Gewährleistung – Mangel bei Übergabe?
Ein Mangel liegt bei einem Werkvertrag im Wesentlichen dann vor, wenn die tatsächlich erbrachte Leistung von dem vereinbarten geschuldeten Erfolg abweicht (z. B. vereinbarte Lärmschutzwerte werden nicht erreicht). Darüber hinaus hat die Leistung des Auftraggebers die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufzuweisen. Die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften ergeben sich aus der Verkehrsauffassung. Der Auftragnehmer haftet aber im Rahmen der Gewährleistung nur für Mängel, die im Zeitpunkt der Übernahme schon vorhanden sind. In der bauwirtschaftlichen Praxis kommen Mängel aber oft erst Monate oder Jahre nach Übernahme hervor. In diesen Fällen stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Mangel zum Zeitpunkt der Übernahme zumindest latent vorhanden war oder auf andere Ursachen zurückzuführen ist. Es ist daher nicht überraschend, dass in vielen Fällen schon das Vorliegen eines Mangels strittig ist.
Der Gesetzgeber wollte dem Übernehmer den schwierigen Nachweis der Mangelhaftigkeit der Leistung des Auftragnehmers zum Zeitpunkt der Übergabe erleichtern. Aus diesem Grund wird vermutet, dass ein Mangel schon bei der Übergabe vorhanden war, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach der Übergabe hervorkommt (§ 924 Satz 2 ABGB). Die Vermutung tritt aber nicht ein, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist. Wesentlich für das Verständnis dieser Bestimmung ist jedoch, dass dadurch die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels nicht berührt wird. Die Beweislast dafür, dass die übergebene Sache überhaupt mangelhaft ist, trägt der Auftraggeber. Nur wenn die Mangelhaftigkeit der übergebenen Sache bewiesen wurde, greift die Vermutung, dass der Mangel schon bei der Übernahme vorhanden war.
Bauwirtschaftliche Praxis
In der Entscheidung 4 Ob 234/10f hatte der OGH einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem zwei voneinander getrennte Vertragsverhältnisse und Leistungen vorlagen. Der Kläger kaufte vom Beklagten eine Wohnung. Der Beklagte hatte die Wohnung als Bauträger errichtet. Davon unabhängig erbrachte ein Installationsunternehmen im Auftrag des Klägers in der Wohnung Arbeiten am Waschbecken, an der Badewanne und am WC. Nach Übergabe der Wohnung wurden in der darunterliegenden Wohnung Wasserflecken sichtbar. Zwei Wochen später traten auch in der Wohnung des Klägers Feuchtigkeitsspuren auf. Der Kläger machte in seiner Klage Schadensbehebungskosten aus dem Titel Gewährleistung geltend. Der Wasserschaden sei innerhalb der Sechsmonatsfrist nach Übergabe aufgetreten. Der Beklagte bestritt und wandte ein, dass der Schaden auf die vom Kläger beauftragten Sanitärinstallationen zurückzuführen sei. Das Erstgericht gab der Klage statt. Der Mangel sei bewiesen, und der Beklagte habe die Vermutung der Mangelhaftigkeit bei Übergabe (§ 924 ABGB) nicht widerlegen können. Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Dem Kläger sei der Beweis nicht gelungen, dass die Leistung des Beklagten mangelhaft war und den Wasserschaden verursacht hatte. Der OGH bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts. Der Kläger hätte beweisen müssen, dass der zum Wasserschaden führende Mangel das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten betrifft. Dieser Beweis sei dem Kläger nicht gelungen. Die unklare Ursache des Wasserschadens fällt dem Kläger zur Last. Der Klage war daher nicht Folge zu geben.
Fazit
Die Frage, ob eine mangelhafte Werkleistung des Auftragnehmers vorliegt, ist zu unterscheiden von der Frage, ob der vorliegende Mangel bereits bei Übergabe vorhanden war. Nur die zweite Fragestellung wird von der Vermutung des § 924 Satz 2 ABGB umfasst. Vorsicht: Manche Bauverträge sehen neben einer Verlängerung der Gewährleistungsfrist auch eine Verlängerung der Vermutung der Mangelhaftigkeit vor.
Zur Autorin
DDr. Katharina Müller
ist Partnerin bei Müller Partner Rechtsanwälte
Rockhgasse 6, A-1010 Wien
www.mplaw.at