PORTRAIT

Freidimensional

Kunst
25.05.2023

Die Kunsttherapeutin und Kreativtrainerin Sabine Johanna Mader setzt sich seit vielen Jahren mit der vielschichtigen Bedeutung der malerisch-bildnerischen Arbeit und den Ausdrucksmöglichkeiten der Musik auseinander.
Sabine Johanna Mader ist Kunsttherapeutin und Kreativtrainerin
Sabine Johanna Mader setzt sich auf den verschiedensten Ebenen mit der Kreativarbeit auseinander: Sie ist freischaffende Künstlerin, Kunsttherapeutin, Kreativtrainerin und Musikerin.

Was ist Kunst? An dieser Frage scheiden sich bis heute die Geister. Auch der Blick in das Wörterbuch hilft da nur bedingt weiter. Etymologisch gibt es uns folgende Information: "Kunst ist ein schöpferisches Gestalten aus den verschiedensten Materialien oder mit den Mitteln der Sprache, der Töne in Auseinandersetzung mit Natur und Welt.“ Damit ist nichts und doch so viel gesagt. Denn jene Definition besagt, dass es hierbei nicht um das Objekt geht – sondern um den künstlerischen Akt. Dies ist wohl ein erster Hinweis auf einen möglichen Lösungsweg für die Erörterung jenes multispektralen Sachverhalts. Dafür braucht es jedoch mehr als bloße Theorie, wie auch Sabine Johanna Mader weiß. Die Musikerin, freischaffende Künstlerin, Kunsttherapeutin und Kreativtrainerin setzt sich bereits seit vielen Jahren mit den Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks auseinander. „Wer sich dem herkömmlichen Kunstbegriff nähert, der stößt schnell an seine Grenzen“, erklärt sie. "Es ist so, dass man in unserer westlichen Welt sehr klare Vorstellungen davon hat, wie ein Kunstwerk auszusehen hat. Das wird dem Wesen der Kunst aber in keiner Weise gerecht.“

Mit Liebe zum Detail

Was ist Kunst? Eine allgemeingültige Antwort könne es hierauf gar nicht geben, so Mader

Bereits in jungen Jahren kam Mader mit den vielen Facetten des künstlerischen Ausdrucks in Kontakt. Noch heute erinnere sie sich daran, wie sie als junges Mädchen ihrem Großvater dabei zusah, wie er die heimischen Wände und Treppenaufgänge farbenreich bemalte: "Er hat die wunderbarsten Motive gemalt – jedes seiner Malereien erzählte eine Geschichte, wie im Märchen.“ Auf diese Weise habe sie etwa erlernt, wie man Gesichter im Profil zeichnet. Auch von ihrer Mutter, welche sich seit vielen Jahren intensiv mit der Malerei und der Kaligraphie befasst, erhielt sie wichtige Impulse. Bei ihren ersten Malversuchen hatte sich schnell ihre Liebe zum Detail gezeigt, wie sie heute berichtet. "Seit ich denken kann, habe ich gezeichnet und gemalt. Das ist ganz natürlich entstanden. Im Kunstunterricht in der Schule zählte ich aber nie zu den guten Schülern. Meine Art zu malen hat nie den Anforderungen der Lehrer entsprochen. Ich hab da einfach nicht ins Raster gepasst. Ich habe mich davon aber nie beirren lassen.“

Auf Spurensuche

Gitarren-Kunst

Neben dem Zeichnen und Malen war auch das Musizieren stets ein wichtiger Teil ihres Lebens. Die Musik empfand Mader als eine wertvolle Ergänzung zur bildnerischen Kunst: "Als junges Mädchen war der Zugang zur Kunst ein sehr intuitiver. Ich habe mich damals gefragt, was der tiefere Sinn all dessen ist, was ich da erschaffe. Nach vielfältigen Berufserfahrungen im Sozialen- und Gesundheitsbereich habe ich mich zu einer Ausbildung als Kunsttherapeutin entschieden, weil hierbei sowohl die bildnerischen als auch die musischen Künste zum Tragen kamen. Außerdem ist das eine Arbeit, die alle Sinne erfasst und zutiefst heilsam ist.“ Im Laufe ihrer Ausbildung habe sie sich viel mit sich selbst und ihrem Wirken als Künstlerin auseinandergesetzt. Vieles davon sei so tiefgehend, sodass es sich kaum in Worte fassen lasse. "Die Ausbildung zur Kunsttherapeutin hat mich immer wieder von neuem an meine Grenzen geführt. Da sind mir auch viele Dinge in Bezug auf meine eigene Biographie und meine Prägungen bewusst geworden. Wenn man in diesem Bereich arbeiten will und seine Sache ernst nimmt, dann passiert das ganz automatisch.“

Dimensionen des Dialogs

Was ist Kunst? Eine Frage, die sich Sabine Johanna Mader immer wieder von Neuem stellt.

