U-Bahn-Ausbau Wien
Riesige Tunnelvortriebsmaschine wühlt sich durch Wien
Sie ist vielleicht nicht besonders schön. Aber Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Außerdem können sich ihre Abmessungen durchaus sehen lassen: Sie bringt satte 1.300 Tonnen auf die Waage, ist 120 Meter lang und weist einen Durchmesser von sieben Metern auf. Sie – damit ist der maschinelle Maulwurf gemeint, der sich seit Mitte September durch den Wiener Untergrund wühlt. Die technisch korrekte Bezeichnung für die Maschine lautet: „Tunnelvortriebsmaschine“ (TVM). Weil Maulwurf falsch ist und TVM zu spröde, haben die Wiener Linien, in dessen Dienst das gigantische Gerät arbeitet, ihre Kundschaft gebeten, für sie einen Namen zu wählen. Zur Auswahl standen mit Ida, Grabara und Debohra auch deshalb nur weibliche Namen, weil damit die Schutzpatronin der Bergleute, die Heilige Barbara, geehrt werden soll. Das Wahlvolk entschied sich für Debohra – auch die Namensgebung ist erwiesenermaßen eine Frage des persönlichen Geschmacks.
30 Meter unter der Erde
Debohra bohrt sich derzeit rund 30 Meter unter der Erdoberfläche mit einer Geschwindigkeit von bis zu zehn Meter am Tag vorwärts. Sie buddelt die erste der beiden Röhren für die 4,4 Kilometer lange Strecke der U-Bahnlinie U2 zwischen dem Matzleinsdorfer Platz und dem Augustinplatz vor der Station Rathaus. Es handelt sich nicht um ersten Einsatz einer TVM in Wien. Aber Debohra soll den mit 4,4 Kilometern längsten Tunnel errichten, den eine TVM bislang in Wien gebohrt hat.
„Ich freue mich, dass Tausende Wienerinnen und Wiener bei der Namensgebung der Tunnelvortriebsmaschine teilgenommen haben“, meint der für den öffentlichen Verkehr zuständige Wiener Stadtrat Peter Hanke. „Der Start von Debohra ist ein zentraler Meilenstein für das Mega-Projekt U2xU5.“ Dieser Einschätzung stimmt der für den U2-Ausbau bei den Wiener Linien verantwortliche Projektleiter, Helmut Schweiger, zu: „Der Einsatz der Tunnelvortriebsmaschine hat für den gesamten Zeitplan des Projekts eine entscheidende Bedeutung“, so Schweiger. „Wenn wir hier Verzögerungen haben, dann wirkt sich das eins zu eins auf die gesamte Fertigstellung aus.“
Und unvorhergesehene Verzögerungen sind beim U-Bahn-Bau jederzeit möglich. Erst im August gaben die Wiener Linien bekannt, dass sich die Fertigstellung der U2-Strecke, die derzeit von Debohra gebohrt wird, verzögert. Der Grund: unvorhergesehen geologische Gegebenheiten. Kommt Debohra so voran wie geplant, dann soll sie bis zum Herbst 2026 mit ihrer Arbeit fertig sein. Die Eröffnung der neuen U2-Teilstrecke ist für das Jahr 2030 vorgesehen.
Diese Erweiterung der U2 ist Teil eines gewaltigen Infrastrukturprojekts namens „U2xU5“: In dessen Rahmen wird das U-Bahn-Netz der Bundeshauptstadt massiv ausgebaut. Mit der U5 entsteht eine völlig neue U-Bahn-Linie. Und die U2 wird in Richtung Süden bis zum Wienerberg erweitert. Dabei werden insgesamt zwölf neue U-Bahn-Stationen errichtet. Der Investitionsvolumen liegt bei rund sechs Milliarden Euro. Die Investitionen werden die Kapazität des öffentlichen Verkehrs in Wien deutlich erhöhen. Die jährliche Kapazität der Öffis in Wien sollen damit auf 1,3 Milliarden Fahrgäste pro Jahr steigen. Das CO₂-Einsparungspotenzial des Projekts U2xU5 liege bei bis zu 75.000 Tonnen jährlich.
