Verzug
Vertragsrücktritt ohne Setzung einer Nachfrist
Leistet ein Schuldner nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die jeweils bedungene Weise, so ist gem. § 918 ABGB von einem Verzug (konkret: Schuldnerverzug) die Rede. Dem Gläubiger stehen in einem solchen Fall zwei Optionen zur Verfügung. Entweder der Gläubiger hält am Vertrag fest oder er tritt unter Setzung einer Nachfrist vom Vertrag zurück. Hat der Schuldner den Verzug nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv verschuldet, so kann der Gläubiger neben den obengenannten Verfahrensmöglichkeiten zusätzlich Schadenersatz geltend machen. Hält der Gläubiger am Vertrag fest, so kann er einen etwaigen Verspätungsschaden fordern, tritt er vom Vertrag zurück, so gebührt ihm ein Erfüllungsinteresse.
Die Option des Rücktritts vom Vertrag kann grundsätzlich nur unter gleichzeitiger Setzung einer angemessenen Nachfrist erklärt werden. Dies dient dazu, dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, trotz seiner Verspätung seinen Teil der Vertragserfüllung einzuhalten – es wird ihm eine letzte Chance gewährt. Ein Rücktritt wird in der Regel erst nach einer angemessenen Nachfristsetzung wirksam. Von einer Nachfrist kann in Ausnahmefällen jedoch abgesehen werden. Ist der Schuldner offensichtlich nicht in der Lage, die vereinbarte Leistung nachzuholen, oder verweigert er diese ernsthaft und endgültig, so ist ein Vertragsrücktritt ausnahmsweise auch ohne Nachfrist möglich. Ferner ist eine solche entbehrlich, wenn die Vertragserfüllung aufgrund von offensichtlicher Unfähigkeit, nicht zu tolerierender Unzuverlässigkeit oder generellem Unvermögen des Vertragspartners scheitert.
Sowohl Werkbesteller als auch Werkunternehmer haben das Recht zum Rücktritt vom Werkvertrag, wenn sie das Vertrauen in den Vertragspartner wegen dessen treuwidrigen Verhaltens verloren haben, sodass ihm die Aufrechterhaltung des Vertrags nicht mehr zugemutet werden kann.
Entscheidung – 5 Ob 120/21i
In der aktuellen Entscheidung beauftragten die klagenden Werkbestellerinnen den beklagten Werkunternehmer mit der Herstellung und Lieferung von Betonfertigteilen samt Auflager für den Neubau einer Bahnstrecke. Die Werkbestellerinnen begehren den Ersatz an Mehrkosten, welche aus mangelhafter Leistungserbringung und einem vom Werkunternehmer erzwungenen Vertragsrücktritt resultieren. Mehrere der durch den Werkunternehmer gelieferten Produkte waren mangelhaft und haben nicht den vereinbarten Abmessungen entsprochen. Zudem wurde nicht die vereinbarte Stückzahl geliefert, weshalb die Werkbestellerinnen dem Werkunternehmer vorerst eine Nachfrist setzten.
Vertragsrücktritt erklärt
Der beklagte Werkunternehmer hat sich an keinerlei qualitative und terminliche Vereinbarungen gehalten. Bei einer anschließenden Werksbesichtigung wurde festgestellt, dass die bereits gesetzte Frist ungenützt bleiben wird, weshalb schlussendlich ein Vertragsrücktritt erklärt wurde. Der Werkunternehmer wandte hingegen ein, dass er sich zu keinem Zeitpunkt in Verzug befunden hat und die geschuldeten Leistungen ordnungsgemäß erbracht wurden.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass sich der Werkunternehmer sehr wohl in Verzug befunden hat und dass es über die gewährte Nachfrist hinaus keiner weiteren Fristsetzung bedurft hat, da der Werkunternehmer zwischen der erstmalig angedrohten Ersatzvornahme und dem Rücktritt noch weiter in Verzug geraten war. Den Klägerinnen wurden die Mehrkosten aufgrund mangelhafter Leistung und erzwungenen Vertragsrücktritts zugesprochen.
Fazit
Bevor der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten kann, muss er grundsätzlich eine Nachfrist setzen. In Ausnahmefällen ist eine Nachfristsetzung entbehrlich – und zwar dann, wenn der Schuldner die Leistungen offensichtlich nicht nachholen kann, er diese ernsthaft und endgültig verweigert oder aufgrund offensichtlicher Unfähigkeit, nicht zu tolerierender Unzuverlässigkeit sowie generellen Unvermögens des Schuldners.