Nachdem die Pandemie die Kulturbranche buchstäblich lähmte, sei die Sensibilität für den Wert von Kunst in der Gesellschaft zuletzt wieder gestiegen, wie die Niederösterreicherin beobachtet hat: "Wir befinden uns in einem tiefgreifenden Wandel und dadurch gibt es ja im Außen nichts mehr, das uns Halt gibt. Daher werden wir instinktiv nach innen geführt und zunehmend mit Aspekten aus dem Unterbewusstsein konfrontiert. Wenn man dann den Mut findet, sich auf diese inneren Welten einzulassen, können wunderbare Dinge entstehen.“ Ähnliches erlebe sie in der Arbeit mit den Kindern – wobei Mader in ihrer Laufbahn als Kunsttherapeutin immer wieder auch Überraschungen erlebt. "Als ich einmal in einem sozialpädagogischen Zentrum gearbeitet habe, gab es dort einen jungen Mann, der von den Reizen seiner Umwelt stark überfordert war. Er hat lange Zeit nur Panzer und Raketen gezeichnet. Eines Tages setzte ich mich neben ihn und fing an mit ihm gemeinsam zu malen. Das war wie ein zweidimensionaler Dialog. Und dann ist etwas Unglaubliches passiert: Plötzlich hat er mit beiden Händen in die Farbe gegriffen und sich auf dem Papier ausgetobt. Daran kann man sehen, dass es in der Kunsttherapie nicht nur darum geht, die Kinder in ihrer Kreativität zu fördern, sondern sie vielmehr durch die Kunst in Kontakt mit sich selbst zu bringen.“

Säule der Resilienz

Das Kunst positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Wohlbefinden haben kann, zeigen auch die Ergebnisse von inzwischen mehr als dreitausend weltweit durchgeführten Studien. Eine der repräsentativsten unter ihnen ist die Publikation der World Health Organisation. "Diese Publikation ist in vielerlei Hinsicht sehr interessant“, erklärt Mader. "In diesem Bericht zeigt sich, dass sich durch Kunst die Gesundheit der Menschen nachhaltig verbessert. Es gilt sogar als erwiesen, dass Kunst bei der Vorbeugung von Krankheiten eine bedeutende Rolle spielt.“ Außerdem sei es wissenschaftlich belegt, dass Kunst die psychische Widerstandskraft stärke, da sie eine produktive Auseinandersetzung mit Emotionen aller Arten und deren Verarbeitung ermögliche. Kreatives Arbeiten wird somit zu einer wichtigen Säule der Resilienz. Interessant sei auch das Narrativ, das in jenen Studien verwendet werde, da dieses auf den eigentlichen Sinn und Zweck der Kunst, nämlich auf den kreativen Akt, verweise. "Ich finde diese Entwicklung sehr positiv, denn jetzt zeigt sich, worum es in der Kunst eigentlich geht. Es geht nicht um das Ergebnis oder darum, irgendeinen Markt zu bedienen. Es geht um die Entfaltung der Sinne bei diesem Schaffensprozess und um die Bereitschaft, sich diesem vollkommen hinzugeben.“

Kunst hat eine nachweislich positive Auswirkung auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden.

Sabine Johanna Mader

Alles ist Kunst

Alles ist Kunst!

