Kommentar
Künstliche Intelligenz in der Gebäudehülle
Die ursprüngliche Aufgabe der Gebäudehülle, den Schutz der sich im Gebäude befindlichen Personen und Gegenstände sicherzustellen, wird als Grundvoraussetzung angesehen und ist längst nicht mehr im Fokus der Gesellschaft. Vielmehr diskutieren wir, welchen Zusatznutzen wir durch die Gebäudehülle erhalten können. Die Energiegewinnung steht da im Vordergrund, gefolgt von ökologischen Themen wie Wasserrückhaltung sowie Kühleffekte im Sommer durch Dach- und Fassadenbegrünung. Auch soziale Aspekte abzudecken, wie sie Freizeit- und Gartenflächen am Dach ermöglichen, sind urbane Anliegen.
Im Hintergrund tut sich dazu noch ein riesiges Spannungsfeld auf, wollen doch zahlreiche Anforderungen Berücksichtigung finden: Damit Bauen auch leistbar bleibt, muss kostenoptimiert agiert werden, damit ökologische Themen nicht zu kurz kommen, sollen Baustoffe einerseits langlebig, biologisch unbedenklich und möglichst wiederverwertbar sein, und in der Handhabung benötigen wir einfach und universal zu verarbeitende Produkte, da Facharbeiter*innen Mangelware sind.
Es ist heute einem/einer Planer/in oder ausführenden Unternehmen kaum möglich, sämtliche fachspezifischen Informationen zu recherchieren, geschweige denn zu lesen und somit beachten zu können.
Flut an Normen und Richtlinien
Das bedarf einer Vielzahl an Richtlinien. Im europäischen Raum entstehen täglich Normen und Richtlinien, die sich laufend nach dem Stand der Technik ändern. Dadurch ist sowohl in der Planung als auch in der Ausführung ein permanentes Wissens-Update notwendig. Realistisch ist das aber von keinem Bauschaffenden zu verlangen – wodurch sich eine Vielzahl juristischer Themen ergibt.
Denn in den überwiegenden Fällen schuldet man dem Auftraggeber eines Projekts, dieses nach dem Stand der Technik zu realisieren. Wenn man nun nach den in Österreich vielzitierten ÖNormen ausführt, ist es möglich, dass diese nicht den Stand der Technik abbilden. Denn Information und Wissen, Vorschriften und Empfehlungen sind in unzähliger weiterer Literatur niedergeschrieben. Fazit: Es ist heute einem/einer Planer*in oder einem ausführenden Unternehmen kaum möglich, sämtliche fachspezifischen Informationen zu recherchieren, geschweige denn zu lesen und somit beachten zu können. Der Stand der Technik würde dies aber erfordern.
Und schließlich ist der/die Planer*in oder das ausführende Unternehmen durch das Allgemeine bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) dazu verpflichtet, dass das bestellte Gewerk den bedungenen und zu erwartenden Eigenschaften entspricht. Zitat aus dem ABGB: "Wird der geschuldete Erfolg nicht erreicht, obwohl die Sache nach dem 'Stand der Technik' hergestellt wurde, so ändert dies nichts an der Mangelhaftigkeit der Leistung."
Ist die Lösung künstliche Intelligenz?
Die Medien berichten in den letzten Monaten verstärkt über künstliche Intelligenz (KI), die uns im Alltag, beim Studium und in der Arbeit viele Antworten auf Fragen geben soll. Bei näherer Betrachtung der KI stellt sich heraus, dass sehr schlaue Algorithmen viele Datenquellen in der Cloud anzapfen und die Ergebnisse in lesbare Sätze zusammenführen. Für individuelle spezifische Problemlösungen ist KI aber meist (noch) keine vertrauensvolle Datenquelle.
Für die Planung, Ausführung und insbesondere die Gewerkekoordination innerhalb der Gebäudehülle wird es nicht ausbleiben, dass wir in Zukunft auf verständliche und sofort verwertbare Informationen angewiesen sind. Denn derzeit wird bei der Online-Suche nach Informationen nur Literatur vorgeschlagen, aber keine konkreten Maßnahmen für Planung oder Ausführung. Das bedeutet, wir müssen auf europäischer Ebene unzählige Schriftstücke lesen, um die eigentliche Frage beantworten zu können. Da wäre es tatsächlich eine enorme Zeitersparnis, wenn wir fachspezifische KI nutzen könnten. Diese wird in absehbarer Zeit zwar wahrscheinlich keine individuellen Detailplanungen vornehmen können, aber uns als Wissensquelle für diese Detailplanungen dienen.
Für den/die Planer*in und den/die Handwerkerker*in muss mit vernünftigem Zeitaufwand eine technische Einschätzung der unterschiedlichen Schnittstellen möglich sein.
(Daten)Vernetzung forcieren
Die Datenvernetzung hat also schon längst begonnen und wird laufend mit neuen Daten gefüttert. Gut und wichtig wäre es, hier auch das Handwerk einzubeziehen. Dass dieser Schritt bereits heute notwendig ist, wird am Beispiel der Richtlinie Bodentiefe Fenster- und Türanschlüsse klar, die mehrere Gewerke umfasst (Bauwerksabdichtung, Türenindustrie, Montageunternehmen, Fassadenbau, Haustechnik, Pflasterung/Holzlattenrost, Spengler etc.) und sie koordiniert. Um diesen Anschluss fachgerecht herstellen zu können, reicht es einfach nicht mehr aus, nur gewerkespezifische ÖNormen zu kennen.
Am Beispiel von Flachdächern werden wir bereits heute, und in Zukunft noch mehr, mit gewerkeübergreifenden Ausführungen konfrontiert, die die vielfältige Nutzung von Dächern ermöglicht. Und für den/die Planer*in und den/die Handwerkerker*in muss mit vernünftigem Zeitaufwand eine technische Einschätzung der unterschiedlichen Schnittstellen möglich sein. Nur dann können wir Bauschäden reduzieren.
Fazit
Schon jetzt gewinnen wir Messdaten von errichteten Bauteilen, wie z. B. aus dem Flachdachmonitoring. Unser Ziel muss es sein, diese realen Informationen in Simulationsberechnungen einfließen zu lassen, um daraus nutzbare Daten zu gewinnen. Denn speziell das Themenfeld der Bauphysik basiert auf Simulationsberechnungen, wo die Abgrenzung zwischen dem Stand der Technik und dem Stand der Wissenschaft nicht immer eindeutig ist. Datenfeedback von bereits genutzten Gebäuden würde diese Simulationsberechnungen laufend optimieren. Daraus könnte künstliche Intelligenz entstehen, die Planer*innen und Handwerker*innen wirklich unterstützt.
(bt)