Kirche am Wendepunkt
In der Geschichte der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts nimmt der Sakralbau eine besondere Rolle ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte vor allem die Kirche als Auftraggeber Offenheit für neue und experimentelle Baukultur junger Architekten. Deren Wegbegleiter waren mutige Kirchenmänner wie Monsignore Otto Mauer oder der Jesuitenpater Herbert Muck. Durch die Liturgiereform geänderte räumliche Anforderungen erwiesen sich hierbei als hilfreich. Zwischen 1963 und 1975 entstanden allein in Wien mehr als 38 neue Pfarrkirchen, dazu noch Anstaltskirchen und Studentenkapellen. Etliche wurden zu Architekturikonen. Heute hingegen müssen Pfarren zusammengelegt oder geschlossen werden. Die Aufgaben der Zukunft sind Planungen multikonfessioneller Zentren.
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Brigitte Groihofer sprach mit ArchitektHarald Gnilsen, Direktor des Bauamts der Erzdiözese Wien
Es werden natürlich Kirchen aufgelassen werden müssen. Das ist eine internationale Entwicklung, die auch bei uns nicht haltmacht. Das sehe ich nicht als großes Problem, die Stadt verändert sich einfach. Alle paar Jahre wird zwar ein neuer Stadtentwicklungsplan (Step) verfasst, die Bevölkerung hält sich jedoch nicht immer an Prognosen. Es wird daher sowohl Auflassungen, Rückführungen als auch Neubauten geben”, formuliert Direktor Harald Gnilsen die aktuelle Entwicklung und sagt: „Eine Kirche ist kein Museum, sondern ein lebendiger Ort, der auch liturgiebedingten Veränderungen unterliegt. Die Balance zwischen dem Anspruch, Dinge zu erhalten und zu benützen, ist schwierig. Eine Diskussion zum Thema ist jedoch wichtig und legitim und auf der Suche nach einem gemeinsamen Ergebnis befruchtend.”
Campus der Religionen
Die Erzdiözese Wien plant einen sogenannten Campus der Religionen in der Seestadt Aspern. „Einen solchen gemeinsam mit anderen Konfessionen umzusetzen ist für uns in der Erzdiözese Neuland. Wir brauchen das Miteinander, daher der Name Campus, weil kein Übereinander entstehen soll, indem jemand unten oder oben ist, sondern Gleichwertig- und Gleichrangigkeit.” Es soll in Aspern ein Ort gefunden werden, an dem alle Religionen zusammenfinden können, und „es gibt Gespräche mit mehreren Religionsgemeinschaften, lediglich bei der Finanzierung fehlt noch ein Konsens. Einen entsprechenden Architekturwettbewerb auszuloben ist für mich in jedem Fall die logische Konsequenz. Doch noch ist es nicht so weit.” Laut Gnilsen liegt der Anteil der Katholiken in Wien bei etwa 50 Prozent, in Aspern mit ermutlich 8.000 Personen bei etwa 40 Prozent. Die nächst größere Gruppe sind Nichtgläubige, gefolgt vom Islam. Die Kirche hat jahrhundertelang als einzige Institution jedermann öffentlichen Raum und Innenraum zur freien Benutzung zur Verfügung gestellt. „Wir wollen jedenfalls bei der Erstbesiedelung dabei sein und den Sozialisierungsprozess begleiten. In der Donau City haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, dort waren wir von Anfang an dabei. Pfarrer Gabriel hat jeden Zuzug persönlich begrüßt und aufgesucht.
Ein Kaffeehaus allein ist zu wenig, um eine Gemeinschaft zu bilden.” Oft braucht es mehrere Generationen, bis Bewohner eine Identität entwickeln. Dazu Gnilsen: „In die Seestadt werden tausende Personen aus den verschiedensten Regionen und Konfessionen ziehen. Sie alle sind entwurzelt. Den abgedroschenen Heimatbegriff braucht dort niemand, Heimat ist einfach dort, wo sie zu Hause sind. Die Gemeinschaft sind die Mitmenschen. Es ist wichtig, religiöse Räume in die Planung einzubeziehen. Diesen Beitrag können wir leisten und anbieten. In der Seestadt wurde an alles gedacht, vom Krankenhaus bis zur Schule, nicht jedoch an Sakralräume. Und 75 Prozent der Menschen sind religiös oder haben einen Bezug dazu, dennoch hat das in der Planung der Seestadt keine Berücksichtigung gefunden. Nun ist es so weit.”