Eine weitere Metaebene besagter Studie sei es, dass Kunst stets als ein untrennbarer Bestandteil der jeweiligen Kultur betrachtet werden müsse, wie die Kunstschaffende zu berücksichtigen gibt. Jener Gedanke sei in unseren Breitengraden jedoch bis dato wenig verbreitet: "Das ist ja der Grund, warum wir uns hierzulande so schwer mit dem Kunstbegriff tun. Wir verstehen nicht, dass Kunst nie für sich allein steht, sondern untrennbar mit dem Leben verbunden ist.“ In den vergangenen Jahren habe sie die Möglichkeit gehabt, mit alten Kulturen indigener Völker in Kontakt gekommen zu sein. Insbesondere durch die Auseinandersetzung mit den Traditionen von Gemeinschaften in Lateinamerika habe sie viel gelernt: "Ich denke, es ist sehr hilfreich, sich anzuschauen, wie der Zugang zu Kunst in jenen Kulturen ist. Das interessante dabei ist, dass der Begriff ‚Kunst‘ in manchen Traditionen auch gar nicht existiert – weil die Kreativität wie selbstverständlich mit dem Alltag verwoben ist.“ So bekommt der berühmte Satz von Joseph Beuys "Jeder Mensch ist ein Künstler“ eine noch tiefere Bedeutung: "Wie man in den Tag startet, wie man am Morgen das Bett macht, seine Wohnung und seine Umwelt gestaltet oder wie man sich kleidet. Ganz gleich, was wir in unserem Leben gestalten – alles ist Kunst“, sagt Mader.

Abseits von Routinen

Bemalte Rehentrophäe

Jene Erfahrungswerte seien für die Künstlerin in ihrer therapeutischen Tätigkeit von elementarer Bedeutung. Um die Kinder in ihrer kreativ-schöpferischen Entwicklung begleiten zu können, brauche es immer zunächst das Bewusstsein für das eigene Wirken, erklärt die Künstlerin. "Ich kann ja nur das weitergeben, was ich selbst einmal erfahren habe. Je mehr ich mit mir selbst im Einklang bin, umso besser gelingt es auch den Kindern. Für mich geht das Hand in Hand.“ Ebenso wichtig sei dabei ihre Entwicklung als Künstlerin. Dabei sei sie auch gefordert, etablierte Gewohnheiten immer wieder von neuem aufzubrechen. "Wir alle haben Routinen, auch ich – das ist etwas ganz Normales. Und es ist auch notwendig, weil wir ja nun mal in bestimmten Systemen leben, die gewissen Prinzipien folgen. Die Herausforderung ist es, nicht darin zu verharren, sondern neue Wege abseits der Gewohnten Bahnen zu gehen.“

Bemalte Rehentrophäe

So habe sie sich als Künstlerin in den vergangenen Jahren immer wieder neu erfunden – oft ohne zu wissen, wohin sie der einmal eingeschlagene Weg einmal führen würde. Nachdem sie in jungen Jahren hauptsächlich zweidimensional arbeitete und vornehmlich Leinwände oder ebene Wände bemalte, verspürte sie eines Tages den Wunsch, auch ihre Musikinstrumente und andere Objekte des Alltags zu bemalen. Seit einiger Zeit zählen auch Rehentrophäen zu ihren Kunstwerken: "Eines Tages war ich auf einem Flohmarkt und da  habe ich dann diese Trophäen entdeckt. Ich habe irgendwie den Drang verspürt, diese zu kaufen. Ich wusste gar nicht wieso. Und dann saß ich zuhause und fragte mich: 'bist du verrückt geworden? Was machst du denn jetzt damit?‘ Da dachte ich, dass es schön wäre, diesen Schädeln neues Leben einzuhauchen. Also habe ich angefangen, verschiedene Muster auf sie zu malen. Ich habe dabei versucht, in Beziehung zu diesen Objekten zu treten und zu erspüren, welches Wesen diesem Tier einmal innewohnte.“

Vertrauen in den Prozess

Manchmal ist nicht von Anfang an klar, für wen das jeweilige Kunstwerk bestimmt ist.

