EuGH-Urteil

Meilenstein für Kreislaufwirtschaft am Bau

Kreislaufwirtschaft
30.11.2022

Von: Redaktion Bauzeitung
Richtungsweisendes EuGH-Urteil zum Abfallende von „sauberem“ Bodenaushub.

In seinem mit großer Spannung erwarteten Urteil vom 17. November 2022 (Rechtssache C-238/21 mit der Kurzbezeichnung „Porr“) hat der EuGH eine richtungsweisende Entscheidung im Bereich der Bauwirtschaft getroffen. Im konkreten Anlassfall wurde ein österreichischer Bauindustrie-Betrieb von Landwirten beauftragt, Bodenaushub zur Verbesserung von Anbauflächen zu liefern und einzubauen. Das gelieferte Material wurde chemisch analysiert und nach dem Bundesabfallwirtschaftsplan in die höchste Qualitätsstufe (A1) eingestuft.
In weiterer Folge stellte sich die Frage, ob es sich beim gelieferten Material rechtlich um Abfall handelt oder nicht. Dies war insbesondere für den Anfall einer Altlastensanierungsabgabe (€ 9,20 je Tonne) von Bedeutung. Letztlich hat der EuGH diese Frage unter Hinweis auf die EU-Abfallrahmenrichtlinie verneint. Er begründete die Entscheidung unter anderem damit, dass die Nutzung von Bodenaushub als Baumaterial - sofern er strengen Qualitätsanforderungen genügt, die vom Mitgliedstaat festgelegt wurden - einen erheblichen Vorteil für die Umwelt aufweist, da dies zur Verringerung von Abfällen, zum Schutz der natürlichen Ressourcen und zur Entwicklung der Kreislaufwirtschaft beiträgt. Neben den Aussagen zum Abfallende finden sich im Urteil des EuGH aber auch – für die Praxis wohl noch wichtigere - Ausführungen zur Einstufung von Materialien als Nebenprodukten, die niemals „Abfall“ im Rechtssinn werden.

Zu den wesentlichen Aussagen im Detail

  • Zunächst führt der EuGH unter Hinweis auf seine Vorjudikatur (iS Petrolkoks und Dung) aus, dass Bodenaushubmaterial grundsätzlich als Nebenprodukt und damit von Vornherein nicht als Abfall im Rechtssinn angesehen werden kann, wenn es die diesbezüglichen vier Anforderungen (sichere Verwendung, keine weitere Verarbeitung, die über die normalen industriellen Verfahren hinausgeht, als integraler Bestandteil eines Herstellungsprozesses erzeugt sowie Einhaltung aller einschlägiger Produkt-, Umwelt- und Gesundheitsschutzanforderungen und keine schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen) erfüllt.
  • Andererseits verliert nach den Ausführungen des EuGH nicht kontaminierter Bodenaushub der höchsten Qualitätsstufe seine Abfalleigenschaft auch vor seinem unmittelbaren Einsatz (insoweit vorzeitig), wenn er für bestimmte (z.B. landwirtschaftliche) Zwecke verwendet werden kann, für ihn ein Markt oder eine Nachfrage besteht, der Bodenaushub die technischen Anforderungen für den bestimmten Zweck erfüllt und die Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsgefolgen führt. Für den Fall, dass diese zuvor festgelegten Anforderungen (nachweislich) erfüllt werden, wäre es „eine Verkennung der Ziele der Abfallrahmenrichtlinie“ (so der EuGH in seinem Urteil wörtlich), wenn bei Aushubmaterial die Abfalleigenschaft nur enden würde, wenn es als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet wird und „formale“ Aufzeichnungs- sowie Dokumentationspflichten, die für den Umweltschutz irrelevant sind, erfüllt werden.

Urteil als Booster für Kreislaufwirtschaft?

    Die Frage, die sich nun unweigerlich stellt, ist, welche Auswirkungen die – unbestritten erfreuliche und zu begrüßende – Entscheidung des EuGH nun auf die Bauwirtschaft hat und ob sie tatsächlich zu einem „Booster“ für die Kreislaufwirtschaft und zu einem vermehrten „frühzeitigen“ Abfallende für einzelne Stoffströme wird, wie mancherorts vermutet wird. Vermutlich nicht, jedenfalls nicht so schnell. Zunächst muss nämlich der Anlassfall betrachtet werden, in dem die Nebenprodukt- und Abfalleigenschaft von nicht kontaminiertem und beprobtem Aushubmaterial der höchsten (festgelegten) Qualitätsstufe beurteilt wurde. Ohne aufwändige und kostspielige Untersuchungen bleibt daher (jedenfalls vorerst) alles beim Alten. Denn die für die Untersuchungen erforderlichen Aufzeichnungs- sowie Dokumentationspflichten sind jedenfalls für den Umweltschutz relevant.