Anforderung an Sakralräume
Ottokar Uhl fasste 1969 die Anforderungen an Sakralräume zusammen: Erweiterbarkeit, Veränderbarkeit, Flexibilität, Demontierbarkeit und Mobilität. Was gilt heute? Die präzise Antwort von Harald Gnilsen: „Die Anforderungen sind andere als für einen profanen Raum. ‚Profan‘ kommt von ‚profanus‘ und heißt so viel wie ‚ungeheiligt, gemein, ruchlos‘. Also eigentlich ‚sich vor dem Heiligtum befindend‘. Der Begriff setzt sich aus dem lateinischen ‚fanum‘, ‚heiliger Ort‘, und dem Präfix ‚pro‘, ‚vor‘, zusammen, bezeichnet also die Eigenschaft von Objekten oder Handlungen, die nicht im Zusammenhang mit einem Kult stehen und keine rituelle oder religiöse Bedeutung zu tragen haben. Ein Sakralraum muss ein festlicher Versammlungsort für die Gemeinde sein, in dem diese sich erheben kann. In ihm muss man sich auch allein wohlfühlen und kontemplativ sein können. Er muss sich akustisch für Sprache und Musik eignen und braucht einen langen Nachhall. Hierzu ist auch die Lichtführung wichtig. Alles unheimlich spannende Pole. In der katholischen Liturgie werden ja alle Sinne angesprochen, der Geschmackssinn mit Brot und Wein, der Geruchssinn mit Weihrauch, die Optik durch Kirchenraum und Licht, dazu die Musik und – nicht zu vergessen – die Haptik über die Materialität der Oberflächen.”
Gnilsen sieht bei multifunktionalen Räumen durchaus auch Problempunkte: „Wenn man bei Veranstaltungen den Altar hinter einem Vorhang versteckt oder bei Pfarrfesten die Tombola in Form eines Schweinskopfs auf dem Altar ablegt. Das hab ich mit eigenen Augen gesehen, da wird’s für mich problematisch. Oder wenn man am nächsten Tag bei der Messe noch den Zigarettenrauch riecht. Man wird auch in Zukunft zwischen Profan- und Sakralräumen klar unterscheiden müssen.” Einen Einheitsraum für alle Konfessionen kann es seiner Meinung nach nicht geben, jeder Raum hat eigene Anforderungen und Symbole. „Religion wählt in irgendeiner Form die bildliche Darstellung. Gott aber ist nicht darstellbar. Also kann man sich nur mit Symbolen behelfen. Ein Symbol ist ein wesentlicher Faktor, um sich in der Religion ausdrücken zu können, um sich wiederzufinden. Egal ob Kreuz, Davidstern oder Sichel. Mir steht es nicht zu, die Symbole der anderen auszublenden.”
Multikonfessionell am Hauptbahnhof
Neben dem Projekt der Seestadt Aspern ist gerade ein multikonfessioneller Sakralraum beim Hauptbahnhof in der Ausführungsphase. Er entsteht in Kooperation mit evangelischen und orthodoxen Gemeinschaften und wird auch gemeinsam betrieben werden. Nutzen kann man ihn sowohl für Veranstaltungen wie für Messen, und er eignet sich für die intime Kontemplation. Gestaltet ist er als ellipsenförmiger Gebetsraum mit einem Innen- und Außenbereich für 30 Personen. Er liegt gut sichtbar am Rande der Shopping-Mall. „Wir müssen Präsenz zeigen, wenn 200.000 Pendler pro Tag den Hauptbahnhof benutzen, auch für die Menschen, die am Bahnhof arbeiten”, sagt Gnilsen. Kooperationen gibt es auch bei Andachtsräumen in Krankenhäusern, wie es etwa im Krankenhaus Wien Nord einen in Form eines christlichen Andachtsraums, eines Gebetsraums für Muslime und eines Bethauses für den jüdischen Glauben gibt. Alle verfügen über einen gemeinsamen Vorbereich und ein gemeinsames Büro für die Verwaltung.
