Digitalisierung

Daten sind das Gold der Zukunft

Nachhaltiges Bauen
10.05.2022

Gebäude sind für einen großen Anteil an CO2-Emissionen verantwortlich. Um die Klimaziele zu erreichen, muss hier schnellstens nachgebessert werden. Nachhaltigkeit im Gebäudesektor erfordert aber vor allem eines: die durchgängige Digitalisierung aller relevanten Daten.
Matthias Ortner

Matthias Ortner ist Partner beim Beratungsunternehmen Advicum. Er beschäftigt sich im Besonderen mit den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit am Bau. Im Interview mit der Bauzeitung verrät er Spannendes bezüglich der Rolle der Digitalisierung in der Bauwirtschaft, der Bedeutung von für alle verfügbare ­"Datenteppichen" und der Zukunft der Nachhaltigkeit in Anbetracht von Pandemie und Kriegsszenarien. 

Wie rasch muss Nachhaltigkeit am Bau passieren?

Matthias Ortner: Je schneller, desto besser. Immobilien sind für einen substanziellen Teil des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Wir können die Klima­ziele nicht erreichen, wenn Immobilien nicht entsprechend geplant beziehungsweise nachgerüstet werden. Faktum ist, dass bereits bei allen Bauprojekten, die jetzt noch in der Planungsphase sind, Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden müssen. Denn nach Fertigstellung werden sich die Fragen stellen: Ist die Immobilie State of the Art, erfüllt sie alle Anforderungen, wird sie Wertverluste hinnehmen müssen, weil gewisse Dinge nicht berücksichtigt wurden?

Wieso ist die Digitalisierung für die Nachhaltigkeit am Bau so wichtig?

Ortner: Es braucht maschinenlesbare Daten und einen gewaltigen Datenteppich, damit Nachhaltigkeit funktioniert. Es gibt zum Beispiel bei der Kreislaufwirtschaft Initiativen, die Masse und Güte der zurückgewonnenen Rohstoffe in Datenbanken erfassen. Das ist ein guter Ansatz. Wenn Abrisse früh genug in eine zentrale, digitalisierte Datenbank, die für alle Professionisten verfügbar ist, eingepflegt werden, wird es richtig interessant. Denn wenn ich weiß, für mein Bauprojekt stehen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft diese Materialien zur Verfügung, kann ich das schon in meiner Planung berücksichtigen. Das Timing ist bei dem Thema Nachhaltigkeit/Digitalisierung sehr wichtig. Ich muss mir schon in der Errichtungsphase überlegen, welche Daten brauche ich, wie diese geliefert und verknüpft werden müssen, damit ich in der Lage bin, eine Immobilie über den gesamten Lebenszyklus so zu steuern, dass sie nachhaltig ist beziehungsweise dass ich weiß, wann ich nachrüsten muss. Aber nicht jede ­Digitalisierung ist nachhaltig und macht auch Sinn. Es gibt drei Säulen, die man bei der digitalen Nachhaltigkeit berücksichtigen muss: Hat es einen ökologischen Effekt, ist es wirtschaftlich und ist es auch sozial, bringt also mehr Qualität für den Nutzer? 

Wie viel bringt BIM für die nachhaltige Digitalisierung?

Ortner: BIM ist ein mächtiges Tool, aber immer noch größtenteils eine Anwendung für Planer, und es verliert sich dann leider während der Umsetzung und im laufenden Betrieb. Daran muss man arbeiten, BIM muss das Steuerungstool werden, mit dem man alle Ist-Daten-Modellierungen vornehmen kann. Aktuell sind die größten Effekte der Digitalisierung in Bezug auf Nachhaltigkeit im Betrieb der Immobilie verankert, also in der täglichen Bewirtschaftung. Wir arbeiten daran, dass die unterschiedlichen Marktteilnehmer gut kommunizieren und sich austauschen. Nur gemeinsam werden wir Erfolg haben.

Wer forciert Nachhaltigkeit am Bau? Spielen Taxonomie-Verordnung und ESG eine Rolle?

Ortner: Die Immobilienbranche ist relativ spät aufgewacht, was das Nachhaltigkeitsthema angeht. Hier ist viel Greenwashing passiert, und oft hat man den Satz "Nachhaltigkeit muss man sich leisten können" gehört. Inzwischen wird den meisten Verantwortlichen klar, dass Nachhaltigkeit sogar wirtschaftliche Vorteile bringt. Mit Sicherheit hat die EU-Taxonomie-Verordnung das Thema lanciert. Das ist sozusagen die Grobtendenz. Man erfüllt die Mindest­anforderungen. Der große Treiber neben der EU-Taxonomie ist aber ein Wertewandel in der Gesellschaft. Die Investoren setzen massiv auf die unterschiedlichsten Stufen von Nachhaltigkeitsinvestments. Die Allianz hat zum Beispiel propagiert, dass sie ab 2030 nur noch nachhaltige Investments macht. Es gibt inzwischen Studien, die aussagen, dass eine Immobilie, die Nachhaltigkeitsanforderungen nicht erfüllt, massive Wertverluste hinnehmen werden muss. Die Schätzungen zu diesen Verlusten belaufen sich auf sieben bis 14 Prozent. Ein Gebäude, das 100 Million kostet, verliert dann sieben bis 14 Millionen. Das sind schon Beträge, über die man sich Gedanken machen muss. 

