Rechtstipp
Der Widerruf des Vergabeverfahrens
Ein Widerruf bedeutet, dass das Vergabeverfahren endgültig beendet ist, also auch nicht mehr aufgenommen werden kann. Wenn der Auftraggeber die geplante Beschaffung (mit eventuellen Änderungen) doch noch benötigt, muss er nach Widerruf ein neues Vergabeverfahren einleiten.
Das Recht des Auftraggebers
Das Recht eines Auftraggebers zum Widerruf ist nicht stark eingeschränkt, weder EU-rechtlich noch im österreichischen Vergaberecht. Jeder "sachliche Grund" ist ausreichend, um einen Widerruf zu rechtfertigen; und nach den Gesetzesmaterialien darf an die Frage, ob ein sachlicher Grund vorliegt, kein strenger Maßstab angelegt werden.
Außerdem, so sagt es die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), ist auch ein nachträglicher Austausch des Widerrufsgrundes zulässig: Wenn etwa der Auftraggeber zunächst -also beim Widerruf -einen Grund nennt, der nicht ausreicht, aber sich danach im Vergabekontrollverfahren (das ist, wenn der Widerruf von einem Unternehmer angefochten wird) herausstellt, dass es einen anderen (ausreichenden) Grund gab, dann war der Widerruf zulässig.
Zweistufiger Widerruf
In formaler Hinsicht ist noch ein Unterschied zu beachten, nämlich, dass bei Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich der Auftraggeber den Widerruf zweistufig durchzuführen hat (wie bei einem Zuschlag): Zuerst Widerrufsentscheidung (also die Mitteilung, dass und warum ein Widerruf geplant ist) an alle Bieter, dann Abwarten der Stillhaltefrist, und erst dann Widerrufserklärung (= "Widerruf", also Beendigung des Vergabeverfahrens). Im Unterschwellenbereich darf der Auftraggeber sogleich widerrufen, ohne zuvor eine Widerrufsentscheidung versenden und ohne eine Stillhaltefrist abwarten zu müssen.
Eine Entscheidung des VwGH aus dem Vorjahr (24.8.2023, Ro 2020/04/0029) zeigt wieder einmal, dass ein sachlicher Grund recht bald vorliegen kann: Der Auftraggeber hatte versehentlich eine Position im Leistungsverzeichnis doppelt ausgeschrieben. Der erstgereihte Bieter hatte dies bemerkt und nur einmal ausgepreist (und im Begleitschreiben zum Angebot auf diesen Fehler hingewiesen), die anderen Bieter hatten die Position zweifach ausgepreist. Auch wenn die anderen Bieter dies ebenfalls bemerkt und die Position nur einmal ausgepreist hätten, hätte sich an der Reihung der Bieter nichts geändert (es wäre also zu keinem Bietersturz gekommen).
Daher, so könnte man meinen, war dieser Fehler von sehr eingeschränkter – oder, man könnte auch der Ansicht sein, von gar keiner – Bedeutung: Das Vergabeverfahren wäre ohne den Fehler genauso ausgegangen. Der erstgereihte Bieter hätte, da er ohnehin die Position nur einmal auspreiste, offenbar auch ohne den Fehler den gleichen Gesamtpreis angeboten.
Schadenersatz vom Auftraggeber
Das ändert aber nichts daran, dass der Auftraggeber berechtigt (wenn auch nicht verpflichtet) war, das Vergabeverfahren zu widerrufen. Dies tat der Auftraggeber auch, und ein Bieter bekämpfte diese Entscheidung beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Der Grund für eine solche Anfechtung ist nicht, dass man dadurch noch um den Auftrag kämpfen kann (denn der Widerruf hat das Vergabeverfahren endgültig beendet); aber sollte das Verwaltungsgericht feststellen, dass der Widerruf rechtswidrig war, so kann es in bestimmten Konstellationen möglich sein, dass man als Bieter sodann -mittels einer Klage vor dem zuständigen Zivilgericht -Schadenersatz vom Auftraggeber verlangen kann.
Entscheidung bestätigt
Das BVwG aber stellte fest, dass dem Auftraggeber zumindest bei einer der beiden Positionen "der tatsächliche Beschaffungswille bereits ursprünglich gefehlt" habe (was in der Natur eines Versehens liegt, dass nämlich der Wille dazu fehlte).
Es wäre zu viel ausgeschrieben worden, was in diesem Umfang nicht benötigt werde, und das sei ein sachlicher Widerrufsgrund. Der VwGH bestätigte diese BVwG-Entscheidung im Revisionsverfahren.