Preissteigerungen und Lieferengpässe wegen Covid-19
In der gesamten Baubranche kommt es derzeit zu Preissteigerungen und Lieferengpässen bei Baustoffen und Materialien. Die Gründe dafür sind eine hohe Nachfrage sowie eine stark eingeschränkte Verfügbarkeit. Aber wer trägt das Risiko für außergewöhnliche Preissteigerungen und pandemiebedingte Lieferengpässe bei ÖNorm-Verträgen?
Zur Preissteigerung
Die Sphärenzuordnung in der ÖNorm B 2110 wird in Punkt 7.2 geregelt. Demnach werden in Pkt. 7.2.1 Abs. 3 ÖNorm B 2110 dem AG alle zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbaren Ereignisse, soweit sie vom AN nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind, zugeordnet. Der AN trägt gemäß Pkt. 7.2.2 Abs. 1 ÖNorm B 2110 aber das Kalkulationsrisiko. Zudem normiert Punkt 7.2.2 Abs. 3 Ziffer 1 ÖNorm B 2110 eine Generalklausel, wonach alle Ereignisse, die nicht gemäß Punkt 7.2.1 ÖNorm B 2110 dem AG zugeordnet sind, der AN-Sphäre zuzurechnen sind.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass der AN das Risiko dafür trägt, wenn sich nachträglich die von ihm angenommenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern. Das Risiko, dass sich für den AN die Preise von Baustoffen und Materialien zu seinem Nachteil entwickeln, ist nämlich grundsätzlich ein Kalkulationsrisiko. Umgekehrt würde der AN auch von einer nachträglichen Senkung der Preise profitieren. Dies trifft aber dann nicht zu, wenn sich das Preisentwicklungsrisiko aufgrund einer unvollständigen Ausschreibung ergibt. Das Beschreibungsrisiko trägt nach der ÖNorm nämlich der AG.
Nach herrschender Ansicht sind die Folgen der Covid-19-Pandemie bei ÖNorm-Verträgen vom AG zu tragen. Soweit also die Preissteigerung eine unmittelbare Folge der Covid-19-Pandemie ist, trifft das Risiko daraus den AG. Die Sphärenzuordnung in Punkt 7.2.1 Abs. 3 Ziffer 2 ÖNorm B 2110 ist nämlich nicht nur für das Ereignis selbst, also die Pandemie, einschlägig, sondern auch für die daraus unmittelbar resultierenden negativen Folgen.
Festzuhalten ist, dass auch die Preissteigerung an sich aufgrund der Höhe und damit unabhängig davon, aus welchem Grund, eine Außergewöhnlichkeit im Sinne der ÖNorm sein kann. Auch in diesem Fall trägt das Risiko aus der Preissteigerung der AG – ganz ohne Pandemiezusammenhang.
Zum Lieferengpass
Auch für den aufgrund der Covid-19-Pandemie resultierenden Lieferengpass ist als unvorhergesehenes Ereignis gemäß Punkt 7.2.1 Abs. 3 Ziffer 2 ÖNorm B 2110 einschlägig. Im Zusammenhang mit der Risikoverteilung gilt sohin das Gleiche wie für die Preissteigerungen. Der AN hat aber sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Nachteile durch den Lieferengpass möglichst gering zu halten („nicht in zumutbarer Weise abwendbar“). Der AN muss sich sohin jedenfalls um alternative Bezugsmöglichkeiten kümmern und soweit möglich etwaige Lieferverträge mit seinen Lieferanten kündigen. Daraus resultierte Mehrkosten hat aber im Sinne der geschilderten Sphärenverteilung der AG zu tragen.
Sofern ein bestimmter Rohstoff gar nicht lieferbar ist, kann die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich werden. Auch in diesem Fall ist gemäß Punkt 7.2.1 Abs. 3 Ziffer 1 ÖNorm B 2110 das Unmöglichwerden der AG-Sphäre zuzurechnen. Im Sinne der ÖNorm liegt die Unmöglichkeit der Leistungserbringung schon dann vor, wenn beispielsweise auch durch Forcierungsmaßnahmen der Endtermin nicht gehalten werden kann. Sofern der AN aber bereits bei Vertragsabschluss wusste, dass es zu Lieferengpässen kommt, ist der AN nicht schutzwürdig.
Fazit
Preissteigerungen und Lieferengpässe aufgrund der Covid-19-Pandemie sind als Störungen der Leistungserbringung gemäß Punkt 3.7.2 ÖNorm B 2110 zu qualifizieren und der Sphäre des AG zuzurechnen. Dies führt zu einem Anspruch des AN auf Anpassung der Leistungsfrist und/oder des Entgelts oder bei Unmöglichkeit der Leistungserbringung zu einem eingeschränkten Werklohnanspruch des AN. Die Ansprüche nach der ÖNorm B 2110 sind jedenfalls ehestens und unter Einhaltung der formalen Vorgaben geltend zu machen. Die vertraglichen Mitteilungs- und Anmeldepflichten sind zu berücksichtigen.