Lieferengpässe
Bauboom versus Materialkrise
Allen Befürchtungen zum Trotz boomt die Baukonjunktur wie selten zuvor. Der Bausektor ist der Fels in der Brandung der Corona-Krise. Ein Jahr Pandemie hat die Branche natürlich zu einigen Umstellungen durch die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen gezwungen, auch bei Baubewilligungen gab es immer wieder Verzögerungen. Doch auch bei vielen Dachhandwerkern stapeln sich die Aufträge. Das wäre ja ein Erste-Welt-Problem – gäbe es nicht zunehmende Lieferengpässe bei den Baumaterialien.
Weltweite Materialengpässe
Bei unserer Umfrage in der Dach-Zulieferindustrie im Jänner 2021 wurden nur vereinzelt Lieferengpässe gemeldet, die Lager waren meist noch gut gefüllt. Inzwischen hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Eingeschränkte Verfügbarkeiten von Rohstoffen und unsichere Lieferfristen setzen die Baustoffproduzenten gehörig unter Druck. Fast alle Baumaterialien sind betroffen, besondere Engpässe gibt es derzeit bei Stahl, Holz, Dämmstoffen und Abdichtungsprodukten.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie reichen von Ausfällen beim Rohstoffeinkauf, Corona-bedingten Produktionsengpässen, Mangel an Frachtcontainern, LKW-Staus durch verzögerte Grenzkontrollen bis zu fehlendem Verpackungsmaterial. „Wir haben nahezu täglich mit Versorgungsengpässen bei der Rohstoff-Beschaffung in praktisch allen Produktbereichen zu kämpfen. Die Gründe für diese angespannte Rohstoff-Verfügbarkeit sind vielschichtig und wirken sich knallhart für uns als Hersteller aus“, sagt etwa Günther Murauer, Geschäftsführer des Dachsystem-Herstellers Bauder Österreich.
Die saisonbedingte und investitionsprämiengestützte Steigerung der Bauaktivitäten heizt die Situation noch einmal deutlich an.
Aktuell fahren alle Hersteller auf Sicht. Niemand kann voraussagen, wie sich die Preise entwickeln.
Explosionsartige Preissteigerungen
Die Spirale dreht sich weiter, denn ein knapper Markt macht hohe Preise. Laufend käme es zu überproportionalen Preissteigerungen bei Vorlieferanten, berichtet Roland Hebbel, Geschäftsführer der Steinbacher Dämmstoff GmbH. Ein österreichischer Produzent von Sandwichpaneelen erzählt, dass er die Preisliste Anfang April bereits zum 30. Mal nach oben korrigieren musste. „Aktuell fahren alle Hersteller auf Sicht. Niemand kann voraussagen, wie sich die Preise entwickeln. Die Märkte sind sehr sensibel, und die Preise werden von unseren Lieferanten monatlich festgelegt“, erklärt Austrotherm-Geschäftsführer Klaus Haberfellner.
Besserung erwartet derzeit niemand. Im Gegenteil: „In den kommenden Wochen sind weitere Preissteigerungen angekündigt. Wegen der sehr dynamischen Entwicklung können unsererseits im Moment keine längerfristigen Preisbindungen vereinbart werden, da die derzeitige Volatilität bei chemischen Rohstoffen dies nicht zulässt“, so Ulrich Weihs, CEO Egger Building Products.
Auch bei Rubner Holz muss man diese Preissteigerungen an die Kunden weitergeben. Nach der Frequenz gefragt, sagt Roman Fritz, Geschäftsführer Vertrieb und Technik: „Die Preissteigerungen erfolgen aktuell mindestens monatlich“.
Unser oberstes Ziel ist es, unsere Stammkunden in Handel und Handwerk so gut wie möglich mit Material versorgen.
Enorme Bestellvolumen und Panikkäufe
Die Kunden, Verarbeiter, reagieren immer wieder mit Unverständnis und Panikkäufen, berichten die Lieferanten. Häufig wird versucht, vor der nächsten zu erwartenden Preiserhöhung große Mengen einzukaufen. „Viele Ausführende haben ihr Bestellvolumen verdoppelt oder sogar verdreifacht, denn alle wollen sicherstellen, dass sie die Ware noch bekommen. Es wird teilweise schon für den Juli bestellt“, berichtet Austrotherm-Geschäftsführer Klaus Haberfellner Mitte April. Überproportionale Bestellmengen werden inzwischen von den Lieferanten nicht mehr angenommen. Man versucht überall, möglichst alle Kunden gleich und fair zu beliefern.
„Es ist den Niederlassungsleitern überlassen, gegebenenfalls bestellte Mengen zu kontingentieren. Wir versuchen gemeinsam mit unseren Kunden abzuschätzen, ob es sich um laufenden Bedarf handelt, oder ob ein Hamsterkauf getätigt wird. Denn speziell diese Hamsterkäufe haben in einigen Bereichen zur Verschärfung der aktuellen Situation beigetragen“, berichtet Gerhard Koch, Bereichsleiter der Sparte Dachprofi bei Filli Stahl.
