METALL History
100 Jahre Hartmetall
Von Rickard Sundström
Im Jahr 2023 jährt sich zum 100. Mal die Erfindung des Hartmetalls, einer Werkstoffgruppe, die für ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber hohen Temperaturen und schnellen Bearbeitungsprozessen bekannt ist und die Grundlage vieler moderner Werkzeuge bildet. Sandviks Entwicklungsleiter Rickard Sundström blickt auf die lange Geschichte des Hartmetalls und seine Bedeutung für Sandvik Coromant zurück und gibt einen Ausblick auf die nächsten 100 Jahre.
Viele wichtige Epochen der Geschichte werden durch das Material ihrer Werkzeuge charakterisiert, wie z.B. die Steinzeit oder die Eisenzeit. Die Benennung dieser Epochen nach dem Material der Werkzeuge zeigt die Bedeutung dieser Werkzeuge für die Gesellschaft und das Bestreben des Menschen, sich ständig zu verbessern und neue Techniken zu entwickeln. Die Anwendungen und die Komplexität der Werkzeuge haben sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert, aber sie sind auch heute noch wichtig für das Funktionieren unserer Welt.
Die Anfänge
Die Entwicklung der ersten kommerziellen Stahllegierung wird häufig dem britischen Metallurgen Robert Forester Mushet zugeschrieben, der 1868 entdeckte, dass die Zugabe von Wolfram zu Stahl dessen Härte auch nach dem Abkühlen erhöht. Diese Entdeckung bildete die Grundlage für die Entwicklung von Metalllegierungen und führte zur Verwendung von Werkzeugstählen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es eine Kunst, Metalle zu formen und zu bearbeiten und hochqualifizierte Handwerker nutzten Werkzeugstahl als Schneidstoff.
Mit der steigenden Nachfrage nach Massenfertigung, insbesondere in Branchen wie der Automobilindustrie, wurde jedoch deutlich, dass der Werkzeugstahl nicht Schritt halten konnte. Seine begrenzte Hitzebeständigkeit führt zu einer Erweichung bei hohen Temperaturen, insbesondere an der Schnittstelle zwischen Werkzeug und Werkstück, was die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung erschwert.
In der Folge wurden HSS-Stähle entwickelt, die mehr Kobalt enthielten als Werkzeugstähle. Das zusätzliche Kobalt verlieh dem Schnellarbeitsstahl eine höhere Warmfestigkeit und ermöglichte so wesentlich höhere Schnittgeschwindigkeiten. Die schnellere Zerspanung erhöhte die Produktivität, senkte die Gesamtproduktkosten und war letztlich einer der Faktoren, die dazu beitrugen, dass Fahrzeuge für die Allgemeinheit bezahlbarer wurden.
Die Einführung von Hartmetall
Der Erfolg des Schnellarbeitsstahls führte zu einer Weiterentwicklung der Industrie, die in der Erfindung des Hartmetalls mündete. Am 30. März 1923 meldete Karl Schröter, der damalige Leiter von Forschung und Entwicklung beim deutschen Leuchtmittelhersteller Osram, das erste Patent mit dem Titel "Gesinterte harte Metalllegierung und Verfahren zu ihrer Herstellung" (DE420689) an. Ursprünglich war das Material für Zieheisen in der Glühbirnenindustrie gedacht, doch später wurde Hartmetall für Zerspanungswerkzeuge entwickelt und getestet. Als solches wurde es 1927 auf einer Ausstellung in Leipzig vorgestellt. Zur Herstellung von Hartmetall werden feine Carbidteilchen mit einem Metallbindemittel zu einem Verbundstoff verarbeitet. Zu den gebräuchlichsten Carbiden gehören Wolframcarbid (WC), Titancarbid (TiC) und Tantalcarbid (TaC), wobei häufig Kobalt und Nickel als Bindemetalle verwendet werden.
So wie die Einführung des Schnellarbeitsstahls den Fertigungsmarkt revolutionierte, ermöglichte die Erfindung des Hartmetalls eine noch schnellere Bearbeitung, sodass Schnittgeschwindigkeiten von bis zu 150 Metern pro Minute möglich wurden.
In dieser Zeit begann Sandvik mit der Entwicklung von Hartmetallwerkzeugen und die Marke "Sandvik Coromant" wurde 1942 mit dem alleinigen Ziel gegründet, moderne Zerspanungswerkzeuge aus Hartmetall anzubieten. Die ersten Hartmetallwerkzeuge von Sandvik Coromant für die Metallzerspanung wurden im darauffolgenden Jahr hergestellt, und mit der zunehmenden Industrialisierung in den 1950er und 1960er Jahren stieg die Nachfrage weiter an.
1969 war Sandvik Coromant das erste Unternehmen weltweit, das keramikbeschichtete Hartmetall-Wendeschneidplatten anbot. Die keramische Gamma Beschichtung verbesserte die Verschleiß- und Hitzebeständigkeit der Werkzeuge erheblich und steigerte die Zerspanungsleistung um bis zu 50 Prozent. Das Unternehmen baute sein Hartmetallsortiment weiter aus und entwickelte neue Sorten und Bohrer für eine Vielzahl von Branchen. Im Jahr 2005 wurde die Sorte GC 4225 zur weltweit meistverkauften Hartmetallsorte.
Endliche Rohstoffe
Doch wie sieht die Zukunft der Hartmetalle aus? Grundlegend für die Hartmetallherstellung sind Metalle wie Wolfram und Kobalt, deren Vorkommen begrenzt sind. Kobalt ist beispielsweise ein gängiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien und wichtig für deren längere Lebensdauer. Aufgrund der steigenden Nachfrage und der Probleme beim Abbau könnte es bereits 2028 zu Engpässen kommen.
Um endliche Ressourcen zu schonen, ist es unerlässlich, dass Hersteller und Zulieferer zu einer nachhaltigen Arbeitsweise beitragen. Dies kann durch die Reparatur und Aufarbeitung alter Werkzeuge geschehen, um diesen ein zweites oder gar drittes Leben zu geben. Darüber hinaus können unbrauchbare Werkzeuge über Rückkaufprogramme verkauft und zu neuem Werkzeugmaterial recycelt werden. Sandvik Coromant bietet beides an und die neueste Serie an Stahldrehsorten besteht zu mindestens 40 Prozent aus recyceltem Material. Auch die Berücksichtigung von Aspekten wie Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit bereits in der Konstruktionsphase des Werkzeugs trägt dazu bei, dass nicht mehr Material als nötig verwendet wird.
Blick in die Zukunft
Die Verfügbarkeit von Rohstoffen wird über die Zukunft der Hartmetalle entscheiden. Bei Sandvik Coromant wird die weitere Verbesserung der Nachhaltigkeitsprogramme ein Schwerpunkt sein. Insbesondere der Sortieraspekt des Recyclingprozesses wird ein wichtiger Entwicklungsbereich sein, da er im Hinblick auf die benötigten Energieressourcen nach wie vor eine Herausforderung darstellt.
Trotz großer Innovationssprünge spielen ältere Schneidstoffe wie Schnellarbeitsstahl immer noch eine wichtige Rolle im Gesamtmarkt. Und Hartmetall ist zweifellos auch im hundertsten Jahr seines Bestehens ein enorm wichtiger Schneidstoff für viele Branchen. Aber es gibt immer Raum für Verbesserungen, und da sich die Anwendungen ändern und neue hinzukommen, bleibt die Herausforderung, immer bessere Lösungen zu finden. [gr]