Zementindustrie
"Das muss die Organisation aushalten"
Herr Primas, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Position. Wie haben Sie sich eingelebt?
Haimo Primas: Gut, vielen Dank. Das ist mir allerdings auch nicht besonders schwergefallen. Ich arbeite seit 22 Jahren für Holcim und kenne das Unternehmen und die Branche daher sehr gut. Ich habe eine betriebswirtschaftliche Ausbildung und bin ein Zahlenfuchs. Aber zugleich habe ich eine große Nähe zum operativen Geschäft …
… Sie waren zuletzt Leiter des Zementwerks in Retznei.
Genau.
Was haben Sie sich in Ihrer neuen Funktion vorgenommen? Was ist das größte Ziel für Holcim Österreich in den kommenden Jahren?
Wir wollen als Holcim Österreich bis zum Jahr 2030 das Ziel Net Zero erreichen – also klimaneutral sein. Das ist unser wichtigstes Vorhaben. In dieses Vorhaben werden 80 Prozent der Zeit und Energie fließen. Die Klimaneutralität ist dem Konzern, unserem Eigentümer, sehr wichtig. Und ich halte sie persönlich für ein zentrales Thema. Die grüne Transformation der Zementindustrie fühlt sich an wie eine zweite industrielle Revolution. Unsere Branche ist für rund sechs bis acht Prozent der jährlichen CO₂-Emissionen verantwortlich. Wenn man die Zementindustrie gemessen an ihren Emissionen als Land betrachten würde, wären wir der drittgrößte Staat der Welt.
2030 klingt sehr ambitioniert – zumal, wenn man bedenkt, dass sich Holcim auf Konzernebene etwas mehr Zeit nimmt. Der Konzern als Ganzes will bis 2050 Net Zero erreichen.
2030 ist sicher herausfordernd, das stimmt. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir uns anstrengen. Aber wir haben in Österreich eine gute Basis. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Millionen Euro in den Ausbau von alternativer Energie, in die Reduktion von Emissionen und in die Kreislaufwirtschaft investiert und können das schaffen. Unsere interne Ampel steht jedenfalls derzeit auf Grün.
Verraten Sie uns mehr. Wie gehen Sie das an?
Ich habe eine klare Vision: Ich möchte, dass man, wenn man über das Thema Nachhaltigkeit in der österreichischen Bauwirtschaft spricht, als Erstes an einen Namen denkt: Holcim. Diese Vision möchte ich in den kommenden Wochen mit meinem Team in eine Strategie umwandeln. Dabei ist mir eines wichtig: Wir verstehen Nachhaltigkeit ganzheitlich. Sie besteht nicht nur aus dem ökologischen Aspekt, sondern auch aus dem sozialen und dem ökonomischen. Wir wollen also nicht nur das Net Zero-Ziel erreichen, sondern auch nachhaltig solide wirtschaftliche Ergebnisse erzielen und dabei ein sozialer Arbeitgeber sein. Das Eine gehört zum Anderen.
Bleiben wir noch beim ökologischen Aspekt: Bis Ende 2030 sind es nur noch sechs Jahre. Soviel Zeit ist das nicht. Welche konkreten Projekte planen Sie?
Wir werden bis 2030 massiv in die grüne Transformation investieren. Europaweit stehen bei Holcim dafür zwei Milliarden Euro zur Verfügung. In Österreich werden wir weit mehr als 400 Millionen Euro investieren – und zwar in drei Projekte: Die mit Abstand größte Investition ist der Bau einer CO₂-Abscheideanlage in unserem Werk in Mannersdorf. Mit ihr werden wir 3.000 Tonnen CO₂ pro Tag abscheiden können. Im Zementwerk in Mannersdorf bauen wir zudem die alternative Energiegewinnung weiter aus und errichten eine neue Klinkerkühleranlage, um die Energieeffizienz zu verbessern. In unserem zweiten Zementwerk in Retznei arbeiten wir schließlich am ersten großindustriellen Versuch zur Kalzinierung von Ton im Zementofen. Der Einsatz von kalziniertem Ton kann den CO₂-Ausstoß um bis zu zwei Drittel gegenüber klassischer Klinkerproduktion reduzieren. Bei einer Jahresproduktion von 300.000 Tonnen entspricht dies einer Einsparung von 135.000 Tonnen CO₂.
Die CO₂-Abscheidung – Carbon Capture – wird in Europa derzeit heiß diskutiert. Die entscheidende Frage lautet: Wohin mit dem CO₂, das aus der Luft gefiltert wird? In Österreich ist die Lagerung von CO₂ verboten …
… noch. Es gibt eine Absichtserklärung, der alten Regierung, das Verbot aufzuheben und die Speicherung in den ausgebeuteten Gaslagerstätten zu ermöglichen. Die wohl sinnvollste Lösung wäre es, das CO₂ für die Herstellung neuer Produkte zu nutzen. Wir arbeiten daran, aber so rasch wird sich das nicht realisieren lassen. Eine Alternative ist die Lagerung in den fossilen Lagerstätten in der Nordsee und der Adria. Dafür ist es aber notwendig, die Infrastruktur für den Transport dorthin zu errichten.
Sie sprechen von einem Pipelinenetzwerk in Österreich, das an ein transnationales Netzwerk angeschlossen wird.
Ja, der Aufbau dieses Netzwerks ist für die grüne Transformation der Wirtschaft zentral – ebenso wie der Ausbau der Leitungen für erneuerbare Energien und für Wasserstoff.
Kommen wir zu einem anderen Aspekt der Nachhaltigkeit – dem Sozialen. Was ist Ihnen hier besonders wichtig?
Hier gibt es eine Reihe von Themen. Ich möchte eines ansprechen: den Frauenanteil. Die Bauwirtschaft ist ja bekanntlich sehr männerlastig. Auch bei uns ist der Anteil der Frauen im Management immer noch zu niedrig. Aber das kann man ändern. Mir ist das am Standort Retznei gelungen: Als ich dort die Leitung übernommen habe, waren wir fünf Männer und eine Frau im Führungsteam. Jetzt bei meinem Wechsel waren es zwei Männer und vier Frauen. Und es freut mich sehr, dass dort mit Martina Frieser eine Frau meine Nachfolgerin geworden ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der österreichischen Zementindustrie hat eine Frau die Führung eines Werks übernommen.
Das ist mir aufgefallen. Wir haben dazu einen Beitrag in diesem Heft. Wie lange wird es noch dauern, bis das normal ist?
Das ist schwer zu sagen. Jetzt ist es jedenfalls noch ungewohnt. Ich erinnere mich an ein Management-Meeting, das wir vor einiger Zeit in Retznei hatten. Die beiden Männer waren verhindert, und ich saß mit meinen vier Kolleginnen zusammen. Eine von ihnen hat dann gemeint: "Das fühlt sich irgendwie komisch an." Aber mir zeigt es, dass man Dinge verändern kann, wenn man nur will. Ich bin ja bekannt dafür, dass ich gerne Out-of-the-Box denke. Das muss die
Organisation aushalten.
Apropos "aushalten". Wie halten Sie es mit Ihrer dezidierten Haltung zu ökologischen Positionen eigentlich in der Zementindustrie aus?
Sie sind nicht der Erste, der mir diese Frage stellt. Ich könnte es mir natürlich einfach machen und die Branche wechseln. Aber das bin ich nicht. Die Antwort ist in Wirklichkeit einfach: Weil ich etwas verändern möchte und hier etwas verändern kann. Ich will Teil der Lösung sein. Und das wünsche ich mir von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Dass wir gemeinsam etwas verändern wollen.