Erfüllungsschaden
Erfüllungsschaden und Beweislast
Solche Schadenersatzforderungen werden zwar eher selten verfolgt, aber ab und zu muss der Oberste Gerichtshof (OGH) als letzte Instanz in Zivilprozessen über solche Fälle entscheiden. In der Entscheidung vom 23. 3. 2021 (1 Ob 226/20x) ging es um einen Unternehmer, der den sogenannten "Erfüllungsschaden" begehrte.
Grundsätzlich und grob umschrieben gibt es zwei Kategorien von Schadenersatzansprüchen im Zusammenhang mit Vergaberecht:
-Der "Vertrauensschaden" ist der Aufwand der Beteiligung am Vergabeverfahren.
-Der im Anlassfall begehrte "Erfüllungsschaden" ist jener Schaden, der durch den nicht erhaltenen Auftrag entstanden ist.
Im österreichischen Schadenersatzrecht ist für solche Ansprüche unter anderem auch erforderlich, dass das rechtswidrige Verhalten des Schädigers (also hier der Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers) den Schaden verursacht hat ("Kausalität"). Und genau hier lag das Problem im Anlassfall.
Der Versuch des Unternehmers
Eindeutig war, dass der Auftraggeber vergaberechtswidrig gehandelt hatte, nämlich einen Auftrag unzulässig als Direktvergabe (also ohne Durchführung eines formalen Vergabeverfahrens, insbesondere ohne Bekanntmachung an den gesamten interessierten Markt) vergeben hatte. Der klagende Unternehmer begehrte, wie gesagt, den Erfüllungsschaden. Er meinte, dass er die Kausalität nicht nachzuweisen hätte, weil dies der europarechtlich geforderten Effektivität des Vergaberechtsschutzes widerspräche. Hilfsweise meinte er, dass er analog zu § 1326 ABGB einen Schadenersatz erhalten müsse. Nach dieser Bestimmung erhält jemand, der am Körper verletzt wurde, Schadenersatz für die erlittene Verunstaltung, wenn dadurch sein besseres "Fortkommen" im Leben verhindert wird. Das Besondere an dieser Bestimmung ist, dass man grundsätzlich keinen konkreten Schaden nachweisen muss, sondern schon die abstrakte Möglichkeit ausreicht, durch die Verunstaltung Nachteile im weiteren Leben zu haben. Der Unternehmer war also der Ansicht, dass der Auftraggeber ihm dadurch, dass er ihm die Möglichkeit genommen hat, an einem korrekten Vergabeverfahren teilzunehmen, in ähnlicher Weise am (unternehmerischen) Fortkommen gehindert hätte, unabhängig davon, ob er in einem solchen Vergabeverfahren den Auftrag erhalten hätte.
Die Entscheidung
Wenig überraschend hat der Oberste Gerichtshof die behaupteten Ansprüche abgelehnt. Er hielt fest, dass auch die EU-Vergabevorschriften keine Erleichterung für diesen Kausalitätsnachweis vorsehen. Der Unternehmer hätte also beweisen müssen, dass er in einem (fiktiven) Vergabeverfahren Bestbieter gewesen wäre und den Auftrag erhalten hätte. Zwar räumte der OGH ein, dass ein solcher Beweis "nicht leicht zu erbringen ist", aber das ändere nichts daran. Er warf dem Unternehmer unter anderem auch vor, dass er "zumindest im Rahmen seiner Möglichkeiten" dazu ein Vorbringen erstatten hätte sollen. Letztlich würde die Rechtsansicht des Unternehmers laut OGH auch dazu führen, dass ein Auftraggeber in einem solchen Fall jedem Unternehmer, der in einem fiktiven Vergabeverfahren nicht ganz chancenlos gewesen wäre, den vollen Erfüllungsschaden bezahlen müsste, was auch den EU-Vergabevorschriften nicht als Ziel unterstellt werden könne. Insbesondere letzteres Argument ist wohl überzeugend. Weniger klar ist, was der Unternehmer denn zum Beweis, dass er bei Durchführung eines fiktiven Vergabeverfahrens erfolgreich gewesen wäre, hätte vorbringen müssen, denn meines Erachtens ist solch ein Beweis nicht nur schwer zu erbringen, sondern (außer vielleicht in ganz außergewöhnlichen Fällen) schlicht unmöglich. Zur behaupteten Analogie zum Schadenersatz wegen Verunstaltung hielt der OGH fest, dass die Sachverhalte nicht vergleichbar sind (der "Apfel" des Unternehmers, dem die Möglichkeit der Teilnahme an einem Vergabeverfahren genommen wurde, ist etwas ganz anderes als die "Birne" einer verunstalteten Person).