    Einstufung als Nebenprodukt wird einfacher

    Über die Bauwirtschaft hinaus ist das EuGH-Urteil jedoch insoweit von beachtlicher Bedeutung, als die Einstufung eines Materials als Nebenprodukt nunmehr einfacher sein wird. So ging der EuGH auch im Anlassfall davon aus, dass der nachweislich nicht kontaminierte Bodenaushub als Nebenprodukt eines Herstellungsprozesses und daher von Vornherein nicht als Abfall zu qualifizieren ist. Damit scheiden auch alle abfallspezifischen Vorgaben aus. Insoweit werden der Bauwirtschaft über diesen Weg eine längst notwendige höhere Flexibilität eingeräumt und Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit dem Altlastensanierungsbeitrag (Beitragspflicht nach ALSAG) verringert: Denn Nebenprodukte unterliegen als „Nichtabfall“ niemals der Beitragspflicht des ALSAG. In seiner Entscheidung vom 16.3.2016, Ra 2016/05/0012, hat der VwGH festgehalten, dass „eine Beurteilung des vorliegenden Bodenaushubmaterials als Nebenprodukt (und nicht als Abfall) jedoch bereits daran [scheitert], dass die Gewinnung dieses Materials beim Bau der Talstation nicht als Ergebnis eines Herstellungsverfahrens im Sinne des § 2 Abs. 3a leg. cit., nämlich eines kontinuierlichen Produktionsprozesses angesehen werden kann.“ Der EuGH teilt diese einschränkende Auffassung nicht und geht mit Verweisen auf seine Vorjudikatur (insoweit vorhersehbar) von einem weiteren Begriffsverständnis in Bezug auf das Tatbestandselement „Herstellungsverfahren“ aus (worunter eben auch ein Abbauverfahren zu subsumieren sind).

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    Änderungen beim Abfallende?

    Ebenfalls in seiner Allgemeinheit überholt ist nunmehr die Rechtsprechung des VwGH, wonach die Abfalleigenschaft nicht bereits mit dem Ende des Aufbereitungsprozesses enden kann, sondern erst mit einer zulässigen Verwendung für den vorgesehenen Zweck. Unzutreffend waren demnach auch die Ausführungen des Höchstgerichts, wonach Bodenaushubmaterial die Abfalleigenschaft erst dann verlieren kann, wenn es sich dabei um einen Altstoff handelt und dieser oder aus ihm gewonnene Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet werden (VwGH 25.2.2009, 2008/07/0182; 23.4.2009, 2006/07/0164) und wonach der bloßen Übernahme des Bodenaushubmaterials für die Frage des Abfallendes noch keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt (so aber VwGH 26.5.2011, 2009/07/0208).

    Hoffnung: künftig pragmatischere Haltung bei Abfallqualität von Bodenaushub

    Wie es nun konkret weiter gehen wird, bleibt abzuwarten, zumal der VwGH in seinen jüngsten einschlägigen Entscheidungen vom 20.10.2022, Ra 2021/07/0068, und vom 7.11.2022, Ra 2021/07/0060, unter Hinweis auf die Schlussanträge zum Porr-Urteil des EuGH an einer sehr strengen Auslegung festgehalten hat. Das EuGH-Urteil wird wohl dahingehend Druck erzeugen, dass bei der Abfallqualität von Bodenaushub künftig eine pragmatischere Haltung eingenommen wird. Dass dies auch für andere Abfälle gelten muss, ist dem EuGH-Urteil aber nicht zu entnehmen. Insoweit handelt es sich – anders als dies in diversen Aussendungen propagiert wird – wohl nicht um einen brauchbaren „Booster für die Kreislaufwirtschaft“. Dessen ungeachtet bleibt zu hoffen, dass das EuGH-Urteil zu einem Umdenken beiträgt und die erforderliche Wende vom Abfallrecht zum Kreislaufwirtschaftsrecht einleitet.

    Verfasst von
    DI Robert Rosenberger, Geschäftsstelle Bau WKÖ  www.bau.or.at
    Ing. Dr. Florian Berl, Onz & Partner Rechtsanwälte   www.onz.at

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