Alle sind im Überlebensmodus, Nachhaltigkeit wird von vielen nicht als Lösungsmodell angesehen. Langfristig wird das Thema aber seine Bedeutung zurückgewinnen.

Matthias Ortner, Advicum

Die Investoren fordern Nachhaltigkeit bei den Bauprojekten ein?

Durch die Taxonomie wurde der Druck prinzipiell erhöht, aber auch die Investoren verlangen inzwischen dezidiert die Umsetzung von nachhaltigen Vorgaben. Ich bin sicher, dass dieser Druck auch im Bestand kommen wird und nachgerüstet werden muss.

Wie wird das bei Bestandsgebäuden aussehen?

Ortner: Es gibt natürlich auch hier eine Reihe von Maßnahmen, die man setzen kann und die gute Energie-Einsparungspotenziale eröffnen. Das einfachste Nachrüstungstool bei Bestandsgebäuden ist Smart Metering. Aber man darf in dem Zusammenhang nicht vergessen: Man kann hier sehr grob drei Arten von Gebäuden plakativ unterscheiden. Einmal der Neubau, hier hat man fast alle Möglichkeiten, dann der jüngere Neubau (30 bis 50 Jahre alt), wo schon ein wenig Technik verbaut wurde, hier kann man schon gut nachrüsten, und dann das Gründer­zeithaus. Bei Letzterem ist es am schwierigsten. Machbar ist alles, aber die Frage ist, ob es auch wirtschaftlich darstellbar ist. Wenn es allerdings zukünftig von Investoren auch beim Altbau gefordert wird, dann wird auch hier der Druck größer werden, und schlussendlich wird es dann auch umgesetzt werden. Das wird allerdings noch dauern.

Wie kompatibel ist die nötige Software?

Ortner: Daten sind das Gold der Zukunft. Gold gewinnt an Wert, wenn es Mangelware ist. Daten gewinnen an Wert, wenn sie in Massen vorhanden sind und wenn Sie verknüpft werden. Solange alle auf ­ihren Daten sitzen und keine offenen ­Schnittstellen zur Verfügung stellen und man die Daten nicht vernünftig auslesen kann, funktioniert es nicht. Es bedarf de facto eines Data-Lakes, in dem Daten aus unterschiedlichen Quellen über Schnittstellen eingespielt werden und verknüpft werden. Dadurch entsteht ein maschinenlesbarer Datenteppich, mit dem man Muster und Anomalien in einer Vielzahl von Daten­kombinationen identifizieren kann. Letztendlich geht es darum, Muster und Anomalien frühzeitig zu erkennen und steuernd einzugreifen.

Wie weit ist die Baubranche bei den ­Themen ­Digitalisierung und Nachhaltigkeit? Wie ­schätzen Sie die Zukunft dieser beiden Themenkomplexe ein?

Ortner: Wir haben viel nachzuholen, wir sind gerade dabei, fast panikartig, die EU-Taxanomie zu erfüllen. Die aktuelle Situation, ausgelöst auch durch die Krise in der Ukraine, hat eine massive Verlangsamung verursacht. Wie schon gesagt, oft heißt es immer noch, "Nachhaltigkeit muss man sich leisten können". Heute sind die großen Themen steigende Preise, Inflation, steigende Zinsen für die Finanzierung, hohe Baukosten etc. Meine Befürchtung ist, dass durch die Krise die ganze Sache an Bedeutung verliert. Nachhaltigkeit war, bevor der Ukraine-Krieg begonnen hat, ein massiver Treiber für die Immobilienbranche. Jetzt sind alle im Überlebensmodus, die Nachhaltigkeit wird von vielen nicht als Lösungsmodell angesehen. Langfristig wird es sich aber nivellieren, weil wir nicht darum herumkommen. Man muss sich eindringlich damit beschäftigen, von den ­fossilen Energiequellen wegzukommen, es wird auf jeden Fall in Richtung alternative Energiequellen ­gehen. Meiner Einschätzung nach hängt es davon ab, wie lange diese Krise dauert, aber langfristig wird das Thema seine Bedeutung zurückgewinnen.

Branchen
Bau