Neues Leben im alten Gemäuer
So geht Bauen im Bestand: Ein mittelalterliches Haus im Herzen von Zwettl wurde vom Waidhofener Architekturbüro w30 in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt behutsam modernisiert. Wir sprachen mit Architekt Andreas Bösch über das Projekt „Sonnentor Stadtlofts“.


Architektur und Bau FORUM: Wie gelingt es, den alten Baubestand in ein harmonisches Gleichgewicht mit modernen Ansprüchen zu bringen und ökologische und ökonomische Aspekte auszutarieren?
Andreas Bösch: Durch die Kombination von nachhaltigen Baumaterialien und logische Technologien haben wir die richtigen Systeme in die alten Gebäude eingesetzt. Alle Wege und den ökologischen Footprint konnten wir durch die Kooperation mit regionalen Partnern möglichst klein halten.
Ist es beim Bauen im Altbestand mit natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen und recycelten Materialien manchmal schwierig, Materialien zu erhalten, die dem Zeitalter der Gebäudeentstehung entsprechen? Grundsätzlich ist es nicht schwierig, doch bei manchen Bauherren braucht es Überzeugungsarbeit. Einen Riesenvorteil hatten wir durch den Standort. Bauherr Johannes Gutmann, der Chef von Sonnentor, besitzt eine große Sammlung historischer Baustoffe. Außerdem konnten wir aus dem Gebäude selbst viele Materialien herausziehen.
Wir haben alle Dachboden- und Normalformatziegel wiederverwendet. Recycelte Fliesen hatten wir aus einer Schule und aus einem Spital aus Wien. Gutes Holz war vorhanden. Aufgrund der lokalen Gegebenheiten konnten wir einen hohen Recyclinganteil erzielen.
Man begegnet häufig einer gewissen Skepsis, wenn man Materialien aus dem Rückbau von Gebäuden wiederverwendet, das sei teurer und aufwändig…
Es heißt auch häufig, jedes historische Gebäude sei feucht. Das würde ich in die Welt der Mythen einordnen. Recycelte und nachwachsende Materialien sind nicht teurer und nicht schwerer zu bekommen. Wir haben in Niederösterreich große Lehmvorkommen. Und es gibt unzählige Dachböden, wo Ziegel herumliegen, Hölzer kann man wiederverwenden. Es gibt einen großen Pool, auf den man zurückgreifen kann. Das macht es uns leicht, auf diese Weise zu bauen.
Im Laufe der Zeit entwickelt man ein Netzwerk. Wenn man mit lokalen, regionalen Partnerfirmen arbeitet, verkürzt man die Lieferketten und hat kurze Wege. Das funktioniert alles gut.
Respekt vor der Bausubstanz zu bewahren ist das Um und Auf.
Andreas Bösch
Dennoch werden neue Bauten häufig als beste Lösung angepriesen. Wie geht man mit dem Widerstand um, mit dieser gesamten Skepsis, die oft im Mainstream-Bauwesen herrscht?
Es kostet Überzeugungsarbeit – die ist immer wieder notwendig, denn die genannten Meinungen sind verbreitet. Es ist außerdem nicht für jeden das richtige, historische Gebäude zu restaurieren und zu bewohnen. So ein Gebäude wie das Sonnentor Stadtloft ist nicht für jedermann gemacht.
In der Argumentation muss man die wirtschaftlichen Vorteile überzeugend darlegen und herauskehren. Wir legen Wert darauf, dass wir im Sinne der Nachhaltigkeit glaubwürdig arbeiten. Wir können zudem mit zahlreichen Referenzprojekten punkten. Für uns besteht einer der wichtigsten Aspekte darin, von Seiten der Bauherren eine starke emotionale Bindung zum Gebäude zu erzeugen. Das bedeutet konkret, sich mit Materialien, Topografie
und Umland zu beschäftigen, und so einen Bezug herzustellen.
Selbstverständlich muss man transparent auf die möglichen Risken hinweisen, abschätzen, was zu erwarten ist, einen Rahmen abstecken. Wir sagen im Vorhinein, was passieren könnte. Es ist jedes Mal eine individuelle Beratung. Es gehört zu unserem Credo, dass das Projekt für den oder die Bauherrin das Richtige sein muss. Manchmal schafft man es trotz fundierter Überzeugungsarbeit nicht.

Welche Bauherren, Bauherrinnen wären nicht geeignet? Sind das Menschen, die urbane Luxuswohnungen haben wollen?
Man kann keinen Querschnitt drüberlegen. Den klassischen Bewohner eines restaurierten historischen Gebäudes könnte ich nicht nennen. Mit vernünftig eingesetzter moderner Technik kann man den Altbestand urban gestalten.
Welche Ansätze verfolgen Sie, um den historischen Charakter zu bewahren und gleichzeitig den Status Quo 2025 und Nachhaltigkeitsstandards zu erreichen?
