Tief und tiefer
Es war für die beteiligten Tiefbauunternehmer wohl kein geringerer Freudentag als für die Wiener Landesregierung: Gemeinsam mit Bundeskanzler Christian Kern schritt Bürgermeister Michael Häupl vor die versammelten Medienvertreter und Bürger, um einer Wiener U-Bahn „freie Fahrt“ zu neuen Ufern zu gewähren; und seien es nur die „Ufer“ der Therme Wien, die durch die Verlängerung der U-Bahn-Linie U1 für ihre Besucher mit dem 2. September 2017 deutlich einfacher, schneller und entspannter erreichbar wurde. Rund fünf Jahre hatten die Bauarbeiten für das Großprojekt gedauert, mit denen die 4,6 Kilometer lange Strecke von der bisherigen U1-Endstation Reumannplatz bis nach Oberlaa verwirklicht wurde.
Gut 600 Millionen Euro habe die öffentliche Hand in das Megaprojekt investiert. Laut den Wiener Linien wurden über die Planungs- und Umsetzungsdauer an die 10.000 Arbeitsplätze geschaffen respektive gesichert – dies nicht zuletzt in der Bauwirtschaft. Durch derartige Investitionen in die heimische Infrastruktur würden aber nicht allein „wichtige Arbeitsplätze geschaffen“, so Bundeskanzler Kern: „Von einem gut ausgebauten Öffi-Netz profitieren schlussendlich alle“, brachte er die gesellschaftliche Bedeutung des Tiefbaus charmant auf den Punkt. Seinen Mitarbeitern wie auch den ausführenden Bauunternehmen streute Günter Steinbauer, Geschäftsführer der Wiener Linien, zur U1-Erweiterung Rosen, indem der betonte, „dass sowohl der Zeit- als auch der Kostenplan perfekt eingehalten werden konnten und den Wienerinnen und Wienerndie verlängerte U1 pünktlich übergeben werden kann“.
Aufwendige Vorarbeiten
Derweil werden bereits die nächsten U-Bahn-Baustellen vorbereitet: Das Wiener Öffi-Netz soll mit einer weiteren Streckenverlängerung – diesmal der U2 – sowie dem Neubau der U5 nochmals aufgewertet werden. Die seit Jahrzehnten zwischen U4 und U6 fehlende und vor allem von Touristen immer wieder gesuchte U5 wurde erstmals 1966 geplant, aber nie umgesetzt. Mehr als ein halbes Jahrhundert später fanden nun im September konkrete Probebohrungen statt. Konkret führte die Wiener Magistratsabteilung (MA) 29, zuständig für Brückenbau und Grundbau, fünf Bohrungen auf bis zu 45 Metern Tiefe durch.
Bei den Vorarbeiten zur erweiterten bzw. neuen U2/U5 werden essenzielle Infos über die Untergrundverhältnisse gewonnen wie Tiefenlage, Mächtigkeit und Zustand der einzelnen Bodenschichten. Der Grundwasserspiegel bleibt dabei und auch künftig unter ständiger Beobachtung, weshalb im Anschluss an die Probebohrungen Grundwassermessstellen ausgebaut werden. Nicht zuletzt wird das Erdreich auf die Kontamination mit Kriegsrelikten untersucht: Mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs muss auch in Wien weiterhin mit vergessenen oder verlorenen „Blindgängern“ gerechnet werden. Wie real diese Gefahr ist, beweist der Fund einer Fliegerbombe am 21. September nahe der U6-Station Alt-Erlaa. Das 250-Kilogramm-Trumm konnte ohne Personenschaden entschärft werden, doch musste der Linienbetrieb für fünf Stationen (Am Schöpfwerk bis zur Endstation Siebenhirten) in der Hauptverkehrszeit für Stunden eingestellt werden. Laut Angaben der Planer wird insbesondere für das künftige Linienkreuz des U2/U5-Ausbaus bei der Station Rathaus „erstmalig in der Geschichte des Wiener U-Bahn-Baus ein neuer Weg beschritten, indem ein dreidimensionales Baugrundmodell erstellt wird“. Die Visualisierung auf dieser Basis wird als zusätzliche Entscheidungshilfe zur weiteren Planung beigezogen, wie es aus der MA 29 heißt.
Mammutprojekt auf das nächste Jahrzehnt
Während die erste Baustufe für die U2/U5 gegen Ende 2018 starten soll, gibt es bereits Forderungen nach einer zusätzlichen Streckenerweiterung. In der Bezirskvertretung Wien-Penzing wurde Mitte September ein Antrag der ÖVP mehrheitlich bestätigt, wonach eine Machbarkeitsstudie zur Verlängerung der den Bezirk prägenden U4 in Auftrag gegeben werden solle. Ob und wann ein allfällig positiv ausfallendes Ergebnis dieser Untersuchung mit Aussicht auf Verwirklichung diskutiert werden könnte, steht allerdings in den Sternen. Bereits 2023 könnten allerdings erste Streckenabschnitte der U5 freigegeben und bis 2027 schließlich das gesamte Mammutprojekt abgeschlossen werden.
