Wettbewerbsfähigkeit

Industrie trotz positiver Geschäftslage stark unter Druck

Wirtschaftsentwicklung
19.08.2022

Die hohen Energiekosten, die unsichere Gas-Versorgungslage, mögliche Umrüstungen und etliche fehlende Maßnahmen erschweren nicht nur die Geschäftstätigkeit, sondern könnten auch der Wettbewerbsfähigkeit schaden.

Auch wenn die Geschäfte derzeit gut laufen, ist bei der heimischen Industrie nicht alles paletti. Die Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung im Juli hat gezeigt, dass trotz hohem Auftragsbestand, der sich in Folge von Lieferkettenunterbrechungen und Fachkräfteknappheit ergeben hat, der Blick in die Zukunft von Sorgen geprägt ist. Nur noch jedes zehnte Industrieunternehmen erwartet im kommenden Halbjahr einen günstigen Geschäftsverlauf, jeder dritte Industriebetrieb hingegen eine erhebliche Verschlechterung des Geschäftsgangs. "Selten zuvor klaffte eine solch große Lücke zwischen der positiven Geschäftslage und den negativen Geschäftserwartungen, vor allem nicht über einen so langen Zeitraum", bringt es IV-Generalsekretär Christoph Neumayer auf den Punkt.

Massiver Kostendruck gefährdet Wettbewerbsfähigkeit

Die Koinzidenz mehrerer Krisen wiegen schwer, natürlich für alle, aber besonders in der Industrie. Die Papierindustrie sowie die Chemie- und Stahlindustrie verbrauchen das meiste Gas in Österreich. Laut E-Control entfallen rund 63 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs, der bei rund 90 Terrawattstunden liegt, auf die Großindustrie. Aus diesem Grund arbeiten die heimischen Industriebetriebe, auch mit Blick auf den Klimaschutz, seit Jahren an Effizienzmaßnahmen bezüglich des Energieverbrauches und des Ressourceneinsatzes. Dadurch ist die Energieintensität in der Industrie in den letzten Jahren jährlich um rund zwei Prozent gesunken, wodurch der Produktionsindex deutlich stärker als der Energieverbrauch gestiegen ist.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein massiver Kostendruck auf der heimischen Industrie lastet. Zusätzlich zu den gestiegenen Rohstoff- und Transportpreisen ist es vor allem der anhaltende Preisanstieg bei der Energie, der die Kosten in die Höhe treibt. Was in weiterer Folge eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit mit sich bringt.

Versorgungssicherheit hängt am seidenen Faden

Aus Sicht der Industriellenvereinigung braucht es für die Industrie daher kurzfristig einen Mix aus mehreren Maßnahmen. Um für einen möglichen plötzlichen Ausfall bei den Gaslieferungen bestens gerüstet zu sein, sind vor allem laufende Gas-Einspeicherungen, die Sicherung alternativer Gasquellen und die Substitution von Erdgas von großer Bedeutung. Ein gewisses Maß an Beruhigung bringt diesbezüglich der momentane Gasspeicherstand in Österreich von fast 60 Prozent. Auch der Anschluss des Speichers in Haidach an das heimische Gasnetz, die Wiederinbetriebnahme des stillgelegten Kohlekraftwerks in Mellach und die Sicherung der OMV-Lieferkapazitäten in der Höhe von 40 TWh haben einen hohen Stellenwert. Dennoch ist die Versorgungssicherheit längst nicht in trockenen Tüchern. Dazu kommt, dass der russische Staatskonzern Gazprom vor wenigen Tagen seine europäischen Kunden vor stark steigenden Gaspreisen im Winter gewarnt hat.

