Austrian Standards

Altes neu denken

Fachveranstaltung
06.12.2024

Austrian Standards lud zahlreiche Stakeholder der heimischen Bauindustrie zur Jahrestagung Bau 2024 ein. Das Interesse wars groß. Der Tenor der Teilnehmer*innen: Mutig die grüne Transformation angehen und dabei keine Angst haben Altes neu zu denken.
Keynote Speaker (v.l.): Markus Zilker und Katharina Kothmiller
Die Keynote Speaker: Markus Zilker und Katharina Kothmiller.

„Wanted: Nachhaltige Lösungen für eine Zukunft im Bausektor.“ Unter diesem Titel stand die Jahrestagung Bau 2024 von Austrian Standards. Die österreichischen Standardisierungs-Spezialisten hatten erneute zahlreiche Stakeholder eingeladen. Wie schon in den Vorjahren war das Interesse an diesem offenen Community-Austausch groß. 270 Gäste aus ganz Österreich waren live oder digital dabei. Eine von mehreren aktuellen Problemstellungen war von den Podiumsgästen dabei rasch und klar identifiziert: „Konjunkturelle Stagnation trifft auf ambitionierte EU-Klimaziele“. Durch dieses Nadelöhr gibt es zwei Pfade: grüne Innovation und Transformation und keine Angst davor, Altes neu zu denken. Die Veranstaltung wurde von Bauzeitung-Chefredakteur Martin Hehemann moderiert.

Radikale Transformation bis 2030?

Gleich zu Beginn der Veranstaltung sorgen die beiden Keynote Speaker für selbstkritische Anmerkungen in Bezug auf die eigene Baubranche: Die Architekt*innen Katharina Kothmiller, Geschäftsführende Partnerin bei Nonconform, und Markus Zilker, Gründer von Einszueins Architektur – beide Mitglieder des Zukunftsnetzwerks Habitat2030 – stellten sich und dem Publikum folgende Frage: „Wie kann die radikale Transformation der Baubranche zur Klimaneutralität bis 2030 gelingen?“

Damit war der Start in angeregte Diskussionen garantiert. Gemeinsamer Nenner in allen Gesprächen: An mehr Nachhaltigkeit im Sektor führt kein Weg vorbei. Denn die „Hütte brennt“ und im Rennen für eine Zukunft ohne laufend neue Klimakatastrophen, wie man sie 2024 erlebt hat, sei man weit ins Hintertreffen geraten. Besonders kritisch betrachteten die Expert*innen Art und Menge eingesetzter Materialien mit besonderem Fokus auf die grauen Emissionen – also jener Ausstoß, der bei der Herstellung von Materialien entsteht. Hier ist für Katharina Kothmiller und Markus Zilker der mit Abstand größte Hebel für ein nachhaltigeres Bauen und Sanieren zu finden. Dass es anders gehe, belegten sie mit dem taufrischen Siegerprojekt „Wiener Luft“, einem Bauträgerwettbewerb zum Nordwestbahnhof Wien. Dank innovativer Planung und Materialien werde man bei diesem Projekt mit nachwachsenden Baustoffen auf sieben Geschossen das Net-Zero-Ziel erreichen.

Damit lässt sich die aktuelle Stimmung der gesamten Branche wohl treffend beschreiben. Doch das Ergebnis der Transformation ist noch nicht absehbar. Der einstige Konjunkturmotor Bau steht wie andere Sektoren vor massiven Umbrüchen. „Man ist an einem Punkt, an dem man Dinge nicht nur anpacken, sondern bei Bedarf auch umdrehen oder entsorgen muss. Und jede*r von uns – auch die Normung – muss die nötigen Hausaufgaben machen“, sagt Valerie Höllinger, CEO und Managing Director bei Austrian Standards. „Bei allen Schauplätzen wie Zinspolitik, Deregulierung und Co. werden wir aber aus einer Verpflichtung nicht entlassen werden, nämlich der Dekarbonisierung. Die Klimaziele der Europäischen Union sind unverrückbar und das ist gut so, denn die Auswirkungen der Klimakrise rücken spürbar näher an unser aller Leben heran. Das mussten wir 2024 mit verheerenden Hochwasserereignissen im Land deutlich erleben.“

Aus Sicht von Tim Joris Kaiser, stellvertretender Leiter Wirtschaft und Soziales, Europäische Kommission in Wien, ist es kein Zufall, dass es nun einen EU-Kommissar für „Energie und Wohnungswesen“ gibt, nämlich Dan Jørgensen aus Dänemark. Als Teil des gemeinsamen Plans für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit sei der notwendige Wandel des Sektors, der sowohl ökonomische als auch ökologische Zielsetzungen verfolgt, auch aus Sicht der EU-Kommission ein Kernanliegen.

Im Tagungsprogramm wurden Lösungsansätze aus unterschiedlichen Bereichen aufgezeigt – darunter klare Anforderungen an die Energie- und Ressourceneffizienz von Bauwerken, die auch noch in 100 Jahren stehen sollen. Wegweisend hierbei sind kreislauffähige Konstruktionsprojekte mit einem Net-Zero-Commitment. Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft sind hier die tragenden Säulen der Bauzukunft.

„Im Bereich Materialkonsum ist ein grundlegendes Umdenken notwendig: Es braucht eine Ressourcenwende im Bauwesen! Unsere Devise lautet: weniger verbrauchen, länger nutzen und wiederverwenden – Materialien also werthaltig im Kreislauf führen“, meinte Bernadette Luger, Leiterin des Programms „Do Tank Circular City Wien 2020-2030“ und der Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen der Stadt Wien. „Die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel, der sich durch alle Vorgaben, Normen und Prozesse ziehen muss. Wir gehen diesen Weg Schritt für Schritt und arbeiten bereits heute daran, zirkuläre Anforderungen an das Bauen umzusetzen.“

Die Jahrestagung schloss mit einer top-besetzten Diskussionsrunde, die sich aktiv mit der Zukunft des Bausektors befasste.  „Bei der BIG nehmen wir in Summe zwei Milliarden für reine Dekarbonisierungsmaßnahmen in die Hand. Wir investieren dort, wo die echten CO₂-Effekte zu erwarten sind, und tragen auch dafür Sorge, dass Maßnahme A nicht unter Maßnahme B leidet“, meinte Gerald Beck, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft BIG und Austrian Real Estate ARE. Er verwies auf ein Beispiel aus einer Schule in Wien: „Wenn sich nach dem Umbau von Öl und Gas auf Wärmepumpen und PV dann herausstellt, dass die Sanierung der Hülle die erzielten CO₂-Effekte am Standort auf Jahrzehnte wieder auffrisst, dann wird die Hülle nicht angetastet. Hier rechnet man bei der BIG kühl und kühn. Wir wissen, dass 2040 als Ziel für viele am Markt unrealistisch ist. Für uns als BIG darf es das nicht sein. Ich bin optimistisch, dass wir als BIG diese Vorgabe schaffen.“

„Die Veränderungen sehen wir überall, auch im eigentlichen Baustellenbetrieb. Modulare Bauweise und Vorfertigung spart enorm viel Material-An- und Abtransport an Baustellen. Auch Werkzeuge und vor allem Baufahrzeuge werden ein Stück kleiner, dafür aber vermehrt vollelektrisch“, sagte Strabag-Vorstand Markus Engerth. 

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