Metaller-Kollektivvertrag
Alte Rituale in bewegten Zeiten
Die Verhandlungen zum Kollektivvertrag für die Beschäftigten der Metallindustrie sind ein seit Jahrzehnten gespieltes Herbstdrama, und seit jeher gilt der Metaller-KV als Richtschnur für die Lohnabschlüsse in anderen Branchen. Diesmal standen die Zeichen auf Sturm, sind doch die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit jenen in früheren Kollektivvertragsrunden kaum vergleichbar. So sahen denn auch die Lohn- und Gehaltsforderungen der zuständigen Gewerkschaften Pro Ge und GPA aus: Das angestrebtePlus von 10,6 Prozent ist die höchste Lohnforderung der Arbeitnehmer*innenvertretung an die Metallindustrie seit 30 Jahren.
Die Arbeitgeberseite verwies eingangs wie üblich auf die schlechten Wirtschaftsaussichten und klagte, die Unternehmen müssten den Gürtel enger schnallen. Die Belegschaftsvertretungen blickten hingegen auf die Konzerngewinne des vorigen Jahres, von denen aus Sicht der Gewerkschaften auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwas haben sollten. Soweit waren die Standpunkte auch diesmal nicht neu - die Frage war nur, wie sich diesmal in der besonders angespannten Situation ein Kompromiss erzielen ließe?
Spoiler: Der Kompromiss wurde gefunden - und zwar früher als erwartet! Details dazu finden Sie =>hier
Nachfolgend die Chronologie der KV-Verhandlungen in mehreren Episoden:
Vorspiel: Nebelkanonen
[6.9.2022]
Als Ouvertüre zur kommenden Aufführung lässt der FMTI - wie jedes Jahr – die leeren Geldbeutel laut klingeln: In einer Aussendung erwartetdie Metalltechnische Industrie einen Wachstumsrückgang undbeklagtdieglobalen Preissteigerungen, welche die Betriebe ebenso wie Bürgerinnen und Bürger belasten würden. Die weiteren üblichen Verdächtigen - Covid-19, Rohstoffknappheit, Nachfrageeinbruch, Energiepreise und Inflation – führten dazu, dass gerade die heurigen KV-Verhandlungen unter besonders außergewöhnlichen Umständen stattfinden würden. Zwar sei die Produktion in den ersten vier Monaten 2022 mit rund 8,8 Prozent im Plus gelegen, aber leider würden trotzdem alle Daten auf Abschwung zeigen. Für das Gesamtjahr 2022 würden die Unternehmen im Durchschnittsogar ein Plus von rund 5 Prozent erwarten, dennoch rechne ein Viertel der Betriebe mit einem Rückgang der Produktion. Die Signale stehen jedenfalls auf Vernebelung, denn trotz guter Daten halte laut FMTI "eine deutliche Mehrheit (59 %) der Unternehmen der Metalltechnischen Industrie in den nächsten Monaten einen substanziellen Einbruch für wahrscheinlich."
Eröffnung: "Zweistellig!"
[19.9.2022]
Um punkt 11 Uhr wurden die KV-Verhandlungen mit der traditionellen Forderungsübergabe der Gewerkschaften an die MTI und die öffentliche Bekanntgabe der Lohn- und Gehaltsforderungen durch Rainer Wimmer (Pro-GE) und Karl Dürtscher (GPA) offiziell gestartet.
Kern der Gewerkschaftsforderungen sind 10,6 Prozent mehr Lohn und Gehalt, 1.000 Euro für Lehranfänger, ein neuer Zuschlag für Samstagsarbeit, die Anhebung des Überstundenzuschlages für die zehnte Arbeitsstunde und eine leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche.
Die Gewerkschaften stützen sich in ihrem Papier auf "richtig gute Wirtschaftsdaten der vergangenen Monate", ein um 4,3 Prozent steigendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Rekordergebnisse der Industrie.
Replik: "Überzogen!"
