Umfrage
Gehen uns Gas und Glas aus?
Die Corona-Pandemie hat bereits in den letzten beiden Jahren zu Lieferengpässen und teils massiven Preissteigerungen geführt. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland verstärken diese Problematik. Welchen Einfluss haben diese Faktoren auf den europäischen Glasmarkt? Wird er lieferfähig bleiben? Ist mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen? Und wie sollen Unternehmer*innen damit umgehen? Wir haben bei Branchenexperten nachgefragt.
Die Gaspreise haben sich im letzten Jahr verfünffacht, während Strom um 150 Prozent teurer geworden ist.
MMag. Alexander Krissmanek, Geschäftsführer Fachverband der Glasindustrie, WKO
So wie viele andere Branchen, steht auch die Glasindustrie seit über zwei Jahren aufgrund der Covid-19-Situation vor großen Herausforderungen. Ging es bisher vor allem um das Handling in Personalfragen und die sich ständig wechselnden gesetzlichen Vorgaben (Lockdown, Maskenpflicht, Vermeidung innerbetrieblicher Ansteckungen, Pendlerregelungen etc.), hat sich mit der Preisrallye auf den Energiemärkten ein weiteres Problem aufgetan. So haben sich die Gaspreise im letzten Jahr verfünffacht (auf 120 Euro pro Megawattstunde), während Strom um 150 Prozent teurer geworden ist. Der Krieg in der Ukraine und die verhängten Sanktionen gegen Russland haben die Situation verschärft. Zwar drohen aus Russland bzw. der Ukraine kaum Lieferengpässe an Rohmaterialien für die Glasindustrie, da deren Exportanteil äußerst gering ist, aber die Abhängigkeit Europas von russischen Erdgaslieferungen wird zunehmend zu einem Problem und Kostenfaktor: Sämtliche europäische Floatglashütten benötigen für ihren Schmelzprozess Erdgas und sind damit auf kontinuierliche Gaslieferungen angewiesen. Aufgrund der gestiegenen Energiepreise hat sich der Basisglaspreis mittlerweile um bis zu 50 Prozent verteuert, wobei alle Glashütten noch lieferfähig sind. Nur bei bestimmten Glastypen kann es zu etwas längeren Lieferzeiten kommen. Von einer Glasknappheit kann jedoch nicht gesprochen werden, da alle Baustellen beliefert und fertiggestellt werden. Einige heimische Produzenten haben zudem rechtzeitig ihre Lagerbestände für Nebenmaterialien aufgestockt, und allgemein kann gesagt werden, dass die Branche vom derzeitigen Bauboom profitiert.
Allerdings ist auch der Veredelungsprozess heimischer glasbe- und -verarbeitender Betriebe sehr stromintensiv. Dazu kommen steigende Preise für alle anderen Materialien, welche für den Transformationsprozess notwendig sind, wie beispielsweise Abstandhalter und Dichtstoffe. Zudem ist der relativ große Anteil an Transportkosten der Branche zu berücksichtigen. Hier wirken sich vor allem die hohen Treibstoffpreise für die Lieferungen zu den Betrieben bzw. zu den Baustellen kostentreibend aus. Derzeit können die Preise an die Endkunden noch weitergegeben werden, allerdings fängt die Situation an volatil zu werden. Die Frage stellt sich, wie lange sich Endkunden diese Preisspirale noch leisten können. Denn auch für andere energieintensive Baumaterialien wie Ziegel und Zement ist der größte Preistreiber die Energie. Das hat dazu geführt, dass sich innerhalb kürzester Zeit die Kosten für Hochbau und Eigenheim um bis zu 20 Prozent verteuert haben und vermutlich noch weiter steigen werden. Unter diesem Aspekt sind langfristige Planungen kaum möglich, aber es ist zu befürchten, dass weiter mit steigenden Preisen in der Branche zu rechnen ist.
Der Gaspreis, von dem ja die Glasproduktion stark abhängig ist, ist durch die Decke gegangen, und daher haben die Glashütten mit Beginn dieses Jahres einen Energiekostenzuschlag auf Gaspreisbasis eingeführt.
Ing. Wolfgang Pichler, Vertriebsleiter Pilkington Austria
Die letzten zwei Jahren haben uns durch die massiven Preissteigerungen sehr gefordert, diese kamen nicht nur vom Glas, sondern von allen Seiten. Die große Herausforderung war, die Preiserhöhungen die uns monatlich oder sogar wöchentliche getroffen haben, in dieser Geschwindigkeit weiterzugeben, was uns ehrlich gesagt nur zum Teil gelungen ist. Der Gaspreis, von dem ja die Glasproduktion stark abhängig ist, ist durch die Decke gegangen, und daher haben die Glashütten mit Beginn dieses Jahres einen Energiekostenzuschlag auf Gaspreisbasis eingeführt. Wir haben versucht, den Energiekostenzuschlag noch zu kompensieren, jedoch ist das durch den starken Einfluss des Ukraine-Kriegs vor allem auf den Gaspreis, für uns nicht mehr möglich gewesen und wir mussten mit Anfang April die Erhöhung des Energiekostenzuschlags weitergeben. Von Lieferengpässen sind wir großteils verschont geblieben, das ist auch unserer weit vorausschauenden Organisation und Materialverwaltung geschuldet.