Zwei wichtige Förderrichtlinien ausständig

Mit der Novelle des Energielenkungsgesetzes im Mai dieses Jahres wurde zumindest sichergestellt, dass die Regierung auf betrieblich gespeichertes Gas nur in definierten Ausnahmefällen zugreifen kann  und dann dafür ein Kostenersatz hinsichtlich Kaufpreis und Einspeicherung zahlen muss. Doch es gibt noch etliche Maßnahmen, die zur Unterstützung der Industrie dringend unter Dach und Fach gebracht werden müssten. So fehlen beispielsweise die Förderrichtlinien für das Gas-Diversifizierungsgesetz (GDG 2022), wo es um die Umrüstung industrieller Energieerzeugungsanlagen auf andere Energieträger geht, und für das Unternehmens-Energiekostenzuschussgesetz (UEZG 2022), wodurch bei energieintensiven Industriebetrieben die Mehrkosten für Strom, Gas und Kraftstoffe ausgeglichen werden sollen. "Beide Rechtsakte sind für die Industrie unerlässlich", betont Industrie-Spartenobmann Sigi Menz in der WKÖ, dem es vorrangig um die Rechtssicherheit bei Anlagengenehmigungen und den Emissionsgrenzwerten geht.

Handlungsbedarf bei Strompreiskosten und Grüne Gase

Offen ist nach wie vor auch das Strompreiskosten-Ausgleichsgesetz (SAG) mit dem die Strompreiskompensation auf Basis der EU-Emissionshandelsrichtlinien umgesetzt werden soll. Etliche EU-Staaten haben es längstens realisiert, in Österreich ist es in Vorbereitung. Bei der Begutachtung im Juni hat sich herausgestellt, dass der Entwurf statt des EU-Geltungszeitraumes bis 2030, dem beispielsweise Deutschland gefolgt ist, eine Befristung auf ein Jahr enthält. Das wäre ein weiterer Stolperstein in Sachen Wettbewerbsfähigkeit. Dringender Handlungsbedarf besteht auch beim Thema Grüne Gase. Sowohl das Grüngas-Gesetz, als auch die Investitionsförderungen für Grüne Gase sind seit einem Jahr ausständig. Derzeit werden rund 0,14 TWh Grüne Gase eingespeist, das ambitionierte Ziel der Österreichischen Energieagentur liegt bis 2027 bei 14 TWh. Die Bundessparte Industrie der WKÖ sieht daher dringenden Handlungsbedarf, denn "die entsprechenden Anlagen müssen erst bestellt, gekauft, gebaut und ans Netz angeschlossen werden". Und das braucht Zeit.

Strategische Autonomie statt Energieautarkie

Auf jeden Fall heißt es, nach Ansicht der Industriellenvereinigung, sich vom Wunschgedanken der österreichischen Energieautarkie zu verabschieden. Für die Industrie ginge es mittel- bis langfristig primär um eine strategische Autonomie bei der Energieversorgung, insbesondere bei Gas. Sprich, es brauche neue Pipeline-Projekte für den Anschluss an verschiedene gasproduzierender Länder, um aus einem differenzierten Lieferantenkreis wählen zu können und so nicht von einem Lieferanten abhängig zu sein. Zusätzliche müsse der Anteil erneuerbarer Energie aus heimischer Produktion erhöht und die erforderliche Infrastruktur ausgebaut werden.

Der Plan, dass neben Energieerzeugern und Fernwärmeunternehmen auch Großabnehmer Gas durch den Einsatz von Öl oder anderen Energieträgern substituieren, um die Versorgungssicherheit zu stärken, wird in der aktuellen Lage zwar durchaus als sinnvoll angesehen, ist für die Industrie aber nicht so einfach umzusetzen. Zum einen sind Unternehmen, die umstellen können, mit einem beträchtlichen Kostenaufwand konfrontiert. Dazu kommt, dass es für die Umstellung einige Monate an Vorlaufzeit braucht. Darüber hinaus brauche es dafür eine Rechtsicherheit in Bezug auf anlagenrechtliche Aspekte und eine entsprechende finanzielle Sicherheit, wie die Industriellenvereinigung anmerkt. Sie fordert außerdem, um deutliche Effekte zu erzielen, diese Rahmenbedingungen auch für 7000 gasintensive Betriebe unter der Großverbraucherschwelle zu schaffen.