Aus Sicht der Geotechnik- und Spezialtiefbauer werden die Großprojekte der U-Bahn-Erweiterung schon sehnlichst erwartet. „Die Ausschreibungen für Vorarbeiten sind bereits vorhanden“, sagt Thomas Pirkner, Geschäftsführer der Vereinigung Österreichischer Bohr-, Brunnenbau- und Spezialtiefbauunternehmungen (Vöbu), „mit den großen Bauausschreibungen rechnen wir Mitte 2018.“ Gerade wegen der innerstädtischen Projektlage werde „die gesamte Anwendungspalette“ der Tiefbaubranche (Spezialtiefbautechnik und Zulieferprodukte) erforderlich sein. Mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre sei man für die Herausforderungen gerüstet; was die Technik betrifft, komme in diesem Sinn Altbewährtes – Bohrbrunnen, Vereisung, Bohrpfähle etc. – zum Einsatz, natürlich „angepasst an die örtlichen Situationen“.
Auch über die U-Bahnen hinaus komme dem Spezialtiefbau und der Geotechnik immer mehr Bedeutung zu – die Menge der (leistbaren) Bauplätze sinkt bei gleichzeitiger Steigerung der Schwierigkeitsgrade. Immerhin habe sich die Auftragslage seit der Wirtschaftskrise verbessert, wie der Vöbu-Chef bestätigt. Jedoch sei die Preissituation „für die Spezialtiefbauunternehmen nach wie vor angespannt“. Mehr als andere Bauspezialisten sind seine Mitgliedsunternehmen hinsichtlich des Baugrunds vom Prinzip „Risiko und Chance“ betroffen: Selbstverständlich hätten weder Auftragnehmer noch Auftraggeber einen Röntgenblick, womit „Unwägbarkeiten aufgrund des tatsächlich angetroffenen Untergrundes“ immer im Bereich des Möglichen liegen. Trotz des Preisdrucks stehe natürlich eine faire Abrechnung auch im Interesse der Unternehmer. Etwas Kritik übt Pirkner am Wandel vom Billigstzum Bestbieterprinzip bei öffentlichen Ausschreibungen: Diesen erlebe er „sehr schleppend“. Angesichts der nahenden Nationalratswahlen erhofft er sich von der nächsten Regierung politische Entscheidungen für Infrastrukturbauprojekte in Verbindung mit dem dafür nötigen Budget.
Geht man direkt zu den handelnden Akteuren, bestätigt Peter Außerlechner, Geschäftsführer von Bauer-Spezialtiefbau, die große Rolle v. a. der kommenden U-Bahn-Erweiterung für sein Unternehmen: „Diese Baulose benötigen einen beträchtlichen Anteil an Spezialtiefbauarbeiten, weil die Trasse – im Gegensatz zur letzten U1-Verlängerung nach Oberlaa – in den meisten Bereichen unterirdisch verläuft.“ Damit sei ein großes Volumen an Spezialtiefbauarbeiten wie Bohrpfähle, Schlitzwände und Injektionen zu erwarten, „worauf unser Haus spezialisiert ist“. Als größte technische Herausforderung sieht Außerlechner die Tatsache, „dass die U2- Trasse dicht bebautes Gebiet, unterirdische Einbauten, den Wien- Fluss und die U3 unterfährt“. Da die Platzverhältnisse an der Oberfläche, beispielsweise nahe der Mariahilfer Straße, extrem beengt sind, kommen spezielle Gerätschaften und alternative Verfahren wie zum Beispiel Bodenvereisungen zum Einsatz. Zudem werde „eine innovative Logistik“ gefordert sein.
Der Spezialtiefbau wachse „im Schlepptau der allgemeinen Baukonjunktur sowohl für Bahn- und Straßeninfrastruktur als auch bei Hochbauten, Kraftwerken usw. noch schneller als das Bauhauptgewerbe, weil die zur Verfügung stehenden Bauflächen immer geringer werden und deshalb auch auf schlechtem Baugrund gebaut werden muss“. Dies mache auch vermehrt „Tiefgründungen“ notwendig – „zur Übertragung der Bauwerkslasten in eine tiefer gelegene, tragfähige Bodenschicht“. Betreffend das Preisniveau sei mit dem aktuellen Jahr „eine spürbare Entlastung“ gekommen – auch, weil die verfügbaren Ressourcen aller Anbieter nicht in erforderlicher Anzahl bzw. kurzfristig verfügbar gewesen seien. Eine klassische Angebots- und Nachfragekonstruktion, mit der jedoch ein wachsendes Problem verbunden ist: „Leider hat sich das auch außerhalb Österreichs bereits herumgesprochen“, bedauert Außerlechner, weshalb „weitere, internationale Konkurrenten aus dem Ausland kommen, um hier zum Teil verzweifelte Strategien ihrer mitunter ohnehin verlustträchtigen Mutterkonzerne umzusetzen“. Das münde in einer Erhöhung der Personalkosten, „weil einzelne Mitarbeiter gegenseitig abgeworben und gleichzeitig Dumpingpreise an unsere Kunden angeboten werden, um in den Markt einzudringen“.