[19.9.2022]
Wenig überraschend bezeichnet der Fachverband Metalltechnische Industrie (FMTI) unmittelbar darauf die Forderungen der Gewerkschaften als "unvernünftig und überzogen". Die MTI stehe vor einer Rezession, und die Teuerung könne von Betrieben nicht allein getragen werden, erklärt FMTI-Obmann Christian Knill.
Erste Runde: "Schauma mal"
[3.10.2022]
"Die Arbeitgeberseite versucht alles, um die ausgezeichneten Erfolge der Industrie des abgelaufenen Jahres kleinzureden und düstere Zukunftsaussichten zu zeichnen", kritisierten die Chefverhandler der Arbeitnehmer*nnenseite nach der ersten Verhandlungsrunde, die am 3. Oktober nach sieben Stunden ohne Ergebnis abgebrochen wurde. Die Beschäftigten hätten sich aber ihren fairen Anteil am erfolgreichen vergangenen Jahr verdient, zumal die Arbeitgeber bei den Gewinnausschüttungen selbst keine Zurückhaltung gezeigt hätten. Die Unternehmen hätten gut verdient, jetzt seien die Beschäftigten dran, lassen Wimmer und Dürtscher aussenden.
Und weil es bei diesem ersten Treffen kein konkretes Gegenangebot des FMTI gab, vermuteten die Gewerkschaftsvertreter, "dass die Arbeitgeber die Verhandlungen verschleppen wollen." Zur Bekräftigung der Arbeitnehmer*innenforderung nach 10,6 Prozent mehr Lohn und Gehalt wurden von 12. bis 14. Oktober Betriebsratskonferenzen in allen Bundesländern einberufen.
Warten auf … Schnittlauch
[13.10.2022]
Nach einer einwöchigen Nachdenkpause kamen die Arbeitgeber noch immer nicht mit einem konkreten Gegenangebot, sondern bereiteten stattdessen mittels Presseaussendung den Boden für das auf, was kurz darauf kommen – und empören – sollte, weil das Angebot einer 4,1-prozentigen Lohnerhöhung weit unter der herrschenden Teuerungsrate liegt. Die Inflation betreffe ja Beschäftigte und Betriebe gleichermaßen, so der FMTI, und durch die umfangreichen Entlastungspakete der Bundesregierung - von Energiekostenausgleich, Klimabonus, Familienbonus bis zu diversen Einmalzahlungen – seien bereits große Teile der Teuerung des Jahres 2022 ausgeglichen worden. Weiters werde im nächsten Jahr vor allem auch die Abschaffung der kalten Progression in den Haushaltseinkommen deutlich spürbar werden. "Die Erhaltung der Kaufkraft ist dadurch bereits zu einem sehr großen Teil gesichert", sagte FMTI Obmann Christian Knill, der KV-Abschluss müsse ja auch die Entlastungspakte der Bundesregierung berücksichtigen. "Wir können durch steuerbefreite Einmalzahlungen die gestiegene Produktivität abgelten, die bevorstehende Rezession nimmt uns aber jeden Spielraum für nachhaltige Mehrkosten", so Knill.
GPA-Chefverhandler Karl Dürtscher hatte das mit der Einmalzahlung wohl vorausgeahnt und bereits einige Wochen vor Verhandlungsbeginn im Gewerkschaftsmagazin klargestellt, man werde sich nicht mit "Schnittlauch auf dem Brot" abspeisen lassen. Pro-GE-Kollege Wimmer wiederholte diesen "Sager" dann am 13. Oktober nochmals nachdrücklich ins ORF-Mikrofon.
Tags darauf - am 14. Oktober - beschlossen 1.800 Betriebsrät*innen zwischen 19. und 21. Oktober Betriebsversammlungen in allen Betrieben der Metallindustrie und im Bergbau abzuhalten, wenn davor kein Abschluss erzielt werde.
