Neue Vertragsbestimmungen

Bauvertrag und ÖNorm B 2110

Norm
23.08.2023

Mit 1. Mai 2023 wurde die ÖNorm B 2110 "Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen" neu aufgelegt. Davor ist das neue Gewährleistungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz in Kraft getreten, was zu Änderungen in Konsumenten- und Verbrauchergesetzen führte. Daraus resultieren auch elementare Änderungen für die Baubranche.
Komplexes Thema Bauverträge. Viele Verträge und AGB bauen auf der ÖNorm B 2110 "Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen" auf. Im Mai wurde sie neu aufgelegt.
Komplexes Thema Bauverträge. Viele Verträge und AGB bauen auf der ÖNorm B 2110 "Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen" auf. Im Mai wurde sie neu aufgelegt.  

Im Vorwort der neuen ÖNorm B 2110 "Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen" sind die zahlreichen Änderungen genannt. Demnach ergibt sich eine neue Struktur des Abschnitts 4.2.2 (Angaben im Rahmen der Ausschreibung), ein Verschieben von Abschnitt 5.9 in einen neuen Abschnitt 12 "Streitigkeiten", ein Verschieben der Thematik "Vertragsstrafe" von 6.5.3 nach 11.3 "Schadenersatz und Vertragsstrafe", die ersatzlose Streichung von 6.5.2 "Fixgeschäft" und Abschnitt 11 "Schlussfeststellung", eine Überarbeitung von Abschnitt 5.8 "Rücktritt vom Vertrag" sowie eine Präzisierung der einzelnen Anforderungen an die Leistungsabweichung und ihre Folgen (Abschnitt 7). Die Aufnahme von zwei Anhängen, die wegen fehlender breitflächiger Relevanz wohl nur ein Minderheitenprogramm darstellen werden, spricht auf den ersten Blick auch nicht für einen großen Wurf (Anhang A "Value Engineering", Anhang B "Bonusregelung").
Tatsächlich enthält die Norm jedoch rund 80 geänderte Abschnitte bzw. Unterabschnitte. Der Bogen der Änderungen erstreckt sich von verbesserten Formulierungen bis hin zu essenziellen Änderungen.
Essenzielle, im Vorwort der Norm gar nicht genannte Änderungen, betreffen z. B. Abschnitt 11.2 "Gewährleistung", den neuen Abschnitt 5.2.6 "Informationsrechte der Vertragspartner" oder den bisherigen Abschnitt 5.9 "Streitigkeiten", der komplett geändert wurde und unter anderem auch den Entfall des bisher als verbindlich vorgesehenen Schlichtungsverfahrens umfasst. Für die Praxis mag auch noch interessant sein, dass die Bestimmungen über den Waagriss als Nebenleistung einer Überarbeitung unterzogen wurde. Durchgängig wurden in vielen Abschnitten sprachliche Verbesserungen vorgenommen, sie alle aufzuzählen würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. (Anm. d. Red.: Sämtliche Änderungen sind ausführlich im neu erschienen Buch des Autors erfasst und kommentiert – siehe Buchhinweis am Ende des Artikels).

Für Bauverträge kommen aber noch weitere Änderungen zum Tragen, die im Folgenden erläutert werden.

Das neue Gewährleistungsrecht

Mit 1. Jänner 2022 ist das Gewährleistungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (GRUG) in Kraft getreten. Es gilt für Verträge, die nach dem 31.12.2021 abgeschlossen wurden. Das österreichische Gewährleistungsrecht wurde damit umfassend neugestaltet. Die Umsetzung erfolgte im neuen Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG) sowie in Änderungen des ABGB (§§ 932, 933 und 933b ABGB) und des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG). Leider wurde damit die Rechtslage unübersichtlicher. Die Anwendung der jeweils konkreten Norm (ABGB, KSchG, VGG) hängt davon ab, welche Personen welche Verträge über welche Inhalte abschließen.
Vorweg kann festgehalten werden, dass das VGG bei Bauwerkverträge nur im Bereich smarter Steuerungen eine Relevanz haben kann (Aktualisierungspflicht der Software). Wesentlich relevanter ist die neue Verjährungsfrist.