Schwieriges Best- und Billigstbietersystem
Als „sicherlich sinnvoll“ betrachtet Außerlechner den Ansatz, öffentliche Aufträge „nicht an den billigsten, sondern an den besten Anbieter zu vergeben“. In der Praxis kämen die Kriterien für den Besten aber nur in geringem Ausmaß zu tragen. Einige davon wären aus Außerlechners Sicht ohnehin für das Gros der Anbieter selbstverständlich, etwa die „freiwillige Verlängerung der Gewährleistungspflicht“. Wenn aber die Mehrheit der Interessenten hohe Qualität anbiete, nehme die Differenzierung ab, und am Ende komme unter diesen doch wieder der Billigste zum Zug. Angesichts immer wieder auftretender Preisabsprachen oder gar Kartellbildungen im Bau würden nur „rigorose Strafen und Ausschlüsse aus weiteren Bieterverfahren“ helfen.
Nicht anders als erwartet ist der U-Bahn-Bau auch für die Porr AG ein zentrales Infrastrukturporjekt der nächsten Jahre in Wien. Dabei komme „das gesamte Portfolio des Spezialtiefbaus und des Tunnelbaus zum Einsatz“, wie CEO Karl-Heinz Strauss sagt. „Dass wir in der Porr beide Bereiche mit Eigenpersonal abdecken, macht sich gerade bei diesen anspruchsvollen Projekten bezahlt.“ In der branchenweiten Preisentwicklung spiegle sich der verschärfte Verdrängungswettbewerb wider. Die Porr begegne dem mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Optimierung von Prozessen, wobei die Digitalisierung hier eine große Rolle spiele – und natürlich „die innovative Kraft der Porrianerinnen und Porrianer“.
Auch Swietelsky hat massive U-Bahn-Bau-Erfahrung, weshalb Geschäftsführer Karl Weidlinger ihn als „ein maßgebliches Standbein für den Ingenieurbau und Tunnelbau“ für das Unternehmen bezeichnet. Die Preisentwicklung im Bau hinke der Kostenentwicklung sehr hinterher. Nicht selten passiere es, dass Bindefristen von Nachunternehmerangeboten wesentlich kürzer sind als Zuschlagsfristen von Auftraggebern. „Das bedeutet, dass im Fall eines Auftragseingangs eventuell kein gültiges Subunternehmerangebot mehr vorliegt und dann oftmals kalkulatorisch ungedeckte Mehrkosten anfallen oder es zu Lieferengpässen kommen kann“, so Weidlinger.
Um die Bauwirtschaft zu entlasten, müsste die Politik flexiblere Tagesarbeitszeiten ermöglichen, so Weidlinger. Es sollte daraus „eine echte Jahresarbeitszeit entstehen“ können, „bei der Mitarbeiter auch im Winter mit Zeitausgleich durchbeschäftigt werden können“. Dabei betont der Swietelsky-Boss, dass Überstundenzuschläge Investitionstätigkeit vonseiten nächster durchaus auch künftig abgegolten werden sollten. Gerade im Hinblick auf den Pensionsdurchrechnungszeitraum würde eine entsprechende Mehrarbeit auch seitens der Arbeiter begrüßt, ist sich Weidlinger sicher.
„Nach Jahren der starken Investitionstätigkeit vonseiten der öffentlichen Hand – etwa bei Bahnhofsoffensiven der ÖBB – sehen wir in Österreich in nächster Zeit nur noch vergleichsweise wenige Großaufträge in der Pipeline“, sagt Jens Hofmann. Er ist Leiter der Zentralen Technik im Technischen Büro Wien bei der Strabag und Experte für die innovativen BIM-5D-Entwicklungen des Unternehmens im Bereich Verkehrswegebau/Tiefbau. Im Bereich des Building Information Modeling (BIM) sieht er noch viel Professionalisierungsbedarf in der Branche: „In Großbritannien ist BIM mittlerweile eine gängige Anforderung bei Ausschreibungen und Projektabwicklungen“, aber auch in Deutschland geht es in diese Richtung: „Die Agenda 2020 sieht vor, dass ab dem Jahr 2020 für alle öffentlichen Ausschreibungen von Infrasttrukturbauten BIM eine auftraggeberseitige Anforderung sein wird.“
Innerhalb des Strabag-Konzerns werde der Bereich im Hochbau wie auch im Ingenieur- und Tiefbau seit längerer Zeit auf- und ausgebaut – insbesondere auch bei der Tochter Züblin. Insofern sieht Hoffmann die Strabag künftig im Vorteil gegenüber vielen Mitbewerbern. Denn von Auftraggebern werde es natürlich geschätzt, wenn „technische und finanzielle Risiken besser zu erkennen“ und „Planungs- bzw. Gewerkeschnittstellen früher zu klären“ sind.