"Derzeit dürfen wir uns nicht beschweren"

Dr. Martin Hagleitner, Vorstand der Austria Email AG, mit einer Analyse des SHK-Status-quo.
Hagleitner

In den letzten Jahren klagte die Heizungsbranche lautstark über die magere Sanierungsquote. Jetzt, da die Nachfrage unter anderem aufgrund attraktiver Förderungen sprunghaft angestiegen ist, droht, dass diese nicht oder zumindest nicht zeitnah bedient werden kann – wodurch der eine oder andere potenzielle Auftrag verlorengehen dürfte. Wie sieht Ihrer Wahrnehmung nach die aktuelle Situation am heimischen Heizungsmarkt aus?

Schon im Verlauf des Jahres 2019 wies das Wachstum unserer Produktgruppen in etlichen Märkten auf einen längerfristigen Anstieg der Nachfrage hin. Der Ausbruch von Corona und dessen Begleiterscheinungen wie hohe Förderungen, der Rückzug in die eigenen vier Wände und fehlende Konsumalternativen außerhalb führten – nach einem kurzen Atemstillstand – zu einem unerwarteten Boom. Die starke konjunkturelle gesamtwirtschaftliche Erholung in diesem Jahr hat zu einem massiven Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage geführt, das sich in enormen Preissteigerungen und Lieferengpässen niederschlägt. Die Erneuerung von Heizungs- und Warmwasseranlagen ist nicht nur wegen der hohen Förderungen ein gutes Investment für Endkunden, weshalb es zu Verzögerungen und Verschiebungen, nicht aber zu relevanten Auftragsverlusten kommt. In Summe eine sehr herausfordernde Situation und im Vergleich zu Wirtschaftszweigen, die mit ausbleibendem Wachstum zu kämpfen haben, nenne ich das „happy trouble“. Die längerfristigen Perspektiven für unsere Branche sind mehr als intakt. 

Die Erneuerung von Heizungs- und Warmwasseranlagen ist nicht nur wegen der hohen Förderungen ein gutes Investment für Endkunden.

Dr. Martin ­Hagleitner

Wenn Sie einen Wunsch zur Nachjustierung des jetzt verabschiedeten Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes frei hätten – wie würde dieser lauten?

Aufgrund des hohen Stellenwertes, den die Sanierung von Heizungs- und Warmwasseranlagen schon im Regierungsprogramm, in den Konjunkturpaketen und Förderungen sowie im Green Deal der EU erfahren, können wir uns nicht wirklich beschweren. Entscheidend ist bei Gesetzen, dass sie praxistauglich und leistbar in der Umsetzung sind und nicht zu Wettbewerbsverzerrungen oder Verunsicherung führen. Die eingeschlagene Richtung zu höherer Energieeffizienz und mehr erneuerbaren Energien ist ohne Alternative. Über die effektivsten Mittel zu ambitionierten Zielen soll technologieoffen diskutiert werden. Von langfristiger Bedeutung für unsere Branche sind die anstehende Steuerreform sowie die Wärmestrategie von Bund und Ländern. Und eines ist auch klar, der Weg zur Dekarbonisierung von Gebäuden gelingt nur mit flankierenden Reformen etwa des Wohn- und Mietrechts, Inves­ti­tionsanreizen und einer Fachkräfteoffensive. 

Eine zentrale Herausforderung für die SHK-Branche ist derzeit vor allem der nach wie vor akute Rohstoffmangel. Faktisch alle benötigten Materialien für Heizsysteme, von Stahlblechen über Polymere bis hin zu Halbleitern, sind betroffen. Wie sieht es aktuell mit den Lieferzeiten bei Ihnen aus?

 Das trifft zu. Nicht nur die Beschaffung und Verfügbarkeit von Rohmaterialien bzw. Vormaterialien und die hohen Preise (teilweise mussten wir uns sehr teuer über die Spotmärkte eindecken) sind eine tägliche Challenge, sondern auch das komplette Fehlen fertigungsgerechter Typen. Ein Beispiel sind Stahlrohre oder Bleche, diese müssen zur Sicherung der Versorgung für die nächsten Monate und für die ersten zwei Quartale 2022 in Stärken/Dicken beschafft werden, die ein laufendes Umrüsten und Neueinstellen der Produktionsanlagen erfordern. Aktuell beträgt die Lieferzeit bei AE bis zu zehn Wochen; wobei die Lieferzeiten von Produktgruppe zu Produktgruppe unterschiedlich sind. 

Bis zur Entspannung der Preis- und Liefersituation werden weiterhin Vorzieh- und teilweise auch Hamsterkäufe das Warenbestellbild prägen.

Dr. Martin Hagleitner

Jene Hersteller, die bei ihren Produkten nicht auf Zulieferungen aus Asien bzw. Übersee angewiesen sind, haben derzeit bessere Karten. Lässt sich daraus ableiten, dass die einst beschworene Globalisierung nun der Regionalisierung wieder etwas mehr Platz einräumen muss? Wie wichtig ist es Ihrer Wahrnehmung nach bei Installateuren und Endkunden, wenn bei einem Produkt die gesamte Wertschöpfung in Österreich bzw. zumindest in Europa liegt? 

