Interview
„Die Baumeister werden das schaffen“
Herr Engert, wie beurteilen Sie den Stand der Dinge zum Thema Nachhaltigkeit in der österreichischen Bauwirtschaft. Anders gefragt: Wie nachhaltig ist der Bau?
Peter Engert: Die Bauwirtschaft ist gut aufgestellt – besser als viele meinen. Neubauten werden bereits mit einem sehr hohen Standard der Nachhaltigkeit errichtet. Das gilt allerdings vor allem für die gewerblichen Bauträger. Die Gemeinnützigen hinken hinterher. Da habe ich manchmal das Gefühl, wir leben in der Nachkriegszeit in den 50er oder 60er Jahren. Damals hat man so schnell wie möglich Wohnraum geschaffen, ohne zu sehr auf die Qualität zu achten. Die Qualität ist jetzt gut, aber bei der Nachhaltigkeit sind die Gemeinnützigen eher schwach.
Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Schauen die Gemeinnützigen mehr aufs Geld als die Gewerblichen?
Engert: Die Anforderungen sind unterschiedlich. Die gewerblichen Bauträger unterliegen der EU-Taxonomie, die Gemeinnützigen nicht. Zudem hat die EU-Kommission im vergangenen Herbst klargestellt, dass Boden, der mittel bis gut für die Landwirtschaft nutzbar ist, nicht mehr ohne ein eigenes Gutachten versiegelt werden darf. Das führt dazu, dass es kaum noch gewerbliche Projekte auf der grünen Wiese gibt.
Bleiben wir bei der EU-Taxonomie: Wie wirkt sie? Und warum betrifft sie nur die Gewerblichen?
Engert: Da muss ich kurz ausholen…
…nur zu.
Engert: Die Staaten der EU haben sich bekanntlich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Das bedeutet: Die EU will ab 2050 netto keine CO2-Emissionen mehr erzeugen. Um das zu erreichen, müssen große Summen investiert werden. Die EU-Taxonomie, die übrigens seit 2021 gilt, definiert, welche Kriterien die Aktivitäten von Unternehmen erfüllen müssen, um als nachhaltig eingestuft zu werden. Jetzt kommt der springende Punkt: Banken wenden diese Kriterien bei der Vergabe von Krediten an. Je nachhaltiger ein Kreditnehmer oder sein Projekt, desto günstiger der Kredit. Man spricht hier auch von der Taxonomiekonformität.
Wie hoch ist der Finanzierungsvorteil?
Engert: Der kann zwischen 30 und 80 Basispunkten liegen. Bei einer langfristigen Finanzierung, die über 20 Jahre läuft, ist das ein Riesenvorteil. Und die Banken setzen das mittlerweile konsequent um. Denn je grüner ihr Kreditportfolio ist, desto bessere Konditionen erhalten Sie ihrerseits bei der Refinanzierung.
Okay, das ist soweit klar. Bleibt die Frage, warum das für die Gemeinnützigen nicht gilt?
Engert: Die Gemeinnützigen müssen die Banken nicht davon überzeugen, dass die taxonomiefähig sind, weil sie andere Sicherungssysteme von Bund und Ländern haben. In anderen Worten: Sie haben nicht den gleichen Druck, um an günstiges Geld zu kommen.
Mir fällt gerade auf, dass wir den privaten Hausbau nicht angesprochen haben…
Engert: …hier sind wir noch nicht soweit. Das Eigenheim im Speckgürtel auf der grünen Wiese dürfte es laut Taxonomie-Kriterien eigentlich nicht mehr geben. Die Banken wenden die Regeln für die privaten Häuslbauer nur eingeschränkt an.
Sie sprechen von den Banken. Bei der Genehmigung von Bauvorhaben haben allerdings auch die Gemeinden ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Sie müssen das Projekt genehmigen.
Engert: Das stimmt. Die Gemeinden sind im Rahmen der Taxonomie ebenfalls berichtspflichtig. Es ist ihnen aber derzeit noch egal, ob sie auf rot oder grün stehen. Der Rolle der Kommunen hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: vom Vorreiter im Mittelalter zum Nachzügler in der Gegenwart. Aber das wird sich wieder ändern.
Sie haben gesagt, dass es um die Nachhaltigkeit bei neuen Gebäuden, die von gewerblichen Bauträgern errichtet werden, gut bestellt ist. Gut genug, um das Ziel zu erreichen, in 2050 klimaneutral zu sein?
Engert: Ziemlich gut. Wobei wir hier von zwei verschiedenen Arten der CO2-Belastung sprechen: Zum einen geht es um die CO2-Emssionen beim laufenden Betrieb des Gebäudes – also im Wesentlichen um Strom und Energie für Heizung und Kühlung. Hier wird man das Ziel durch den Einsatz erneuerbarer Energie und besserer Dämmung früher erreichen als 2050. Zum anderen gibt es die sogenannten „Grauen Emissionen“, die manchmal sogar tiefgrau sind, also sehr hoch.
Das sind die Emissionen, die bei der Errichtung eines Bauwerks entstehen?
Engert: Richtig. Hier gibt es den Ansatz, dass man die Emissionen, die beim Bau entstehen, dem Bauwerk zurechnet und dann langfristig über 50 Jahre abschreibt. Aber diesen CO2-Footprint exakt zu erheben, ist natürlich nicht trivial. Denn wir sprechen hier von den Emissionen entlang der gesamten Lieferkette: von der Produktion der Materialien über den Transport und die Produktion der notwendigen Energie bis hin zu den Treibhausgasen, die direkt auf der Baustelle ausgestoßen werde.