Natürlich versteht man die Kundenseite: „Unser oberstes Ziel ist es, unsere Stammkunden in Handel und Handwerk so gut wie möglich mit Material versorgen“, betont Bauder-Österreich-Geschäftsführer Günther Murauer.
Bauzeitverzögerungen und Baukostensteigerungen
Die angespannte Liefer- und Preissituation stellt die Verarbeiter derzeit vor große Herausforderungen, bringt Unsicherheit und Handwerksbetriebe oft in Bedrängnis. Schließlich sind sie nicht die Letzten in der Lieferkette. (Anm. d. Red.: Aktuelle Stimmen aus der Branche finden Sie in unserer Umfrage im österreichischen Dachhandwerk.)
Bei einer Umfrage unseres Schwestermediums Österreichische Bauzeitung von April befürchten 80 Prozent der Befragten Bauzeitverzögerungen aufgrund von Materialengpässen. Über 80 Prozent erwarten eine massive Preissteigerung der Baukosten.
Vor allem bei laufenden Projekten ergeben sich dadurch Probleme. Längerfristige Bauverträge beinhalten meist veränderliche Preise auf Basis der aktuellen Preissituation. Aber bei kleineren Bauprojekten werden in der Regel Festpreisverträge abgeschlossen. Damit stecken die Baufirmen in der Kostenfalle. Ein Spannungsfeld zwischen Auftragnehmern und Auftraggebern – das sich in den nächsten Monaten wohl nicht lösen wird.
Wer trägt Preissteigerungen in der Bauausführung?
Da die Materialpreissteigerungen in einem unerwarteten Ausmaß auftraten, wurden sie von den ausführenden Unternehmen bisher kaum in den Angebotspreisen berücksichtigt.
Festpreise
Bei kleineren Bauprojekten (z. B. Einfamilienhausbau) werden in der Regel Festpreisverträge abgeschlossen, bei denen keine nachträgliche Anpassung der angebotenen Preise vorgesehen ist. Dementsprechend drohen hier erhebliche Fehlvergütungen.
Veränderliche Preise
Bei längerfristigen Bauverträgen (zum Beispiel bei großen Infrastrukturprojekten), für die veränderliche Preise vereinbart wurden, ist eine Vergütung auf Basis der jeweils aktuellen Preissituation festgelegt. Sofern ein geeigneter Index zugrunde liegt, sollte eine Vergütung der entstehenden Mehrkosten gewährleistet sein. Insbesondere für jene Leistungsbestandteile mit preissensiblen Kostenanteilen, die einer (meist weltmarktabhängigen) volatilen Preisentwicklung unterliegen, führt die Vereinbarung einer geeigneten Preisgleitung zu einer fairen Risikoteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Dies ist auch für den Auftraggeber von Vorteil: Bei der Angebotskalkulation werden individuelle Risikozuschläge vermieden, wodurch die Angebote transparenter und vergleichbarer werden. Darüber hinaus profitiert der Bauherr bei sinkenden Rohstoffpreisen von entsprechend reduzierten Abrechnungspreisen.
Für öffentliche Auftraggeber im Anwendungsbereich des Bundesvergabegesetzes sind Festpreise aus diesem Grund nur dann zulässig, wenn dem Vertragspartner nicht „durch preisbestimmende Kostenanteile, die einer starken Preisschwankung unterworfen sind, unzumutbare Unsicherheiten entstehen“.
Quelle: Bundesinnung Bau, 04/2021
Entspannung in Sicht?
Die Produzenten erwarten eine Entspannung teilweise im Sommer dieses Jahres, manche erst 2022. Daher gilt, auf Sicht zu fahren, sich mit Lieferanten partnerschaftlich zu verständigen, mit Kunden offen zu kommunizieren, neue Verträge auf beiden Seiten mit Klauseln zu versehen und bei bestehenden Verträgen wohl den einen oder anderen Abstrich bei den Margen zu machen.
„Panik ist kein guter Berater. Nun sind Deeskalation und Kommunikation gefragt, um aus dem Engpass herauszukommen“, wie Steinbacher-Geschäftsführer Roland Hebbel empfiehlt.
Rechtliche Unterstützung
Rechtstipps zu bauvertraglichen Auswirkungen von Preissteigerungen und Lieferverzögerungen lesen Sie in diesem Artikel.
Für Fragen zu baurechtlichen Themen stehen die Juristen Ihrer Landesinnungen sowie der Bundesinnung der Dachdecker, Glaser und Spengler zur Verfügung: T: 01/505 69 60-221, E: baunebengewerbe@bigr4.at, www.d-g-s.at.
Bei der Klärung von durch die Corona-Krise verursachten rechtlichen Konflikten hilft derzeit unbürokratisch und kostengünstig das Vienna International Arbitral Centre (VIAC). Es bietet aktuell ein besonderes Service für heimische Unternehmen bei der Vermittlung von Wirtschaftsmediationen an. Alle Informationen dazu findet man hier.