Große Umfrage
Stimmungsbarometer der Glasbranche
Wir haben den wichtigsten Vertretern der österreichischen Glasindustrie (in alphabetischer Firmenreihenfolge) drei Fragen zur aktuellen Bauwirtschaft gestellt und sie um ihre persönliche Einschätzung gebeten:
- Wie sind Ihre Prognosen für die Bauwirtschaft, im Speziellen die Glasbranche, für das Jahr 2024?
- Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die Baukonjunktur anzukurbeln?
- In welchen Bereichen sehen Sie in der Glasbranche die größten Wachstumschancen, sprich, worauf sollten sich Glasbautechniker*innen fokussieren?
Franz Schreibmaier, Geschäftsführer Bohle Österreich:
Die Medien berichten täglich über die besorgniserregende Situation in der Bauwirtschaft. Durch zahlreiche Gespräche in den letzten Monaten kann ich nur bestätigen, dass das Auftragsvolumen immer nur für einige Tage bzw. Wochen reicht. Langfristige Projekte sind rar geworden, und wenn sich Baukonzerne auf kleine Baustellen stürzen, dann bestätigt das den Kampf um Arbeit. Beinahe wöchentlich werden wir informiert, dass ein Betrieb aufhört oder wegen Personalmangel schließen muss.
Damit sich die Bauwirtschaft wieder erholen kann, bedarf es meiner Meinung nach mehrerer Maßnahmen. Die KIM-Verordnung muss reformiert werden, damit Menschen, die in die Schaffung von Wohnraum investieren wollen, wieder eine leistbare Finanzierung bekommen. Durch diese rigorosen Maßnahmen der FMA hat man einer ganzen Generation die Chance genommen, sich ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung zu schaffen. Des Weiteren wäre die EZB gut beraten, die Zinsen zu senken oder zumindest kurzfristig zu fixieren, dass man damit planen kann. Dieses "Herunterfahren der Wohnraumbeschaffung" wird man noch in Jahren oder Jahrzehnten bemerken: Denn was jetzt nicht gebaut wird, wird in 10 bis 15 Jahren auch nicht saniert.
Anhand von gut gelebten Beispielen können wir beobachten, dass die größte Chance für Glaserbetriebe besteht, wenn man mit anderen Betrieben kooperiert und mit Branchen im Bau- und Baunebengewerbe zusammenarbeitet.
Werner Krügl, Spartenleiter Glas C. Bergmann:
Aufgrund der massiven Einbrüche im privaten Neubau gehen wir von einem spürbaren Rückgang zu 2023 aus. Ohne Maßnahmen ist eine rasche Entspannung jedenfalls derzeit nicht in Sicht und die Talsohle wahrscheinlich auch noch nicht erreicht.
Als dringend notwendige Maßnahmen erachte ich die Lockerung der Kreditvergaberichtlinien bzw. die Entschärfung der KIM-Verordnung. Wegen der langen Vorlaufzeit von Bauprojekten ist es wichtig, dass rasch gegengesteuert wird, der Staat Geld aufbringt und dieses den Ländern zweckgebunden für den Wohnbau zur Verfügung stellt. Auch die von uns unterstützte Wohnbau Kampagne "Mehr Zuhaus' in Österreich" soll zur Bewusstseinsbildung beitragen. Diese Kampagne wurde auf Initiative der Hagebau ins Leben gerufen und wird breit von Industrie, Handel, Bau und WKO unterstützt.
Worauf sollten sich Glasbautechniker*innen fokussieren? Ich denke, man sollte sich auf die Bereiche fokussieren, wofür man persönlich die größte Leidenschaft hat. Chancen gibt es in jedem Bereich!
Harald Bissenberger, Prokurist Ertl Glas:
Wenn man die Prognosen für 2024 mit den letzten drei Jahren vergleicht, sind sie natürlich schlecht. Wenn man die letzten drei Jahre, die markttechnisch extreme und positive Ausnahmejahre waren, ausnimmt, dann sieht die Sache gleich anders aus. Wir können und dürfen nicht davon ausgehen, dass das was sich zwischen 2020 und 2022 abgespielt hat, Standard wird. Das waren absolut unberechenbare Ausnahme-Jahre. Generell glaube ich aber schon, dass sich die Lage bis Mitte dieses Jahres entspannen wird.