Eine wichtige Änderung betrifft die Verjährungsfrist, die nun um drei Monate über die Gewährleistungsfrist hinausreicht.

Andreas Kropik

Neue Verjährungsfrist für Mängel

Eine wichtige Änderung betrifft die Verjährungsfrist, die nun um drei Monate über die Gewährleistungsfrist hinausreicht. Mängel, die innerhalb der Gewährleistungsfrist hervorgekommen sind, können noch innerhalb von drei Monaten nach deren Ende geltend gemacht und auch noch gerichtlich eingeklagt werden. Für Auftraggeber*innen (AG) stellt das eine erhebliche Erleichterung bei der Durchsetzung von Ansprüchen dar.
Damit Gewährleistung überhaupt geltend gemacht werden kann, muss erstens ein Mangel, der als Abweichung vom Geschuldeten definiert ist, vorliegen, zweitens dieser innerhalb der Gewährleistungsfrist zu Tage getreten sein und drittens feststehen, dass der Mangel, zumindest vom Ansatz her, bereits zum Zeitpunkt der Übernahme vorhanden war. Der/die AG ist für alle drei Punkte beweispflichtig.
Für den dritten Punkt sehen Gesetz und ÖNorm für sechs Monate nach der Übernahme jedoch eine Beweislastumkehr vor, sodass in diesem Zeitraum die Vermutung gilt, dass der Mangel zum Zeitpunkt der Übernahme bereits vorhanden war. Das neue Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG) dehnt für gewisse Verträge diesen Zeitraum auf 12 Monate aus. Obwohl das VGG für Bauwerkverträge praktisch keine Rolle spielt, gilt nach der Norm für Verbrauchergeschäfte die Dauer der Beweislastumkehr gemäß VGG, also 12 Monate.

Durch neue Judikatur haben Verbraucher*innen gestärkte Rechte. So macht die Verwendung einzelner sittenwidriger Klauseln rigoros alle Vertragsklauseln unwirksam.
Durch neue Judikatur haben Verbraucher*innen gestärkte Rechte. So macht die Verwendung einzelner sittenwidriger Klauseln rigoros alle Vertragsklauseln unwirksam.  

Zu beachten sind Aufklärungspflichten nach dem KSchG über das Rücktrittsrecht bei Verträgen, die nicht in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen wurden. Darunter fallen auch Vertragsabschlüsse auf elektronischem Weg wie Angebot und Beauftragung mittels Mail.

Andreas Kropik

Verbrauchergeschäfte nach dem KSchG

Für Unternehmer*innen, die mit Verbrauchern im Sinne des KSchG kontrahieren, sind auch die diesbezüglichen Anmerkungen zu Verbrauchergeschäften in der Norm relevant. Auch diese wurden zum Teil angepasst.
Aber auch abseits der ÖNorm B 2110 haben sich im Bereich des Konsumentenschutzes neue rechtliche Tendenzen entwickelt. Zu beachten sind Aufklärungspflichten nach dem KSchG über das Rücktrittsrecht bei Verträgen, die nicht in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen wurden. Darunter fallen nicht nur Vertragsabschlüsse beim Haustürgeschäft, sondern auch Vertragsabschlüsse auf elektronischem Weg wie Angebot und Beauftragung mittels Mail.
Zu beachten ist auch, dass Verträge klar, verständlich und ausgewogen formuliert sein müssen. Ausgewogen bedeutet etwa, dass nicht nur Materialpreiserhöhungen zur Weiterverrechnung vereinbart werden dürfen, sondern auch Senkungen zu einer Preisminderung führen müssen. Ob die gängigen Abrechnungsregeln der ÖNormen der Serien B 22xx und H 22xx konsumententauglich sind, darf bezweifelt werden. Der bloße Verweis auf solche Normen reicht jedenfalls für ihre vertragsrechtliche Geltung nicht aus. Diese Dokumente müssen Vertragspartner*innen mit Konsumenteneigenschaft auch zugänglich gemacht werden.

