OGH-Entscheidung
Übertragung von Bauherrenpflichten auf einen Projektleiter
Das Bauarbeitenkoordinationsgesetz (i. d. F. BauKG) soll Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen gewährleisten. Die Verpflichtungen nach dem BauKG werden grundsätzlich dem Bauherrn auferlegt, der die erforderlichen Sicherheits- und Koordinationsmaßnahmen durchzuführen bzw. zu veranlassen hat.
Dem Bauherrn steht es jedoch frei, einen oder mehrere Projektleiter zu beauftragen (Projektleiter, Subprojektleiter etc.). Ist ein Projektleiter eingesetzt, kann der Bauherr gewisse Pflichten nach dem BauKG (§ 3, § 4 Abs. 1, § 6, § 7 und § 8) dem Projektleiter mit dessen Zustimmung übertragen. Erfasste und übertragbare Pflichten sind die Bestellung von Koordinatoren für Sicherheit und Gesundheitsschutz sowie die Verpflichtung, allgemeine Grundsätze der Gefahrenverhütung in der Vorbereitungsphase einzuhalten, die Verpflichtung, die Vorankündigung zu erstellen, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen sowie die Unterlagen für spätere Arbeiten am Bauwerk zu erstellen. Durch die Pflichtenübertragung auf einen Projektleiter kann sich der Bauherr für sämtliche oder auch nur für einzelne Pflichten ganz oder teilweise von seiner Haftung befreien. An seiner statt haftet dann der Projektleiter. Während für die Bestellung von Koordinatoren für Sicherheit und Gesundheitsschutz nach § 3 Abs. 6 BauKG Schriftlichkeit gefordert ist, sieht § 9 Abs. 1 BauKG für die Übertragung der Bauherrenpflichten grundsätzlich keine besondere Form vor.
Aktuelle Entscheidung
Im Anlassfall der Entscheidung (OGH 27. 1. 2022, 2 Ob 203/21y) hatte sich der OGH nun damit auseinanderzusetzen, ob für die Übertragung der Bauherrenpflichten nach § 9 BauKG eine mündliche bzw. konkludente Übertragung ausreichend sei oder ob das Schriftlichkeitsgebot des § 3 Abs. 6 BauKG analog anzuwenden sei. Ein Dienstnehmer einer mit Abbrucharbeiten beauftragten Gesellschaft wurde bei einem Deckeneinsturz schwer verletzt. Kausal für den Unfall war die eklatante Verletzung von Sicherheitsvorschriften (Fehlen eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans, unterbliebene Einsturzsicherung, mangelnde Zurverfügungstellung von Schutzhelm und anderer Schutzausrüstung). Er begehrte einerseits vom Geschäftsführer der beauftragten Gesellschaft (Erstbeklagter) sowie andererseits von der beauftragten Gesellschaft als Bauherrin (Zweitbeklagte) Schadenersatz i. H. v. 65.000 Euro und die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden.
Als Bauherrin und mangels Bestellung eines Projektleiters wäre sie nach dem BauKG dazu verpflichtet, Koordinatoren zu bestellen und für die Erstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes zu sorgen. Die Bauherrin brachte dagegen vor, dass sie und der Erstbeklagte ihre Pflichten nach § 9 Abs. 1 BauKG auf eine zur Projektleiterin bestellte Baugesellschaft mündlich bzw. konkludent übertragen habe. Das Erstgericht erkannte, dass der Klagsanspruch dem Grunde nach zu Recht besteht. Das Berufungsgericht stellte hingegen mit Zwischenurteil fest, dass lediglich das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht besteht. Der OGH entschied im Ergebnis, dass das Schriftformerfordernis des § 3 Abs. 6 BauKG auf die Pflichtenübertragung nach § 9 Abs. 1 BauKG analog anzuwenden ist. Der Bauherr kann sich daher gegenüber geschädigten Arbeitnehmern nicht darauf berufen, dass er Pflichten nach dem BauKG mündlich oder konkludent auf einen Projektleiter übertragen habe.
Fazit
Die Schriftform nach dem BauKG dient nicht nur Beweissicherungszwecken. Bestimmungszweck ist des Weiteren, "klare Verhältnisse" zu schaffen. Der Gesetzgeber berücksichtigt hier insbesondere das Interesse geschädigter Arbeitnehmer. Diese sollen auf gesicherter Grundlage entscheiden können, ob sie den Projektleiter oder den Bauherrn in Anspruch nehmen. Es empfiehlt sich, nicht nur die Pflichtenübertragung schriftlich zu vereinbaren, sondern auch die Zustimmung des Projektleiters schriftlich einzuholen.