollten vergleichbar und auch international adaptierbar sein. Sie sollten aber auch die Möglichkeit eröffnen, nachzurechnen oder kontrollieren zu können, wenn Marktteilnehmer wenig vertrauenswürdig erscheinen. Zu guter Letzt wurde das Ziel ausgegeben, dass sich der PCF nach der zu entwickelnden Methode an einem einzigen Tag berechnen lassen müsse. Bislang galten bestenfalls drei Monate als realistisch. „Wenn all diese Vorgaben erfüllt sind“, so Süßdorf, „ergibt sich für Unternehmen ein deutlicher Benefit.“

Die Methode: Nur nicht zu sehr in Details verlieren

Der PCF umfasst alle Treibhausgasemissionen, die von einem Produkt in den verschiedenen Phasen seines Lebenszyklus verursacht werden. Die VDW-Projektgruppe einigte sich im ersten Schritt auf die Betrachtung Cradle-to-Gate (von der Wiege bis zum Werkstor), also einer Betrachtung, die sich auf Ressourcen, Herstellung der Vorprodukte und schließlich auf die Produktion des Endprodukts konzentriert - bis zu dem Punkt, an dem die Maschine die Halle des Herstellers verlässt.  

Die Gründe für diese Betrachtung nennt Henning Bornkessel, Senior Manager Sustainability & Process Management bei DMG Mori, Bielefeld. „Entscheidend war für uns die Kundensicht“, sagt er. „Bei Cradle-to-Gate handelt es sich um einen gut abgesteckten Bereich, zu dem wir verlässliche Aussagen machen können. Genau denen gilt das Interesse unserer Kunden für ihre CO2-Bilanz.“ 

Die „hitzigsten“ Diskussionen gab es in der Expert*innengruppe – wie es heißt –   um die Frage, wie sehr es ins Detail gehen müsse. „Übergeordnete Ansätze fordern eine Detailbetrachtung von bis zu 99 Prozent der Masse einer Maschine“, sagt Felix Hackelöer und betont: „Das ist bei Werkzeugmaschinen nicht zu leisten.“  Hier stellte sich die Frage, so der Kölner Wissenschaftler, welchen Sinn es macht, den PCF bis hin zur kleinsten Unterlegscheibe zu errechnen. Das Ziel der Arbeitsgruppe war es daher, eine Methodik für den PCF von Werkzeugmaschinen zu erarbeiten, die eine gute Genauigkeit mit vertretbarem Aufwand vereint.

Neues VDMA-Einheitsblatt: ein schlankes Komplettpaket

In den jetzt vorliegenden PCR der VDW-Projektgruppe werden die Anwenderinnen und Anwender in neun Schritten durch den Prozess geführt. Dabei geht es natürlich vorrangig um die Maschine und ihre Einzelteile. Berücksichtigt werden darüber hinaus die Emissionen, die direkt vor Ort beim Maschinenhersteller entstehen, sowie zugekaufte Energieträger, die auf die produzierten Maschinen entsprechend umgelegt werden.  

Grundsätzlich muss der Hersteller zunächst die Betrachtungsgrenzen definieren. Geht es nur um das eigene Produkt oder den gesamten Lieferumfang, einschließlich etwa der Beladeroboter? Alsdann wird die Maschine quasi zerlegt. Anhand der Stückliste werden alle Einzelteile nach Gewicht sortiert. Schaltschrank und Motoren sind gesondert zu betrachten, da sie CRM (Critical Raw Materials) wie Seltene Erden, Kupfer oder Kobalt enthalten können, die mit hohen CO2-Emissionen verbunden sind. Für deren Bilanzierung bietet die Richtlinie dabei einen praxisorientierten Ansatz.   

Spannend wird es an der Stelle, wo die verbleibende Masse der Maschine (nach Abzug von Schaltschrank und Motoren) betrachtet wird. Hier entschieden die Expert*innen, zur Vereinfachung das nach dem italienischen Wirtschaftswissenschaftler Vilfredo Pareto benannte Pareto-Prinzip (80/20-Regel) anzuwenden. Übertragen auf die Werkzeugmaschine bedeutet dies, dass einige wenige Teile den Großteil der Masse – und somit auch des Carbon Footprint – ausmachen.  Es gilt nun, anhand der sortierten Stückliste die Teile zu identifizieren, die mindestens 80 Prozent der verbleibenden Masse ausmachen. Deren PCF lässt sich dann aus der Multiplikation von Gewicht und passendem Emissionsfaktor errechnen. Die Emissionsfaktoren der unterschiedlichen Materialien erhält man entweder vom Zulieferer oder einschlägigen Datenbanken. Die übrigen, noch nicht bilanzierten Teile lassen sich entsprechend hochrechnen, was schnell geht und nach den Erfahrungen der beteiligten Experten zu einer vergleichbar guten Genauigkeit wie eine vollständige Betrachtung aller Teile führt, wie Hackelöer betont. 

Am Ende ergibt die Addition der einzelnen Footprints zum Product Carbon Footprint der gesamten Werkzeugmaschine, der als CO2-Äquivalent in Kilogramm angegeben wird – ein Wert, der sich in jeden Nachhaltigkeitsbericht aufnehmen, überprüfen und mit anderen vergleichen lässt.    

Neben der beschriebenen Vorgehensweise bietet das VDMA-Einheitsblatt eine Beispielrechnung und Definitionen, Erläuterungen zu relevanten ISO-Normen sowie Hinweise auf Datenbanken für Emissionsfaktoren, die kostenfrei zugänglich sind. „Alle notwendigen Informationen finden sich in unserem Papier oder in angegebenen öffentlichen Quellen“, betont Jörg Süßdorf. Es gebe damit erstmals einen Ansatz, der auch für die in der Branche zahlreich vertretenen KMU praktikabel sei, verspricht er. Alles sei leicht zu verstehen und ohne irgendwelche Schulungen durchzuführen.

Empfehlung zum richtigen Zeitpunkt

Für Dr. Matthias Baur, Teamkoordinator Struktur- und Prozessdynamik bei den Grob-Werken, Mindelheim, kam die Arbeit am VDMA-Einheitsblatt genau zum richtigen Zeitpunkt. Die EU-Richtlinie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) verpflichtet ab 2025 den Großteil der Unternehmen zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. „Standardisierung hilft beim gemeinsamen Verständnis und der Beseitigung zahlreicher Unsicherheitsfaktoren“, betont Dr. Baur, der bereits an verschiedenen Normungsverfahren, unter anderem zur Energieeffizienz, teilgenommen hat.  

Diese Sichtweise dürfte auch der VDW teilen, der sich für eine verbesserte Umweltbilanz von Werkzeugmaschinen einsetzt. Aus gutem Grund: Bereits vor zwei Jahren hat eine Besucherbefragung auf der EMO Hannover die Erkenntnis gebracht, dass für 68 Prozent der Besucher der Schwerpunkt Future of Sustainability in Production hoch im Kurs stand, beim ausländischen Publikum mit einem Anteil von drei Vierteln sogar noch stärker als beim deutschen. Als Veranstalter der EMO Hannover 2025 dürfte das Interesse für den VDW groß sein, den Anstoß für eine neue Norm zu geben, welche die Umweltbilanz von Werkzeugmaschinen vergleichbar macht und langfristig auf ein neues Level heben könnte.

Branchen
Metall