Gewerbe und Handwerk

Bald Ausnahmezustand?

Krise
11.04.2022

Von: Redaktion Bauzeitung
Gewerbe und Handwerk "hungern vor vollen Auftragstöpfen", die Preisexplosion und der Materialmangel erfordern ein rasches Gegensteuern der Politik.
Graphik: Auftragseingangs- und Umsatzerwartungen  im zweiten Quartal 2022

Die Kostenexplosion bei Rohstoffen und Energie sowie der Mangel an Material und Personal haben die Situation für das Gewerbe und Handwerk in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft. "Wir hungern vor vollen Töpfen: Die Aufträge wären zwar da, aber unsere Mitgliedsbetriebe können sie vielfach nicht abarbeiten", sagte Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich, bei einem Pressegespräch. Die aktuelle Unternehmensbefragung der KMU Forschung Austria unterstreicht das ungewöhnliche Bild: So geben zwei Drittel (65 Prozent) der befragten Betriebe an, dass sie von Preissteigerungen bei Rohstoffen und Materialien in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt seien. Auf Platz zwei ist der weiterhin akute Fachkräftemangel (54 Prozent). Gleich dahinter folgen, ebenfalls neu als Topherausforderungen, die Preissteigerungen bei Energie (49 Prozent) sowie die Zuliefer- und Lieferkettenprobleme (43 Prozent).

Gleitende Preise

"Die Situation ist prekär", warnt auch Spartengeschäftsführer Reinhard Kainz. "Sie droht für zahlreiche Unternehmen im Gewerbe und Handwerk existenzielle Ausmaße anzunehmen. Das Risiko der volatilen Preise und sprunghaften Kostensteigerungen können die Betriebe nicht allein schlucken. Wenn die Bautätigkeit zum Erliegen kommt, hat das Konsequenzen für die ganze Wirtschaft.“ Er sieht es als Gebot der Stunde, dass neue Bauaufträge nur noch zu veränderlichen Preisen ausgeschrieben werden. Das hat soeben auch die unabhängige Schiedskommission im Wirtschaftsministerium empfohlen. Auch private und halböffentliche Auftragnehmer sollten diesem Beispiel folgen – und anstelle von Fixpreisen eine Indexanpassung bzw. gleitende Preise anerkennen. "Krisensituationen wie der Krieg in der Ukraine sind unvorhersehbar und stellen höhere Gewalt dar, was gerade in der Praxis für bestehende Verträge mit Festpreisen von Bedeutung ist", so Kainz. „Pönalen müssen vorübergehend ausgesetzt werden. Planbarkeit ist in normalen Zeiten ein wichtiges Gut; in einem Ausnahmezustand wie jetzt bedarf es der Flexibilität auf allen Seiten." Im Unterschied zum "Energiepaket" für Haushalte ist noch die von der Bundesregierung versprochene effektive Entlastung für die Unternehmen ausständig. Sie könnte in Form einer Steuergutschrift erfolgen oder durch Einführung eines begünstigten Gewerbe-Dieseltarifs für Transporte im Gewerbe und Handwerk, fordern Scheichelbauer-Schuster und Kainz.

Konjunkturrückblick

Renate Scheichelbauer-Schuster
Renate Scheichelbauer-Schuster: "Die Erholung von der Coronapandemie ist 2021 leider eine optische Illusion geblieben. Den baunahen Branchen droht jetzt wegen der Lieferengpässe und Kostenexplosion der Stillstand."  

Das Jahr 2021 hat nicht den erhofften Aufschwung für das Gewerbe und Handwerk gebracht. "Unterm Strich steht preisbereinigt sogar ein reales Minus von 0,4 Prozent", sagt Christina Enichlmair von KMU Forschung Aus­tria. Der nominell hohe Umsatzzuwachs um 4,6 Prozent wurde durch die Preissteigerungen mehr als zunichtegemacht. 
Kein Wunder, dass die große Unsicherheit auch den Ausblick dämpft. Für das zweite Quartal 2022 haben 24 Prozent der Betriebe positive Erwartungen, 59 Prozent rechnen mit Geschäften wie im Vorjahr. 17 Prozent gehen hingegen mit negativen Erwartungen ins zweite Jahresviertel – dieser Anteil ist doppelt so hoch wie in normalen Zeiten. Scheichelbauer-Schuster abschließend: "Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine so geballte Häufung von Problemen erlebt zu haben."
(uw)