Arbeitsmarkt
Der Fachkräftemangel spitzt sich weiter zu
Laut einer neuen Studie der Wirtschaftskammer Wien (WK Wien) ist die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern weiterhin eines der Top-Themen der Wirtschaft. Alleine die Wiener Unternehmen sehen für die nächsten drei bis fünf Jahre den Bedarf an rund 55.000 Fachkräften.
Für die aktuelle Bildungsbedarfsanalyse hat das Forschungsinstitut Makam Research insgesamt 925 Wiener Unternehmen mit gesamt rund 80.000 Mitarbeitern befragt. Dabei wurde genauer unter die Lupe genommen, welche Absolventen die Betriebe am häufigsten benötigen. Das Ergebnis lässt die Alarmglocken läuten: Die hohe Nachfrage zieht sich mittlerweile durch alle Bildungswege, von der Lehre über die höheren Schulen bis zu Fachschulen und Universitäten.
Der Fachkräftebedarf ist größer geworden
Schon 2018 hat eine Studie des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) für Österreich einen zusätzlichen Fachkräftebedarf von rund 162.000 Personen festgestellt. Verbessert hat sich die Situation seit damals nicht. "Die Nachfrage nach Fachkräften hat sich noch weiter verstärkt. Es ist daher das Gebot der Stunde, Maßnahmen zu setzen, die den Fachkräftemangel sowohl rasch als auch nachhaltig lindern", so WK Wien-Präsident Walter Ruck. Gleichzeitig betont er, dass die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern für die Unternehmen erfolgsentscheidend ist.
Zuletzt wurde die Bildungsbedarfsanalyse 2019 durchgeführt. Im Vergleich zur aktuellen Studie zeigt sich, dass besonders die Nachfrage nach Lehrlingen gestiegen ist. Gaben 2019 noch rund ein Viertel der Betriebe an, in Zukunft mehr Lehrlinge aufzunehmen zu wollen, sind es nun bereits mehr als vierzig Prozent. Weiterhin hoch ist auch der Bedarf an Fachhochschul-, HTL- und Universitätsabsolventen. Wobei vor allem die Ausbildung an den Fachhochschulen und den HTL den Bedarf der Wirtschaft trifft. Vier von zehn Betrieben sind mit der Berufsausbildung zufrieden und haben keinerlei Änderungswünsche.
Mehr Arbeitsmarkt-Maßnahmen gefordert
Auch seitens der Industrie wird bestätigt, dass sich die Zahl der unbesetzten Fachkräfte-Stellen weiterhin auf einem hohen Niveau befindet. Die heimischen Betriebe stehen dadurch vor dem zentralen Problem eines sich immer weiter zuspitzenden Arbeits- und Fachkräftemangels. "Der Arbeits- und Fachkräftemangel fordert die Unternehmen enorm. Nur mit ausreichend Personal kann ein reibungsloser Ablauf im Betrieb sichergestellt werden", so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer, der umfassende Maßnahmen, eine Stärkung der Leistungsanreize und das Heben aller Potenziale am Arbeitsmarkt fordert.
Die Industriellenvereinigung begrüßt daher die bei der Regierungsklausur Mitte Jänner beschlossene Reformgruppe für mehr Beschäftigung. Das erste diesbezügliche Treffen von Arbeitsminister Martin Kocher, Finanzminister Magnus Brunner, Sozialminister Johannes Rauch mit Vertreter*innen der Sozialpartner und der Bundesländer, den Sozialsprecher*innen der Parlamentsparteien sowie den Seniorenvertreter*innen fand am 6. Februar statt.
Eigene Reformgruppe für längere Beschäftigung
Es geht darum, mehr Menschen, auch ältere Menschen, länger im Arbeitsleben zu halten. Dafür braucht es, wie Arbeitsminister Kocher erklärte, die richtigen Maßnahmen, um die Erwerbsbeteiligung von älteren Arbeitnehmer*innen zu erhöhen. Immerhin müsse sich Österreich, so wie andere Staaten in Europa auch, "in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf einen sehr starken Arbeitskräftemangel einstellen".
Thematisiert werden soll unter anderem das Arbeiten bis zum regulären Pensionsantrittsalter sowie darüber hinaus mit Erleichterungen bei der Besteuerung und dem Sozialversicherungsbeitrag. Weitere mögliche Anreize aus Sicht der Industrie wären steuerliche Entlastungen bei Überstunden oder die Attraktivierung der Vollzeitarbeit. Auf jeden Fall erwartet sich hier die Industriellenvereinigung, wie von der Bundesregierung angekündigt, konkrete Schritte bis zum Ende des ersten Quartals.