Wie bewerten Sie die aktuellen Bemühungen der Bauwirtschaft und der Baustoffindustrie, den CO2-Footprint zu senken?
Engert: Ich habe den Eindruck, dass die Bauwirtschaft verstanden hat, was zu tun ist. Und die Unternehmen machen sehr viel. Ich denke da zum Beispiel an die Bemühungen der Zementindustrie und der Betonhersteller, CO2-reduzierte Produkte zu entwickeln. Es gibt Bauunternehmen, die mit Wasserstoff betriebene Generatoren einsetzen, um Strom für die Baustelle zu produzieren. Andere verwenden Windräder oder Baucontainer mit integrierter Photovoltaik-Anlage. Wir bekommen bald ein neues Abfallwirtschaftsgesetz, das ermöglicht, den Erdaushub nicht mehr deponieren zu müssen, sondern wiederverwenden zu dürfen. Auch das ist eine gute Maßnahme. Zusammengefasst: Es geht in die richtige Richtung.
Ist das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, aus Ihrer Sicht in Österreich erreichbar? Wird die Bauwirtschaft das schaffen?
Engert: Sie hat eine gute Chance – vor allem bei den Neubauten. Wir müssen aber aufpassen. Ich warne davor, überzogene Forderungen zu stellen.
Welche zum Beispiel?
Engert: Zum Beispiel, schon bis 2040 klimaneutral sein zu wollen. Das ist gefährlich. Wenn wir den Bogen überspannen, bricht er. Wir nehmen den Menschen die Freude an der Erneuerung, wenn die Ziele zu ambitioniert und nicht erreichbar sind. Das erzeugt Frustration und Lethargie: „Es ist eh alles wurscht.“ Das müssen wir verhindern. Ich sehe daher auch das Ziel 2050 eher als Benchmark: Wenn wir das erreichen, ist es super. Wenn wir es knapp verfehlen, ist es aber auch kein Drama.
Sie haben die Neubauten betont. Was ist mit dem Bestand?
Engert: Hier ist die Situation problematischer. Mehr als 95 Prozent der bestehenden Gebäude in Österreich sind derzeit nicht taxonomiefähig. Das heißt: Um das 2050er Ziel zu erreichen, müssen sie thermisch saniert werden. Bei dem derzeitigen Tempo wird das aber nicht in dieser Frist gelingen. Hier müssen die Anstrengungen von allen Seiten forciert werden.
Der deutsche Architekt Werner Sobek, der sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst, ist davon überzeugt, dass es innerhalb der kommenden fünf Jahren folgende Regelung geben wird: Der Bauträger muss im Zuge des Bauantrags den Materialverbrauch des geplanten Bauwerks aufzeigen und einen Emissionsplan einreichen. Für die Emissionen, die beim Bau entstehen, muss er einen Preis bezahlen. Hohe Emissionen bedeuten hohe Kosten.
Engert: Die Idee gefällt mir. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass der Bauherr – egal ob für ein Einfamilienhaus oder einen Autobahntunnel – ein CO2-Kontingent erhält. Wenn er das überschreitet, muss er mit höheren Kosten kalkulieren. Dafür ist aber eines sehr wichtig: Es muss eine umfassende Produktdeklaration geben, so wie jetzt das CE-Zeichen. Das wäre dann das CO2-Zeichen. Dieses Zeichen gibt dem Käufer eines Produktes oder eines Materials alle relevanten Informationen darüber, welche Bestandteile es enthält und wieviel CO2 für seine Erzeugung emittiert worden ist – und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Ist das realistisch?
Engert: Es ist realistisch und vor allem: dringend notwendig. Nehmen Sie das Beispiel eines Einfamilienhauses. Nur mit einer derartigen CO2-Deklaration ist der Baumeister in der Lage, dem Häuslbauer die notwendigen Informationen zu geben: „Wenn Du das Haus mit diesen Materialien in dieser Größe baust, verbrauchst Du damit die Summe X an CO2.“ Das wäre ein gutes Instrument, mit dem man die Idee von Werner Sobek umsetzen könnte.
Bei der Lieferketten-Verordnung, um die die EU-Staaten ewig gerungen haben, hat man das nicht so gemacht…
Engert: …da hat man zuerst beschlossen, was man machen will und sich dann überlegt, wie und mit welchen Hilfsmitteln die Betriebe das administrativ überhaupt bewältigen könnten. So geht das natürlich in die Hose.
Stichwort „administrativ bewältigen“: Die Bauwirtschaft kritisiert den Tsunami an immer neuen Verordnungen: In dieser Ausgabe der Bauzeitung zum Beispiel der Unternehmer Robert Schmid. Kann die Bauwirtschaft – und hier denke ich vor allem an unsere Leserinnen und Leser aus dem Baugewerbe – die ständig neuen Anforderungen und Vorgaben zum Thema Nachhaltigkeit überhaupt bewältigen?
Engert: Klare Antwort: Ja, die Baumeister werden das schaffen. Kleine Einschränkung: Wenn der Gesetzgeber mit Augenmaß handelt. Die gerade besprochene CO2-Deklaration wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ich denke aber, dass es zu einem Paradigmenwechsel kommen wird: Weg vom Neubau, hin zur Sanierung. Das wird das große Thema der nächsten Jahrzehnte. Schlechte Zeiten für die Bauwirtschaft sehe ich daher nicht kommen. Spannende schon.
ÖGN
Die Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGN) ist eine NGO, die Zertifikate für Gebäude mit hoher ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit ausstellt. Sie kooperiert mit der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen), deren Zertifizierungssystem sie übernommen und weiterentwickelt hat.