Denkmalpflege und Sanierung
Doch die Hauptaufgabe der Baudirektion ist die Sanierung des Bestandes. Zur Erzdiözese Wien gehört auch das östliche NÖ, gesamt 660 Pfarren, 1.000 Kirchen, 2.000 profane Objekte. Pro Jahr zählt man österreichweit 450 Bauprojekte und 25 Millionen Euro Bauvolumen, etwa 120 Millionen fließen in die Erhaltung und Denkmalpflege, gesamt also Ausgaben von 140–150 Millionen Euro jährlich. Die Verantwortung für deren Erhaltung liegt bei den Pfarrgemeinden, mit Unterstützung der Erzdiözese, bei deren wenigen Mitarbeitern und acht Baureferenten. Und Denkmalpflege ist besonders teuer, sie ist arbeitsintensiv. „Bei einem Neubau liegt der Lohnanteil bei 30 Prozent, der Materialanteil bei 70 Prozent, in der Denkmalpflege ist es genau umgekehrt”, verrät Gnilsen.
Das größte Problem ist also die Finanzierung. Die Einnahmen aus Kirchenbeiträgen sinken. „Auch die Förderungen sind alle rückläufig. Wir haben von der Stadt Wien vor Weihnachten leider sehr schmerzhafte Einbußen erfahren müssen. Man wird nicht umhinkönnen, über den Umgang mit unserem Kulturerbe nachzudenken. Das sehe ich überhaupt als ein großes Manko. Ich möchte der modernen Architektur keinesfalls die Legitimation absprechen, aber Touristen suchen etwa in Wien in erster Linie das Flair des historischen Bestands. Ich bin der Überzeugung, dass unsere kulturelle Identität nicht in der unbebauten Landschaft liegt, sondern in der Kultur. Daher ist für die Verständigung mit anderen Kulturen die Kenntnis und Festigung der eigenen unabdingbar.”
Probleme: Ikonen der Sechzigerjahre
Leider gibt es gerade mit den baukünstlerischen Ikonen der Sechziger- und Siebzigerjahre große Probleme. „Sie zu erhalten oder zu sanieren ist am schwierigsten, da die Anforderungen sich verändern. Nehmen wir die Kirche in Oberbaumgarten von Johann Georg Gsteu von (1963–1965). Da wurde von den konstruktiven Berechnungen her alles ausgereizt, da gibt es keine Reserven. Die Anforderung an die Einhaltung der Schneelastnorm hat sich etwa vergrößert. Und wie sich herausgestellt hat, ist die Flachdeckung nicht UV-beständig. Man kann die Dachdeckung nur eins zu eins ersetzen, wohl wissend, dass diese in 20 Jahren erneut kaputt ist. Alternativ könnte auch ein tauglicheres Material, das höhere Lasten tragen kann, verwendet werden, allerdings hält das die Konstruktion nicht aus.
Somit muss der Schnee händisch entfernt werden. Das sind kritische Probleme. In der 1969 bis 1970 von Josef Lackner errichteten Kirche beispielsweise stand eine Betonsanierung an. Damals fehlte noch die Erfahrung, dass Leca-Beton für die Bewährung schädlich ist. Sichtbeton mit Leca lässt den Sauerstoff bis zum Eisen durchdringen, das Eisen rostet und sprengt den Beton ab. Bei diesem Bau bildete jedoch die Brettstruktur der Schalung ein wesentliches Gestaltungselement. Es musste also auf dem sanierten Beton die Brettstruktur mühsam händisch simuliert werden. Das wurde nur am vorderen Kopfteil durchgeführt, der Rest erhielt einen Vollwärmeschutz, was die Architektur veränderte. Anders war es aber wirtschaftlich nicht möglich.”
Die mobile Montagekirche von Ottokar Uhl hingegen musste leider profanisiert werden und wird heute als Lager genützt. Eine andere Lösung war nicht finanzierbar. Ein paar größere Objekte stehen akut an wie die Kirche Maria vom Siege nach Entwürfen von Friedrich Schmidt, 1868 bis 1875 errichtet, und die Kirche in Rudolfsheim. Die Sanierung dieser Ziegelbauten kostet unheimlich viel Geld.
Ausstellungstipp:
Architekt Matthias Mulitzer: ORTE, RÄUME UND BAUWERKE
Initiative Architektur im Künstlerhaus
Hellbrunner Straße 3, 5020 Salzburg bis 11. April
Öffnungszeiten: Dienstag–Freitag: 12.00 Uhr – 18.00 Uhr
Führung: Donnerstag, 27. März 2014, 17.30 Uhr