Ausbildungsprojekt für junge Frauen verlängert
Doch nicht nur ältere Beschäftigte, die länger im Arbeitsprozess bleiben, könnten dem Fachkräftemangel entgegenwirken, auch bessere Ausbildung- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen sind ein wichtiger Aspekt. Seit 2016 unterstützt das Projekt "Job Navi" des AMS Wien daher junge Frauen mit fehlendem Lehrabschluss und Betreuungspflichten dabei, ihre Ausbildung nachzuholen und eine Lehre abzuschließen. Der Erfolg des vom Arbeitsministerium geförderten Programms basiert auf einen Mix aus Lehrangebotsinhalten und Betreuungsmöglichkeiten. Das Arbeitsministerium übernimmt dabei die Kosten für die Betreuung. Derzeit werden 50 Frauen unterstützt, seit Projektbeginn waren es 543 Teilnehmerinnen. Aufgrund des Erfolgs wurde nun der Förderzeitraum für das Jahr 2023 verlängert. "Es handelt sich bei "Job Navi" um ein kleines, aber wichtiges Projekt", betont Kocher, der damit bewiesen sieht, dass es möglich ist, Ausbildung und Kinderbetreuung zu verknüpfen.
Leichtere Integration von Vertriebenen
Positive Resonanz seitens der Industriellenvereinigung gibt es auch bezüglich der Erleichterung beim Arbeitsmarktzugang für Ukrainerinnen und Ukrainer. Durch den im Nationalrat eingebrachten Initiativantrag sollen künftig Personen mit einem Ausweis für Vertriebene vom Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgenommen werden und somit völlig freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt haben. Zuvor wurde Ende Jänner 2023 das vorübergehende Aufenthaltsrecht für Vertriebene aus der Ukraine bis 4. März 2024 verlängert. "Der Entfall des Erfordernisses einer Beschäftigungsbewilligung für diese Personen ist der nächste wichtige und richtige Schritt, um eine Integration am Arbeitsmarkt zu unterstützen", merkt Christoph Neumayer an. Der Abbau dieser bürokratischen Hürde sei äußerst erfreulich.
Entbürokratisierung der RWR-Karte
Darüber hinaus stimmt die Industrie den geplanten Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte zu. Künftig sollen im Punktesystem Kenntnisse in den Fremdsprachen Französisch, Spanisch, Bosnisch, Serbisch und Kroatisch berücksichtigt werden. Zuletzt kam es mit 1. Oktober 2022 zu gesetzlichen Änderungen der neuen RWR-Karte, um den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt für Nicht-EU-Bürger*innen zu erleichtern und so Abhilfe beim Fachkräftemangel zu schaffen. "Es ist schon alleine vor dem Hintergrund des demografischen Wandels unumgänglich, auf qualifizierte Zuwanderung zu setzten", so Neumayer.
Grundsätzlich scheint die neue Rot-Weiß-Rot-Karte zu funktionieren. Schon im Oktober, also dem ersten Monat der Veränderung, wurden laut Arbeitsminister Kocher 150 RWR-Karten mehr als im Oktober 2021 ausgegeben. Wie im ORF-Teletext zu lesen, sieht Kocher aber noch Potenzial bei der Anerkennung von Ausbildungen und bei der digitalen Beantragung. Kocher ist klar, dass die Karte alleine den Arbeitskräftemangel nicht lösen wird, sie aber ein wichtiger Baustein sei.
Neues Lehrberufspaket in Begutachtung
Um den Fachkräftemangel zu entschärfen, hat Arbeitsminister Martin Kocher außerdem Anfang Februar ein neues Lehrberufspaket in Begutachtung geschickt. Darin geht es um Berufe, die vorerst Pilotprojekte waren und jetzt zu Regelberufen umgewandelt werden sollen. Konkret enthält das Paket neue Berufsbilder für die Lehrberufe Abwassertechnik, Kunststofftechnologie und Pharmatechnologie. Auch die Lehrberufe Bautechnische Assistenz, Einzelhandel mit Schwerpunkt digitaler Verkauf sowie Medienfachmann/Medienfachfrau sollen aufgrund der Empfehlungen des Evaluierungsberichts des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) modernisiert werden.
Das Paket wurde mit den Sozialpartnern im Bundes-Berufsausbildungsbeirat abgestimmt und ist bis 3. März 2023 in Begutachtung. Nach der Sichtung aller Stellungnahmen soll die Verordnung noch im zweiten Quartal 2023 in Kraft treten, um rechtzeitig vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres im Herbst 2023 zur Verfügung zu stehen.
Dennoch ist klar, dass die Suche nach Fachkräften einer der größten Herausforderungen ist und auch in naher Zukunft bleiben wird.