Beim Umbau eines historischen Gebäudes ist der Respekt vor der Bausubstanz wichtig. Wenn irgendwo schöne, alte Gewölbe sind, ist völlig klar, dass man diese nicht verändern kann. Man muss flexible Grundrisslösungen anstreben und hat kein Normschema. Das macht den Charme eines solchen Gebäudes aus. Wir bauen moderne Technik sensibel ein. Nicht zu viel, immer dem System angepasst.
Man muss herausfinden, aus welchen Baumaterialien das Gebäude besteht, entscheiden, ob man diffusionsoffen oder nicht arbeitet. Natürliche Materialien, beispielsweise Lehmputze können den Feuchtigkeitshaushalt gut transportieren.
Man trachtet danach, die Räumlichkeiten individuell und benutzergerecht zu legen. Manches ist aufgrund der Gegebenheiten des Gebäudes nicht möglich – dann geht es wieder um Überzeugungsarbeit. Respekt vor der Bausubstanz zu bewahren ist das Um und Auf.
In der Überzeugungsarbeit beziehen Sie den gesamten Lebenszyklus von Materialien bzw. Baustoffen ein. Bei Abriss wird der Verlust ja nicht einberechnet. Wie stellen Sie das dar?
Man argumentiert mit Lieferketten, Kilometern und der Wiederverwendung von Baumaterialien. Dazu kommt, dass jedes Gebäude eine eigene Geschichte und einen eigenen Charakter hat. Es gilt, das Gleichgewicht zu wahren.
Welche Möglichkeiten haben Sie, in alten Gebäuden nachhaltige Energiesysteme, wie Solar- oder Wandheizungen oder Erdwärme, einzubauen?
Es spricht nichts gegen Fußbodenheizungen oder Bauteilaktivierungen. Oft kann man in einer Innenstadt, in Schutzzonen oder denkmalgeschützten Gebäuden keine Dämmungen anbringen. Für solche Fälle gibt es natürliche Alternativen, etwa Innendämmungen mit Schilfmatten. Wir arbeiten gerne mit Lehmputzen. Mit den Vorteilen dieser Materialien hat man Bandbreite, um nachzuspüren, was man in die Jetztzeit transferieren kann. Es ist kein Problem, Komfort herzustellen.
Als Architekt können Sie besser vorhersehen, was bei der Restaurierung passieren könnte, als eine Privatperson. Dennoch kann es Überraschungen geben. Kommt es auch vor, dass jemand sagt, dann reißen wir lieber ab?
Allwissend sind wir natürlich nicht. Man weiß in etwa, was ein Gewölbe, was das Mauerwerk kann. Wir hatten noch nie den Fall, dass jemand aufgegeben hat. Ganz im Gegenteil, der Diskurs ist spannend, wenn man beispielsweise Putze runternimmt und es kommt unerwartet ein wunderschöner Werkstein zum Vorschein. Dann muss man kurzfristig reagieren. Zum Abriss ist es zum Glück noch nie gekommen. Im Gegenteil, es sind durch Überraschungen immer lässige, alternative Lösungen entstanden.
Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass durch Ihre Vermittlung die Bauherren, Bauherrinnen schon eine emotionale Bindung zum Gebäude aufgebaut haben.
Das ist das Um und Auf, ansonsten ist es vergebene Liebesmüh.
Wie kann man offiziell dafür sorgen, dass Altbestand mehr geschützt, erhalten und weiter genutzt wird? Gerade beginnt es sich zum Beispiel in Niederösterreich durchzusetzen, dass in historischen Städten sogenannte Schutzzonen errichtet werden. Dann ist beispielsweise ein einfacher Abbruch vom gesetzlichen Rahmen her nicht mehr durchführbar. Bis dato hatte eine Baubehörde keine Handhabe gegen Abbruch. Jetzt kann man Richtlinien verankern, auch für Dach- oder Fenstergestaltung, Putze – ohne dass wir dann alle in einem Museum leben.
Gilt dieses Gesetz jetzt schon?
In vielen Städten gilt es schon, es wird kommunal mit der Landesregierung erstellt. Da sind wir auf einem guten Weg.
Manchmal stehen historische Gebäude unter Denkmalschutz. Welche Erfahrungen haben Sie damit?
Wir befürworten, dass Gebäude unter Denkmalschutz stehen, denn das gibt einen Rahmen vor. Das Denkmalamt bietet gute Schulungen für uns alle an. Austausch und Zusammenarbeit funktionieren und sind befruchtend.
Das heißt, von dieser Seite wird mehr Bewusstsein geschaffen.
Ja, es ist ein Ort von Bewusstseinsbildung für Bauherren, Handwerker, Planer, in Wahrheit für die ganze Bevölkerung.
Vielen Dank für das Gespräch!
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