Gestärkte Rechte für Verbraucher*innen

Der EuGH hat in aktueller Judikatur eine Art Sippenhaftung für Vertragsklauseln statuiert. Ist ein Teil einer Klausel sittenwidrig und daher nichtig, erleiden auch die anderen Teile, selbst wenn sie für sich alleine zulässig wären, ebenfalls das Schicksal der Nichtigkeit. Mit diesem Abschreckungseffekt soll die Verwendung missbräuchlicher Klauseln eingedämmt werden. Diese Judikatur trifft nicht nur Großkonzerne, sondern auch Handwerksbetriebe.
Eine Klausel, die bei unberechtigtem Rücktritt des Kunden/der Kundin einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe von 20 % des Bruttorechnungsbetrags oder Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens vorsah, ist zur Gänze unwirksam (OGH 4 Ob 236/22t). Der Unternehmer begehrte nach ungerechtfertigtem Rücktritt gar nicht den pauschalierten Schadenersatz – der in Höhe von 20 % als sittenwidrig hoch und daher als nichtig anzusehen war –, sondern berechnete und forderte den Nichterfüllungsschaden gemäß der alternativen Möglichkeit. Weil ein Teil der Klausel (die Pauschale) unzulässig ist, konnte sich der Unternehmer auch nicht auf die alternative und rechtlich zulässige Anspruchsgrundlage stützen. Der ungerechtfertigte Vertragsrücktritt blieb für den Verbraucher daher ohne finanzielle Konsequenz. Paradox an der Entscheidung ist, hätte es keine diesbezügliche Klausel im Vertrag gegeben, wäre die gesetzliche, und in der Klausel auch alternativ genannte Regelung, ohnehin zur Anwendung gekommen (§ 1168 ABGB).
In einem anderen Fall war eine Klausel, die eine Preisanpassung nach dem Verbraucherpreisindex 1976 "bzw., sollte dieser Index nicht mehr verlautbart werden, nach einem Index der diesem Index am meisten entspricht", nichtig, weil sie nicht der im Verbrauchergeschäft notwendigen Eindeutigkeit und Klarheit entsprach. Alleine die unklare Bestimmung über den Ersatzindex („der am meisten entspricht“) bewirkte den Verfall der gesamten Klausel und damit auch der Wertsicherung (OGH 2 Ob 36/23t).

Bauvertragsrecht: komplex und wichtig

Die ÖNorm B 2110 ist für die Baupraxis relevant, bauen doch viele Verträge und AGB auf ihr auf. Weil die bisherige Fassung im Bezug zum GRUG erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugt, ist eine zeitnahe Umsetzung der Neufassung in der Praxis zu erwarten. In den letzten beiden Jahren ist die Judikatur bei Verbrauchergeschäften bezüglich unwirksamer Klauseln sehr restriktiv geworden. Verträge müssen diesbezüglich sensibel formuliert werden.
Bereits dieser kurze Abriss über die aktuellen Entwicklungen im Bereich des Bauvertragsrechts zeigt auf, wie wichtig eine eingehende Beschäftigung mit dem Thema ist.
(bt)

Neuerscheinung: Bauvertrags- und Nachtragsmanagement

Andreas Kropik, Univ.-Prof. (i.R.) an der TU-Wien, hat er die Neuauflage der ÖNorm B 2110 zum Anlass genommen, seinen Bestseller "Bauvertrags- und Nachtragsmanagement" einer umfassenden Aktualisierung und Neubearbeitung zu unterziehen. In diesem Buch zeigt er den Leserinnen und Lesern wichtige Punkte für die vertragsrechtliche Abwicklung von Bauprojekten auf.

Um die eigene Rechtsposition nicht zu schwächen, sind umfangreiche Kenntnisse über Rechte, Pflichten und Obliegenheiten unumgänglich. Das Werk folgt der Struktur der ÖNorm B 2110, erklärt das rechtliche Umfeld (ABGB, KSchG usw.), kommentiert die Norm und bietet Lösungen für viele Problemstellungen. Den Bezug zur praktischen Umsetzung schaffen 200 Beispiele, 200 Anwenderhinweise und vor allem 85 Mustertexte.

Bauvertrags- und Nachtragsmanagement
Andreas Kropik
2023, 1.112 Seiten, gebunden
Eigenverlag
ISBN 978-3-950-42983-1
bauwesen.at/BVuNM