Interview: Klare Worte

"Wir brauchen mehr Gelassenheit"

Bauwirtschaft
20.06.2024

Stefan Graf, Geschäftsführender Gesellschafter des niederösterreichischen Bauunternehmens Leyrer + Graf, findet im Gespräch mit der Bauzeitung „Klare Worte“: Er spricht über tiefe Zinsen, hohe Anforderungen und wie er mit der Wohnbauflaute umgeht.

Stefan Graf über das laufende Geschäftsjahr:
Die Situation ist enorm angespannt, wie es die Branche seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr erlebt hat. Wir haben den Vorteil, dass wir relativ breit aufgestellt sind. Die Krise betrifft unmittelbar ja nicht alle Bereiche der Bauwirtschaft, sondern vor allem den Wohnbau, den wir teilweise kompensieren können. Wir gehen daher heuer von einer Stagnation des Umsatzes aus – auf einem hohen Niveau. Zudem stehen die Preise unter Druck und damit auch das Ergebnis. Das Ganze ist ein Abbild der Marktsituation, aber für uns nicht besorgniserregend.

Über 10 Jahre Hochkonjunktur und die überfällige Korrektur:
Die aktuelle Wohnbauflaute ist die Antwort des Marktes auf die Niedrigzinspolitik. Seit 2015 ging es für die Bauwirtschaft steil nach oben. Dieser Boom war von der Niedrigzinspolitik getrieben: Weil das Geld am Konto nichts mehr wert war, haben die Märkte in „Betongold“ investiert. Dann kam die Zinswende, und nun erleben wir die längst überfällige Korrektur der Hochjunktur. Sie fällt aktuell sehr stark aus, aber Korrekturen von Konjunkturzyklen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Deswegen sage ich: Wir brauchen mehr Gelassenheit im Umgang mit der Situation.

Wann es mit der Baukonjunktur wieder aufwärts geht:
Das wird noch etwas dauern. Sofern es keine weiteren massiven Disruptionen gibt, sollte die Branche ab 2026 wieder in halbwegs normale Bahnen kommen. 2025 erwarte ich eine erste Erholung. Es braucht immer um die zwei Jahre, denn Investoren und Konsumenten müssen sich erst wieder an die höheren Zinsen gewöhnen und ihre Businesspläne darauf ausrichten.

"Geld muss etwas wert sein"

Warum er kein Freund der Niedrigzinspolitik ist:
Die extrem niedrigen Zinsen haben zu einer Überhitzung des Marktes geführt. Die Wirtschaft kann gut mit Zinsen um die 4 Prozent umgehen. Das zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte: In den Jahren 2000 bis 2007 lag der Zinssatz zwischen 4 und fast 5 Prozent und der Wirtschaft ging es gut. Die extreme Niedrigzinspolitik war die Reaktion der Zentralbanken auf die Finanzkrise 2008/2009. Das sollte aber nicht die Normalität sein. Die EZB hat nun die Leitzinsen von 4,5 auf 4,25 gesenkt. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Es gibt aber meiner Meinung nach eine magische Grenze: Unter 2 Prozent sollten die Zinsen nicht sinken. Geld muss etwas wert sein, sonst kommt es zur Inflation.

Wofür man die aktuelle Marksituation nutzen kann:
Der Rückgang der Konjunktur erfordert Antworten auf strukturelle Herausforderungen. Das betrifft die gesamte Branche. Eine wichtige Frage lautet: Wie können wir die Produktivität erhöhen? Dabei geht es meiner Meinung nach nicht darum, noch mehr zu arbeiten, sondern intelligenter – „work smarter, not harder“. Wir befassen uns bei Leyrer + Graf zum Beispiel sehr intensiv mit „Lean Construction“, denn hier steckt viel Potential in der Optimierung der Prozesse und der Reduktion von Verschwendung.

Was bei der Umsetzung des Green Deals der EU notwendig ist:
Ich unterstütze den Nachhaltigkeitsgedanken zu 100 Prozent, denn dieser ist wichtig und richtig.  Bei der Umsetzung hingegen sehe ich große strukturelle Defizite, denn es gibt keine konkreten Leitlinien. Es ist keine Vergleichbarkeit der Unternehmen gegeben und damit kein fairer Wettbewerb, denn keiner weiß, wie es richtig geht und hat dabei einen enormen administrativen Aufwand. Jeder macht, wie er glaubt, mangels konkreter Rahmenbedingungen. Zugleich wird mit hohen Strafen gedroht. So ist das eine Nebelgranate, die die Wirtschaft aus dem Gleichgewicht bringt.

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