Nicht übersehen werden sollte, dass die Globalisierung zu einem großen Zuwachs an Wohlstand und zur Bekämpfung der Armut beigetragen hat. Die letzten Monate und Krisen haben aber auch ihre Grenzen und Defizite offengelegt. Nicht nur bei systemrelevanten Materialien und Produkten werden Regionalität und heimische Produktion in Europa an Bedeutung gewinnen. Generell im Mittelstand und speziell bei Installateuren und anderen Handwerksberufen ist das Bewusstsein für Regionalität durchaus ein großes. Auch den Endkunden hat Corona den Sinn und Vorteil regionaler Reiseziele, Produkte und Arbeitsplätze vor Augen geführt. Selbst globale Großinvestoren wie Blackrock legen überdies in ihren Entscheidungen auch verstärkt Kriterien der Nachhaltigkeit und des ökologischen Fußabdrucks zugrunde. Letztlich ist entscheidend, dass Europa durch Innovation und Unternehmertum im globalen Spiel wieder relevanter wird. 

Just-in-time-Lieferungen gehörten in unserer Branche bisher zu einem als selbstverständlich angesehenen Service. Inwieweit wird sich das Bestellwesen jetzt angesichts der Lieferengpässe verändern? Werden Installationsbetriebe (mehr) Lagerraumkapazitäten schaffen müssen? Werden Vorziehkäufe künftig eher die Regel als die Ausnahme sein?

 Das Bestellwesen richtet sich nach dem Angebot und der von aktuellen Nachrichten geprägten Gefühlswelt. Bis zur Entspannung der Preis- und Liefersituation werden weiterhin Vorzieh- und teilweise auch Hamsterkäufe das Warenbestellbild prägen. Projektinstallateure haben Lagerflächen angemietet, um diverse Produkte für die Fertigstellung zeitnah einzulagern. Auch kleinere Installateure legen sich Kleinstlager an, um bei Notfällen Tauschgeräte zur Verfügung zu haben. Die derzeitige Lage wird sich auf Sicht nicht entspannen; sie wird jedoch nicht zum Dauerzustand. Gerade in mehrstufigen Vertriebsketten ist diese kritische Situation auch eine Möglichkeit, den Informa­tionsaustauch zur besseren Planbarkeit zu verbessern. In dieser Phase zeigt sich auch, dass Qualität und Service in einer längerfristigen Partnerschaft ihren Wert haben. Gegen eine Abkehr vom Serviceexzess für alle zum Schleuderpreis wird niemand was einzuwenden haben. 

Das Preisniveau wird auch Anfang 2022 ein ähnliches Bild zeigen, Prognosen gehen von einem Einpendeln auf hohem Niveau aus, eine verbindliche Aussage kann dazu aber aus heutiger Sicht noch nicht getroffen werden.

Dr. Martin Hagleitner

Was rar und nachgefragt ist, kostet bekanntlich mehr. Wie werden sich Ihrer Meinung nach die Preise gestalten? Müssen sie regelmäßig nachjustiert werden? Was bedeutet das beispielsweise für Installateure und ihre Kostenvoranschlagskalkulationen?

 Wenn man die Rohstoffentwicklung der letzten Monate und gängigen Experteneinschätzungen zugrunde legt, so ist keine Entspannung in Sicht. Das Preisniveau wird auch Anfang 2022 ein ähnliches Bild zeigen, Prognosen gehen von einem Einpendeln auf hohem Niveau aus, eine verbindliche Aussage kann dazu aber aus heutiger Sicht noch nicht getroffen werden. Aufgrund der unsicheren Versorgungslage sind derzeit keine langfristigen Preisgarantien möglich. Die verarbeitende Industrie ist dabei nur Passagier und ist gezwungen die massiven Erhöhungen der Preise aufzuschlagen. Auch für den Installateur ist es entscheidend, vor allem bei größeren und längerfristigen Aufträgen Preise unter Änderungsvorbehalt abzugeben oder bei laufenden Projekten in den Dialog mit dem Auftraggeber zu treten. Teilweise tut sich hier juristisches Neuland und auch Streitpotenzial auf, weshalb eine auf den Einzelfall bezogene Beratung sinnvoll sein kann. Ich kann mir vorstellen, dass die Innung hier eine gute erste Anlaufstelle ist. 

Abschließend der Blick in die Glaskugel: Wie lange wird sich Ihrer Meinung nach die aktuelle Marktüberhitzung halten? Wann werden wir wieder zum gewohnten Geschäftsverlauf wechseln können?

Die aktuelle Marktüberhitzung wird aufgrund der Auftragslage und nötiger Verschiebungen auch das Jahr 2022 prägen. Noch nicht einschätzbar ist der weitere Verlauf der Pandemie/Mutationen und die Effekte des Auslaufens von Staatshilfen und Kurzarbeit. Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass der überalterte Gebäude- und Anlagenbestand in Verbindung mit hohen Sparquoten, Klimazielen und Förderungen sowie dem wachsenden Klimabewusstsein der Menschen weiterhin für eine hohe Nachfrage sorgen werden. Das bedeutet, dass wir nicht nur in den Lieferketten, sondern auch in der Suche und der Entwicklung guter Fachkräfte gefordert sein werden. Diese Wachstumsperspektive und das Mitwirken an der Klima- und Gebäudewende sollte auch für den beruflichen Nachwuchs und dessen Eltern reizvoll sein. Denn wenn die Meinungs- und Trendgurus recht haben sollten, dann stehen bei der Berufswahl „Sinn“ und „Nachhaltigkeit“ ganz oben.

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