„Haftungsrechtliche Wirkung“ einer Fertigstellungsanzeige
Die Bauordnungen der Länder sehen – in rechtlich unterschiedlicher Ausgestaltung – die Anzeige der Fertigstellung des Bauvorhabens an die Behörde vor. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich nunmehr erstmals zur „haftungsrechtlichen Wirkung“ einer baurechtlichen Fertigstellungsanzeige geäußert.
Entscheidung 20. 10. 2020, 4 Ob 94/20g
Dem Anlassfall lag ein Kaufvertrag über eine Dachgeschoßwohnung zugrunde. Die im Verfahren beklagte Partei ließ den DG-Ausbau auf Basis einer baubehördlichen Bewilligung vom 24. 5. 2002 durchführen. Am 30. 5. 2005 wurde der Behörde die Fertigstellung angezeigt, wobei die Behörde diesen Umstand mit Schreiben vom 6. 6. 2005 zur Kenntnis nahm und die Benützung des Bauwerks gestattete (Zitat: „... darf Ihr Bauwerk nun benützt werden“). Die Wohnung wurde in weiterer Folge verkauft. Datum des Kaufvertrags samt Übergabe des Objekts war der 2. 7. 2008. Kaufpreis: 428.000 Euro.
Im Anschluss an den Verkauf der Wohnung kam es, wenn man so will, wie es kommen musste: Im August 2010 trat erstmals Feuchtigkeit im Dachboden der Wohnung auf. Im September 2012 meldete einer der Käufer einen weiteren „Vernässungsfleck“. Ein Privatgutachten, das von den Klägern im Oktober 2012 eingeholt worden war, offenbarte schließlich bautechnische Mängel als Ursache. Für die Sanierung wurden Kosten von 408.000 Euro brutto veranschlagt.
Rechtliche Qualität nach § 30 NÖ BO
Im Verfahren vor dem OGH galt es, die zivilrechtliche Qualität einer Fertigstellungsanzeige nach § 30 der Niederösterreichischen Bauordnung (NÖ BO) zu beurteilen. Denn die Kläger stützten ihre Ansprüche auf eine Klausel im Kaufvertrag, wonach der Verkäufer (also die beklagte Partei) dafür Gewähr zu leisten hatte, dass in Ansehung der Wohnung keine behördlichen Verfahren off en seien. Weshalb die Kläger diesen Weg wählten, wird erst bei genauerer Lektüre von § 30 NÖ BO klar. Als Teil der Fertigstellungsanzeige sind die in Abs. 2 genannten Unterlagen anzuschließen, darunter eine Bescheinigung des Bauführers über die bewilligungsgemäße Ausführung. Aus Abs. 4 ergibt sich, dass eine unvollständige Fertigstellungsanzeige als nicht erstattet gilt.
Vor diesem Hintergrund stellte sich nun folgende Frage: Ist eine Anzeige an die Baubehörde, welche die Fertigstellung eines mangelhaften Bauwerks bestätigt, „unvollständig“ – mit der Konsequenz, dass sie i. S. d. § 30 Abs. 4 NÖ BO als nicht erstattet anzusehen ist? In diesem Fall wäre mit Blick auf die Wohnung der Kläger tatsächlich ein behördliches Verfahren offen gewesen.
Baumängel hindern nicht
Dies verneinte der OGH jedoch. Vollständigkeit i. S. d. § 30 Abs. 4 NÖ BO beziehe sich auf die gemäß § 30 Abs. 2 NÖ BO anzuschließenden Unterlagen. Diese müssen der Behörde in vollständiger Form vorgelegt werden. Eine (solcherart) vollständige Vorlage der Unterlagen bewirke, dass das Bauwerk nach Maßgabe der Bauvorschriften zulässigerweise benützt werden dürfe. Keine Bedeutung für die Erstattung der Fertigstellungsanzeige habe die Mängelfreiheit des Bauwerks nach Gewährleistungs- oder Schadenersatzrecht.
Mit der vorliegenden Entscheidung zieht der OGH eine scharfe Trennlinie zwischen den öffentlich-rechtlichen Pflichten, die das Rechtsverhältnis zwischen dem Bauherrn und der Behörde betreff en, und den zivilrechtlichen Verpflichtungen aus dem zugrunde liegenden Vertrag. Letztere sind auf das Rechtsverhältnis zwischen Bauherr und Baubehörde ohne Einfluss. Ob das in allen Fällen der (baurechtlichen) Fertigstellung mit Mängeln gilt, bleibt abzuwarten. Besonders grobe Mängel oder auffallende Unzulänglichkeiten in den vorgelegten Unterlagen könnten eine Analogie zu § 30 Abs. 4 NÖ BO rechtfertigen.
Fazit
Baumängel hindern die Fertigstellung eines Bauwerks nach § 30 NÖ BO nicht, so der OGH in einer jüngsten Entscheidung. „Vollständigkeit“ i. S. d. § 30 Abs. 4 NÖ BO beziehe sich nämlich auf die der Behörde vorgelegten Unterlagen. Die Mängelfreiheit nach Gewährleistungs- oder Schadenersatzrecht wird nicht verlangt.