Die U5, die die Farbe Türkis erhält, wird die erste vollautomatische U-Bahn-Linie Wiens werden. Sie übernimmt den Südast der violetten U2 vom Karlsplatz bis zum Rathaus. Neu gebaut wird dann die Strecke vom Rathaus ausgehend in den Nordwesten in Richtung AKH bis hin zur Endstation Hernals. Die U2 wird vom Rathaus Richtung Süden bis zum Wienerberg verlängert, der damit an das U-Bahn-Netz angeschlossen wird.
Der U-Bahn-Ausbau soll in mehreren Baustufen zwischen 2032 und 2035 abgeschlossen sein. Mit der Umsetzung der ersten Baustufe haben die Wiener Linien zwei Arbeitsgemeinschaften beauftragt: Eine Arge aus Strabag und Porr, erhielt den Zuschlag für die U2 – also den Bau der Strecke, zwischen Matzleinsdorfer Platz und dem Augustinplatz, die derzeit von Debohra gebohrt wird. Der Auftragswert für die Arge liegt bei knapp einer halben Milliarde Euro. Eine Arge aus Swietelsky, Habau und Hochtief ist mit der Umsetzung der Station Rathaus sowie der U5 betraut – also den Bau der Strecke vom Rathaus zum Frankhplatz. Das Auftragsvolumen beträgt rund 240 Millionen Euro.
Die Arbeiten an dem Projekt stellen große technischen Ansprüche an die beteiligten Unternehmen im Bereich Tunnelbau und Spezialtiefbau. „Dieses komplexe urbane Projekt ist auch insofern bemerkenswert, weil es uns auf ganzer Bandbreite fordert“, meint Thomas Birtel, Vorstandsvorsitzender der Strabag SE. Karl-Heinz Strauss, CEO der Porr AG, ergänzt: „Wir setzen hier unser geballtes Know-how im U-Bahnbau ein.“
Geballtes technologisches Know-how kommt auch bei Debohra zum Einsatz. Die 120 Meter lange Maschine wurde speziell für den Einsatz in Wien vom deutschen Hersteller Herrenknecht hergestellt. Die einzelnen Segmente wurden vor Ort am Matzleinsdorfer teilweise zusammengebaut und anschließend in den 30 Meter tiefen U-Bahn-Schacht befördert. Ganz vorne an der Maschine befindet sich das sogenannte „Schild“. Er ist neun Meter lang und besteht seinerseits aus dem Schneidrad, die die Röhre aus dem Gestein fräst, der Förderschnecke, die die Gesteinsbrocken nach hinten befördert und der Vortriebspresse, die das Schneidrad an das Gebirge drückt. Direkt hinter dem Schild ist der „Errektor“ positioniert – ein Vakuumkran, der wie ein Saugnapf funktioniert. Er verlegt die „Tübinge“ in der frisch gefrästen Röhre. Die sind Betonfertigteile, aus denen die Röhre gefertigt wird. Ein Segment der Röhre besteht jeweils aus sechs Tübingen. Hinter dem Errektor befinden sich schließlich die diversen Aggregate und Systeme, die für den Betrieb von Debohra benötigt werden.
Mit der ersten Röhre soll Debohra im Herbst 2025 fertig sein. Da eine U-Bahn-Strecke aber aus zwei Röhren besteht – jeweils eine pro Fahrtrichtung – ist ihr Werk damit noch nicht vollendet. Die hinteren Segmente der Tunnelvortriebsmaschine fahren zurück Richtung Matzleinsdorfer Platz. Bis auf das Schild. Dazu Projektleiter Schweiger: „Das Schild ist größer als der Querschnitt der Röhre. Deshalb muss es am Augustinplatz an die Oberfläche gebracht werden. Dort wird es zerlegt und in Einzelteilen zurück zum Matzleinsdorfer Platz gebracht. Dann beginnt die zweite Tour.“