So unterschiedlich ihr Zugang zu ihren Kunstwerken auch ist, am Anfang jedes Schaffensaktes stehe für sie immer die Farbe: Durch den Auftrag derselben und die sich hieraus manifestierenden Konturen entsteht schließlich die Linie, welche Mader additiv aufträgt. "Ich werde immer wieder gefragt, wie ich eigentlich zu meinen Motiven komme. Viele vermuten dahinter einen Trick oder eine Methode. Tatsächlich ist es aber so, dass ich recht impulsorientiert arbeite. Da gibt es eigentlich kein Regelwerk. Ich trage die Farbe auf und daraus entsteht dann eine Form. Oft weiß ich gar nicht, was am Ende daraus wird.“ All dies setze voraus, Vertrauen in sich und in den Prozess zu haben. Das sei insbesondere dann von Bedeutung, wenn sie eine Auftragsarbeit erstellt. Immer wieder begebe sie sich dabei auch mit den Kunden auf Ideensuche – manchmal mit dem Ergebnis, dass das hierdurch entstandene Kunstwerk nicht für die jeweilige Person bestimmt ist. "Ich habe schon erlebt, dass das Objekt entweder dem Kunden nicht gefällt oder dass ich den Eindruck hatte, dass das Kunstwerk nicht für diesen Menschen bestimmt ist. Wenn das der Fall ist, dann mache ich Fotos davon und veröffentliche sie in den sozialen Medien.“ Einmal erstellte sie eine Malerei auf einer Trommel, ohne den Adressaten jenes Kunstwerkes zu kennen. Also habe sie darauf vertraut, dass sich ein Mensch finden wird, der zu diesem Kunstwerk passt: "Nachdem ich verschiedene Aufnahmen davon auf Facebook und Instagram postete, meldete sich doch tatsächlich eine Frau bei mir. Sie fragte, ob sie die Trommel kaufen dürfe, da das Motiv einem Bild entspräche, da sie einmal in einem Traum sah. So hat dieses Objekt ganz von selbst eine neue Besitzerin gefunden. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich die Dinge im Leben manchmal ganz von alleine fügen.“

Zurück zum Ursprung

Bemalte Trommel der Künstlerin Sabine Johanna Mader.

Wer nun die Lösung des Eingangs erwähnten Problems rund um die fehlgeleitete Definition des Kunstbegriffes erwartet, muss zwangsläufig enttäuscht werden. Schließlich haben die vorigen Darstellungen gezeigt, dass es hierauf gar keine allgemeingültige Antwort geben kann: "In dieser Debatte drehen wir uns schon seit vielen Jahren im Kreis. Meiner Ansicht nach ist das ja die völlig falsche Frage. Es sollte doch vielmehr darum gehen, wie wir wieder in Kontakt zu uns und unserer eigenen Kultur treten können und wie wir die Kunst wieder zu einem Teil unseres Lebens machen. Das Problem ist, dass wir in einem postmodernen Zeitalter leben, das vordergründig Fortschritt verspricht und de Facto jedoch dafür sorgt, dass wir uns nur noch mehr von uns selbst und unserer Umwelt entfremden. Das wird mit der fortschreitenden Digitalisierung auch noch zunehmen. Mein Eindruck ist, dass es in dieser Gesellschaft mehr um Schein, als um Sein geht. Das finde ich sehr bedenklich“, so Mader. Jene gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen seien auch davon getragen, dass in Europa seit jeher versucht werde, die Welt durch die Ebene des Verstandes zu begreifen. Doch tatsächlich gäbe es weiterhin zahlreiche Phänomene, für die es keine "Ultima Ratio“ gebe. "Es gibt ja Dinge in dieser Welt, die sich rational gar nicht erklären lassen. Das war schon immer so. Man merkt das ganz stark, wenn man sich beispielsweise mit den Kulturen und Traditionen anderer Völker wie etwa jenen in Lateinamerika oder in Afrika auseinandersetzt. Ich würde mir einfach wünschen, dass unsere Gesellschaft wieder offener wird für das spirituelle Erleben. Schlussendlich denke ich, dass das ein wichtiger Schlüssel dafür ist, dass die Kunst als solche wieder einen größeren Stellenwert in unser aller Leben gewinnt.“

Hier geht's zur Studie

In den letzten zwei Jahrzehnten gab es eine exponentielle Zunahme an Forschungen rund um die Auswirkungen der Künste auf Gesundheit und Wohlbefinden. Ein Bericht der WHO fasst die weltweiten Erkenntnisse dazu zusammen. Die Forschungen beweisen, dass Kunst eine positive Auswirkung auf Körper und Geist hat.

Bei Abruf des Links gelangen Sie direkt zur Studie:
Health Evidence Network synthesis report

Branchen
Malerei