Standpunkte der Metalltechnischen Industrie (MTI)
Mehr als 1.200 Unternehmen aus den Industriezweigen Maschinenbau, Anlagenbau, Stahlbau, Metallwaren und Gießerei bilden das Rückgrat der heimischen Metallindustrie. Die Metalltechnische Industrie beschäftigt direkt mehr als 137.000 Menschen und sichert damit indirekt an die 250.000 Arbeitsplätze in Österreich. Sie erwirtschaftete 2021 einen Produktionswert von rund 43,8 Milliarden Euro.
- Die Metalltechnische Industrie gehört zu den bestzahlenden Branchen, das monatliche Durchschnittsgehalt beträgt 4.700 Euro, der Durchschnittslohn 3.350 Euro und der Mindestlohn liegt bei 2.090 Euro. Die realen Löhne und Gehälter in der Branche liegen im Schnitt zwischen 12 % und 28 % über KV. Die Beschäftigten der Metalltechnischen Industrie konnten in den vergangenen Jahren regelmäßig Reallohngewinne erzielen.
- Mehr als 85 % der Betriebe sind Familienbetriebe und mittelständisch strukturiert. Entsprechend heterogen sei laut FMTI auch deren wirtschaftliche Entwicklung, was es in KV-Verhandlungen zu berücksichtigen gelt. Nicht die erfolgreichsten Betriebe seien als Maßstab zu nehmen, sondern alle Betriebe der Branche mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und Herausforderungen.
- Im Jahr 2020 verzeichnete die Metalltechnische Industrie aufgrund der Corona-Pandemie einen Rückgang in der Produktion von 9,6 %, das entspricht einem Produktionswert von rund 3,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2021 erzielte die Metalltechnische Industrie einen Produktionswert von 43,8 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr ist das zwar ein Plus von 18 % (preisbereinigt), die reine Produktionsmenge ist aber laut den Unternehmen jedoch nur um rund 10 % gewachsen. Den Unterschied machen die enormen Preissteigerungen, die auch den Produktionswert in die Höhe treiben.
- Eine deutliche Mehrheit (59 %) der Unternehmen der Metalltechnischen Industrie hält in den nächsten Monaten einen substanziellen Einbruch für wahrscheinlich. Fast jedes dritte Unternehmen erwartet heuer ein negatives Ergebnis (EBIT).
- Das Industriewachstum ist deutlich geringer als das der Gesamtwirtschaft, wird 2022 laut WIFO bei rund 2 % liegen und im nächsten Jahr Richtung Null gehen. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität lag 2021 bei Minus 0,3 %, für 2022 wird ein geringes Plus von 0,3 % prognostiziert.
- Die Folgen der Covid-19 Pandemie belasten die Betriebe ebenso wie die gestiegenen Energiepreise und geopolitischen Verwerfungen. Die aktuell außerordentlich hohe Inflation ist zudem zu einem großen Teil importiert und betrifft die Unternehmen ebenso wie die Beschäftigten. Die durchschnittliche Inflationsrate lag in den zurückliegenden 12 Monaten bei 6,3 %.
www.metalltechnischeindustrie.at/kollektivvertrag/kv-verhandlungen-2022
Das fordert die Gewerkschaft
- Österreichs Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll laut Prognosen heuer um 4,3 Prozent steigen und die Industrie habe einen ordentlichen Boom mit vollen Auftragsbüchern erlebt. "Die Unternehmen haben sehr viel Geld verdient und diese Rekordergebnisse wurden durch die ArbeitnehmerInnen ermöglicht. Es gibt daher keinen Grund, sich bei den Löhnen und Gehältern zurückzuhalten", betonen die beiden Chefverhandler auf Arbeitnehmer*innenseite, Rainer Wimmer (Pro-GE) und Karl Dürtscher (GPA).
- Die für die Verhandlungen relevante Inflationsrate liege bei 6,3 Prozent, sollte die Inflation auch in den nächsten Monaten steigen, werde der Konsum einbrechen und es drohe eine wirtschaftliche Abwärtsspirale. "Die Gewerkschaften werden keinen Reallohnverlust zulassen. 10,6 Prozent mehr sind daher eine richtige Forderung“, sagen Wimmer und Dürtscher.