Zum heutigen Zeitpunkt kann ich nicht wirklich sagen, ob die Energieversorgung für die Glasindustrie, hier meine ich die Glashütten und vor allem die Gaslieferungen, gesichert ist. Wir gehen aber im Moment davon aus, dass es zu keinen großen Lieferschwierigkeiten in Mitteleuropa kommen wird. Ich möchte aber vor allem warnen und informieren, dass mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen ist. Ich wünsche uns allen, dass wir gut durch diese spezielle Zeit kommen.
Stand März 2022 zahlen wir das Fünffache an Strompreis als noch vor vier Monaten.
Harald Bissenberger, Prokurist Ertl Glas AG
Nachdem alle Glaswannen in Europa mit Gas betrieben werden, liegt es natürlich auf der Hand, dass die Hersteller diese Erhöhungen weitergeben möchten. Dies schlägt sich mit dem am 1. April 2022 einführten Gaszuschlag nieder, der sich am europäischen Gaspreisindex orientiert und monatlich angepasst wird. Für den Monat April wurde dieser mit 24 Cent/kg festgelegt. Die Versorgung unserer Betriebe mit Strom ist soweit gesichert, solange auch Gas nach Europa transportiert wird – Thema Gaskraftwerke zur Stromerzeugung –, jedoch sehr kostenintensiv. Stand März 2022 zahlen wir das Fünffache an Strompreis als noch vor vier Monaten.
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass es, solange Gas vorrätig ist, zu keiner Versorgungsproblematik kommt, jedoch ist es auch so, dass es sicher keinen Überfluss am Glasmarkt geben wird. Unterbrechungen der Lieferkette sehen wir nur dann, wenn, wie schon gesagt, Probleme mit Gaslieferungen nach Europa auftreten.
Mit Preiserhöhungen muss man leider jederzeit rechnen – darum der dringende Appell an unsere Kunden aus dem Glashandwerk, bitte keine längerfristigen Verträge einzugehen! Das kann für den einzelnen Betrieb katastrophal ausgehen. Wir raten dringend davon ab, Preise länger als drei bis vier Wochen festzulegen.
Kunden verbindliche Angebote zu unterbreiten, kann wegen der sich innerhalb des Ausführungszeitraums möglicherweise stark ändernden Materialpreise unternehmensgefährdend werden.
Walter Stackler, Bundesinnungsmeister der Glaser, Dachdecker und Spengler
Prognosen sind derzeit schwer anzustellen. Steigende Rohstoff- und Energiepreise zwingen aktuell viele Unternehmen, die Preise für ihre Produkte anzuheben. Aber längst nicht alle Unternehmen sichern sich gegen Preisschwankungen entlang der Lieferkette ab, viele bleiben derzeit auf den gestiegenen Kosten sitzen. Kunden verbindliche Angebote zu unterbreiten, kann wegen der sich innerhalb der Ausführungszeiten möglicherweise stark ändernden Materialpreise unternehmensgefährdend werden. Auch besteht das Risiko, dass zugesagte Lieferzeiten für bestehende Aufträge nicht eingehalten werden können. Zur Risikominimierung sollte zumindest daran gedacht werden, die Bindefristen für Angebote stärker abzukürzen da nicht vorhersehbar ist, wann die Trendwende bei den Materialkosten letztlich kommen wird. Mit dem Hinweis "unverbindliches Angebot" oder "freibleibendes Angebot" wird der rechtswirksame Vertragsabschluss zeitlich eine Stufe nach hinten verlagert und schafft so mehr Spielraum für den Unternehmer. Der Unternehmer kann dann entscheiden, ob er das Angebot des Auftraggebers zum Vertragsabschluss annimmt oder im Hinblick auf zwischenzeitliche Preissteigerungen mit dem neuen Preis verhandelt und auf dieser Basis einen Vertrag abschließt. Damit der Kunde "freibleibend" oder "unverbindlich" auch deutlich erkennen kann, sollte auch der Hinweis "Bei Interesse an der Auftragserteilung erstellen wir Ihnen gerne ein verbindliches Angebot" angeführt werden.
Wird diese schwierige Zeit einmal überstanden sein, werden sich aus ihr verschiedene Lehren ziehen lassen, die schon jetzt augenscheinlich sind. Vieles wird sich verändern, hoffentlich auch zum Positiven. Die Ziele, Märkte und die Kultur in vielen Betrieben werden sich verändern, ein Umbruch ist fast unvermeidlich. Ich bin sicher: Wir Glasbautechniker und Glasbautechnikerinnen werden diese unsichere Zeit bestehen und gestärkt in die Zukunft gehen.