Fristen

Zeitpunkt der Nachweiserbringung in einem Vergabeverfahren

Vergabeverfahren
07.09.2021

Wann ein Nachweis in einem Vergabeverfahren zu erbringen ist, entscheidet oft darüber, ob ein Angebot „überlebt“ oder nicht.

Der richtige Zeitpunkt der Nachweiserbringung ist im Vergabeverfahren wesentlich. Grundsätzlich gibt es folgende Kategorien für diese Frage:

  •  Nachweise, die bereits dem Angebot beiliegen müssen (unbehebbare Mängel);
  • Nachweise, die nach Ende der Angebotsfrist ergänzt werden dürfen (behebbare Mängel);
  • Nachweise, die erst nach Zuschlag – also während der Auftragsausführung – vorgelegt werden müssen.

In der Theorie ist diese Kategorisierung klar. In der praktischen Einzelfallbetrachtung bleibt leider manchmal wenig Klarheit übrig. Ein aktuelle EuGH-Entscheidung (8. 7. 2021, C-295/20) hat nun eine deutliche und positive Klärung zumindest für gewisse Fälle gebracht.

Der Anlassfall

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb die Beseitigung gefährlicher Abfälle aus einer Hochrisikoanlage aus. Der erstgereihte Bieter hatte dafür unter anderem Subunternehmer (Anlagen) in anderen EU-Mitgliedsstaaten genannt. Er wurde vom Auftraggeber nach Angebotslegung aufgefordert, die Genehmigung der ausländischen Behörden für die grenzüberschreitende Verbringung des Abfalls (sogenannte Notifizierung) vorzulegen, da diese dem Angebot nicht beigelegen ist (die Ausschreibung enthielt allerdings nicht die Anforderung, dass die Notifizierung bereits dem Angebot beiliegen musste). Da dieser Aufforderung nicht nachgekommen wurde, schied der Auftraggeber dieses Angebot aus. Der erstgereihte Bieter wehrte sich dagegen bei Gericht.

Die Entscheidung

Der EuGH begründete zunächst, wie die geforderte Notifizierung vergaberechtlich zu kategorisieren ist:

  •  Sie stellt kein vergaberechtliches Eignungskriterium (Anforderung an die Befugnis oder technische Leistungsfähigkeit) dar.

Zwar umfasst die Befugnis das Vorliegen bestimmter Berechtigungen, um die ausgeschriebene Leistung im Herkunftsmitgliedstaat erbringen zu können; aber dies betrifft nach dem EuGH nicht die Pflicht, die Zustimmung der zuständigen Behörden zur grenz­überschreitenden Abfallverbringung einzuholen.

Bei Eignungskriterien der technischen Leistungs­fähigkeit geht es nach dem EuGH zentral um die „rückblickende Beurteilung der Erfahrung bei der Ausführung früherer Aufträge“ und nicht um das Vorliegen einer künftig erst erforderlichen Notifizierung. Der EuGH merkte ergänzend an, dass der Auftraggeber als Eignungskriterium für die technische Leistungsfähigkeit etwa Erfahrungen bei früheren Abfallverbringungen hätte verlangen können, wenn ihm solche spezifischen Erfahrungen wichtig gewesen wären.

  • Sie stellt vielmehr eine Bedingung für die Auftragsausführung dar. Dies bereits mit dem Angebot zu verlangen ist nicht nur unzulässig, weil es sich um kein Eignungskriterium handelt, sondern auch deshalb, weil für die Notifizierung detaillierte Informationen und Unterlagen erforderlich sind, über die der Bieter erst nach Zuschlag vollständig verfügt. Daher wäre es auch inhaltlich betrachtet eine übertriebene Anforderung gewesen, die Notifizierung bereits mit Angebotslegung zu fordern. Der Bieter kann daher nach dem EuGH „mit dem Nachweis warten, bis er den Zuschlag des Auftrags erhalten hat“.

Daher widersprach das Ausscheiden dieses Angebots dem EU-Vergaberecht (und damit auch dem nationalen Vergaberecht).

Schlussfolgerung und Praxistipp

Die Klarstellung des EuGH ist zu begrüßen. Das Vergabe­recht ist ohnehin formalistisch genug und gespickt mit möglichen Ausscheidensgründen für Angebote. Anforderungen, die nicht sinnvoll vor Zuschlag erfüllt werden können oder deren Vorliegen vor Zuschlag keinen wesentlichen sachlichen Mehrwert für den Auftraggeber oder das Projekt bringen, sollten daher nicht schon im Vergabeverfahren verlangt werden.

Von Bieterseite sollte darauf geachtet werden, dass die Ausschreibung keine derartig überschießenden Anforderungen für die Angebotslegung enthält; wenn doch, sollte der Auftraggeber frühzeitig darauf aufmerksam gemacht werden, um die Ausschreibung berichtigen zu können. Wenn nämlich solche Anforderungen „bestandsfest“ werden (also die Ausschreibung nicht rechtzeitig vor Ende der Angebotsfrist geändert oder angefochten wird), muss der Auftraggeber sie auch so anwenden (auch wenn sie vergaberechtswidrig sind).

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