- Der Produktionswert der Metallindustrie sei 2021 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 um fünf Milliarden Euro gestiegen, und das erste Halbjahr 2022 noch einmal besser als im Vorjahr verlaufen.
- In Anbetracht des anhaltenden Fachkräftemangels fordern die Gewerkschaften eine überdurchschnittliche Erhöhung der Lehrlingseinkommen. Die Entschädigungen für die rund 7.900 Lehrlinge sollen in der Metallindustrie auf 1.000 Euro (1. Lehrjahr, bisher 800 Euro), 1.300 Euro (2.), 1.600 Euro (3.) und 2.000 Euro (4. Lehrjahr) steigen. Zudem sollen zur Attraktivierung der Lehre mit Matura Kurszeiten als Arbeitszeit angerechnet werden.
- Für rund 70.000 Beschäftigte in der Metallindustrie wird die Arbeitszeit mit einem Schichtmodell geregelt. Das bedeutet nicht nur wechselnde Arbeitszeiten oder Arbeiten am späten Abend oder in der Nacht, sondern auch am Wochenende. Während es für Sonntagsarbeit (innerhalb der Normalarbeitszeit von grundsätzlich 38,5 Stunden) einen kollektivvertraglich geregelten Zuschlag von 100 Prozent gibt, ist die geleistete Arbeit an Samstagen ohne Zuschlag. Daher fordern
- Pro-GE und GPA fordern die Einführung eines Samstagzuschlages im Ausmaß von 50 Prozent für die Arbeitsleistung innerhalb der Normalarbeitszeit. Weiters fordern die Gewerkschaften die Anhebung des Überstundenzuschlages für die 10. Arbeitsstunde an einem Tag von 50 auf 75 Prozent und die Aufnahme von Verhandlungen, um das bestehende Entlohnungsschema sowie Dienstreisebestimmungen weiterzuentwickeln.
- Leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche, die Arbeitnehmer*innen zurzeit nur nach langer Betriebszugehörigkeit zusteht
"Her mit dem Geld!"
[27.10.2022]
Nach einer Woche traten dann auch die Jugendorganisationen der Gewerkschaften auf den Plan: Mit einer - wieder eine Woche später anberaumten - Kundgebung unter dem Motto "Es reicht! Her mit den 1.000 Euro im ersten Lehrjahr!" machten sie auf ihre Forderung nach einer Erhöhung des Lehrlingseinkommens auf 1.000 Euro im 1. Lehrjahr, 1.300 Euro im zweiten, 1.600 Euro im dritten und 2.000 Euro im vierten Lehrjahr aufmerksam.
Auch eine Versammlung der Betriebsrät*innen wurde für 2. November angekündigt, und der Termin eines möglichen Warnstreiks mit 7. November festgelegt.
Überraschende Einigung
[4.11.2022]
Der Warnstreik wurde schließlich wieder abgesagt. Denn kurz nach Mitternacht wurde im 12-stündigen Verhandlungsmarathon eine Einigung erzielt. Details =>hier
Einer für fast alle
[14.11.2022]
Vor einigen Jahren sind die Kollektivverhandlungen auf Betreiben der Arbeitgeberseite in die einzelnen Sparten der Metallindustrie aufgespalten worden. Seither hat es im Anschluss an die "große Einigung" mit dem Fachverband Metallindustrie immer idente Abschlüsse mit den anderen Arbeitgeberverbänden gegeben.
So auch diesmal: Am 7. und 8. November 2022 haben Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände NE-Metallindustrie, Bergbau-Stahl, Fahrzeugindustrie und Gießereiindustrie eine Einigung erreicht. Und am 14. November folgte schließlich der Abschluss mit dem letzten ausständigen Verband der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmen.
Nun fehlt noch das Gewerbe, das im Großen und Ganzen auch immer KV-Abschlüsse "nahe am Original" ausverhandelt, welche sich jedoch in einigen Details immer von jenen der Industrie unterscheiden.