Ein wichtiger Punkt wäre natürlich, dass sich die medialen Aussagen mehr an der Realität bewegen und den Konsumenten nicht jeden Tag vermitteln, dass die wirtschaftliche Welt bald untergeht, nur um Schlagzeilen zu generieren. Eine allgemein positivere Stimmungslage würde auch der Bauwirtschaft zu einem großen Sprung nach vorne verhelfen.
Die Glashandwerker sollten sich aktuell meiner Meinung nach vor allem auf die Sanierung im Wärmedämmbereich und die Sanierung im Design- und Interior-Bereich fokussieren. Ich denke, dass hier noch viel Aufholbedarf besteht.
Generell ist es meiner Meinung nach wichtig, die nach wie vor herrschende Meinung bei sehr vielen Endkunden zu verändern, mit Investitionen abzuwarten bis die Materialien wieder günstiger werden. Das Geld ist glaube ich nicht das Problem, sondern das Verständnis, dass es für Endkunden nicht mehr günstiger wird. Wenn die Konsumenten das verstanden haben, wird auch wieder normal investiert. Die Menschen in Österreich sind grundsätzlich investitionsfreudig, aber die Stimmung muss sich wieder zum Positiven ändern – und hier kann jeder etwas beitragen: positiv denken, reden und handeln.
Bernhard Feigl, Geschäftsführender Gesellschafter Glas Marte:
Der Rückgang der Bautätigkeit im Wohnbau, insbesondere im privaten Wohnbau, hat Auswirkungen auf die gesamte Glasbranche. Eine schnelle Erholung scheint nicht in Sicht zu sein. Wir sehen, dass die Märkte unterschiedlich stark betroffen sind und, dass das Auftragsvolumen in Österreich, besonders in Innerösterreich, deutlich höher ist als in unseren anderen Märkten. In manchen Teilen Deutschlands scheint es so, als wäre die Bautätigkeit völlig zum Erliegen gekommen. Es ist zu hoffen, dass sich der Markt bald wieder erholt.
Insgesamt glaube ich aber, dass nach wie vor im Sanierungsbereich viel zu tun ist, denn alle Themen rund um Klimaschutz, CO2, Energiepreise etc. können durch thermische Sanierungen, auch bei Überhitzung durch Verwendung von Sonnenschutzglas, ganz wesentlich und auch nachhaltig verbessert werden. Leider ist das Sanierungspotenzial derzeit zu wenig im Fokus der Immobilienbesitzer. Durch Anreize könnte auch die thermische Sanierung stärker belebt werden.
Aber auch im Innenbereich, insbesondere im Bad, sehe ich ein großes Potenzial. Individuell hergestellte Ganzglas-Duschen ohne viele Profile und eben ganz aus Glas, auch mit Glasrückwänden, sind nicht nur optisch und architektonisch ein Highlight, sondern weisen auch ganz entscheidende Pflegevorteile auf. Seit Corona weiß jeder, wie wichtig ein gesundes Umfeld ist. Kaum jemand akzeptiert heutzutage in seiner Dusche viele Fugen, Ecken, Rahmen und Schmutznischen, in denen sich leicht Schimmel bildet. Jeder weiß, wenn man Schimmel sehen kann, sind die Sporen auch in der Luft und somit in der Lunge. Die ÖNorm 3719 "Ganzglasduschen" nimmt auf diese hygienischen Aspekte besonders Rücksicht.
Leider ist die Zukunft sehr ungewiss und daher ist keine Prognose möglich. Umso ärgerlicher ist es, wenn trotz deutlich höherer Lohn- und Produktionskosten am Markt versucht wird, um jeden Preis Produktionskapazitäten zu füllen.
Gottfried Brunbauer, CEO Lisec:
Die Erwartung ist, dass 2024 der Boden der Talsohle erreicht und die Projektentwicklung bzw. die Bautätigkeit in der zweiten Jahreshälfte wieder Fahrt aufnehmen wird, wobei diese Konjunkturbelebung erst mit einer gewissen Verzögerung im Laufe des Jahres 2025 in der Glasverarbeitungsbranche ankommen wird.
Die wichtigsten Maßnahmen wären eine Stabilisierung bzw. Senkung der Leitzinsen, um die Kosten für Bauprojekte sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich wieder kalkulierbar zu machen, die verstärkte Wiederaufnahme der Infrastrukturentwicklungsprojekte seitens der öffentlichen Hand sowie attraktive Förderprogramme, insbesondere im Bereich der thermischen Gebäudesanierung – ebenfalls sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich.
Im Bereich Flachglas sehen wir keine speziellen Wachstumssegmente. Der Bedarf sollte sich in allen Segmenten, d. h. im Bereich Fenster und Türen sowohl durch den öffentlichen als auch durch den privaten Wohnbau sowie durch die thermische Sanierung mittel- und langfristig kontinuierlich entwickeln, im Bereich Fassade durch die weitere Objektentwicklung. Das Segment Architekturglas wird sowohl durch den Wohnbau als auch die Objektentwicklung unterstützt. Die Anforderungen an die Glasbranche werden sich eher im Bereich einer raschen und flexiblen Bedienung des Marktes mit qualitativ hochwertigen Produkten zu marktfähigen Preisen ergeben.
Wolfgang Pichler, Vertriebsleiter Pilkington Austria:
Wir konnten alle beobachten, dass durch die hohe Inflation die Kaufkraft sinkt. Die Baubranche in Österreich ist auch deshalb rückläufig, weil weniger Kapital zur Verfügung steht, neu zu bauen oder Gebäude zu sanieren. Auf Grund der verschärften Regeln für die Vergabe von Krediten und die deutlichen Zinssteigerungen wurden und werden auch weniger Bauaufträge vergeben und die Anzahl der Baugenehmigungen in Österreich ist rückläufig. Das spiegelt sich auch im ersten Quartal bzw. im ersten Halbjahr 2024 wider. Aber noch ist nicht eindeutig absehbar, wie sich die Situation im neuen Jahr entwickeln wird. Wir gehen davon aus, dass sich die Lage im zweiten Halbjahr 2024 entspannt.
Um die Baukonjunktur wieder anzukurbeln, wäre es aus meiner Sicht notwendig, einerseits die Vorgaben für die Kreditvergaben zu entschärfen und andererseits auch Fördermittel wie etwa die Wohnbauförderung zu erhöhen. Öffentliche Investitionen konnten die Branche schon in der Vergangenheit immer wieder stärken. Fest steht: Um 2024 und 2025 zu retten, müssen die Maßnahmen rasch umgesetzt werden und nicht nur als Wahlkampfgeplänkel im Sand verlaufen.
Für die Glasbranche sehe ich die größten Wachstumschancen darin, sich auf die Erweiterung von Bestandgebäuden wie Umbauten, Zubauten und den Ausbau von Dachböden, aber auch Sanierungen und vor allem thermische Sanierungen, einzurichten. Dazu sollte man sich mit innovativen Produkten wie zum Beispiel heizbaren Gläsern oder BIPV-Modulen beschäftigen. BIPV-Module werden im Gegensatz zu den gängigen Solarmodulen selbst Bestandteil eines Gebäudes, entweder als Überdachung oder als Teil der Fassade. Wir bei Pilkington Austria arbeiten sehr intensiv an all diesen Entwicklungen. Nicht nur deswegen konnten wir 2023 unsere Marktanteile in Österreich ausbauen. Ich wünsche allen ein erfolgreiches 2024.
Johannes Reiter, Geschäftsführer Vandaglas Ziegler:
Wie auch in den ersten Wochen des neuen Jahres bereist klar ersichtlich, wird 2024 eine große Herausforderung in Bezug auf rückläufige Nachfrage. Der private Wohnbau ist massiv zusammengebrochen, der mehrgeschoßige Wohnbau ist leicht rückläufig und auch beim Gewerbebau ist eine zurückhaltende Absatzentwicklung spürbar. Die Auslastung bei den Handwerksbetrieben ist scheinbar noch gut, wobei hier aufgrund der eher kurzen Entscheidungswege keine längerfristige Vorschau möglich ist. Die Stimmung in der Branche ist aus meiner Sicht daher zweigeteilt und getrieben von den sehr negativen Wirtschaftsprognosen und der leider laufenden negativen Berichterstattung.
Nachdem die Probleme mehrschichtig sind und hauptsächlich aus der hohen Inflationsrate rühren, gepaart mit den Kreditvergaberichtlinien und den gestiegenen Zinsen, ist es dringend notwendig, aktiv gegenzusteuern und die Konjunktur entweder über Förderungspakete oder über andere Maßnahmen anzukurbeln.
Ich persönlich bin aber sehr optimistisch, weil die Glasbranche aufgrund der Hochkonjunktur in den letzten Jahren gut aufgestellt ist und diese Delle auch gut überwinden wird. Glas hat sehr viele Einsatzbereiche und spielt sowohl in der Gebäudehülle aus auch im Innenausbau eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung. Allerdings sind die Zeiten der Verteilung vorbei und man muss wieder aktive Marktbearbeitung betreiben. Aus meiner Sicht gibt es unglaublich viel Potential, um unabhängig von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einen soliden Absatz sicherzustellen.
Stefan Doppler, Niederlassungsleiter Vetrotech Österreich:
Wir sehen bereits seit Ende des Jahres 2023 eine Steigerung der Nachfrage nach unseren Produkten. Dies resultiert in steigenden Auftragseingängen im Jänner und Februar im Vergleich zum Vorjahr. Wir sehen jedenfalls eine Stabilisierung der Lage in der Bauwirtschaft und in einigen Segmenten erste Signale einer bereits schwach positiven Entwicklung, die sich zu einem positiven Trend im zweiten Halbjahr 2024 auswachsen sollte. Klar ist, dass die hohen Lohnabschlüsse eine Herausforderung für viele Unternehmen der Branche darstellen und direkte negative Auswirkungen auf Unternehmen haben werden. Wir erwarten im Jahr 2024 leider weitere Insolvenzen in der Branche. Und die gestiegenen Zinsen wirken weiterhin stark dämpfend auf das Branchenwachstum.
Die Stabilisierung des Leitzinses als erstes positives Signal macht es für Investoren aber wieder möglich, Projekte vorhersehbar zu kalkulieren und gestoppte Projekte wieder aufzunehmen. Maßgeblich für eine rasche Erholung der Baukonjunktur in Österreich sind beherzte und rasch umgesetzte Investitionsmaßnahmen in den Wohnungsneubau und breit angelegte Sanierungsmaßnahmen.
Für die Glasbranche stehen kurzfristige Wachstumschancen in direktem Zusammenhang mit staatlichen Konjunkturpaketen. Mittel- und langfristig werden die Themen echte Nachhaltigkeit der verwendeten Produkte und Kreislaufwirtschaft eine zentrale Rolle spielen.
Gerald Wiesbauer-Pfleger, Geschäftsführung Glas Wiesbauer:
Momentan sind die Prognosen für 2024 noch sehr verhalten. Wir, als Zulieferer in der gehobenen Möbelbranche, sind von unseren gewohnten Umsätzen noch weit entfernt. Auch im Glasbau ist es verhältnismäßig ruhig und die liegengebliebenen Aufträge wurden bereits abgearbeitet. Wir hoffen, dass mit dem Frühlingserwachen wieder neue Aufträge ins Haus kommen. Schließlich bekommt man vom Glasfachbetrieb auch alles rund um den Garten – wie Sichtschutz, Kubus-Konstruktionen für Outdoorküchen und vieles mehr.
Seitens des Branchenverbunds Bauwirtschaft OÖ wurde eine neue Kampagne ins Leben gerufen: "Endlich wieder Lust aufs Bauen und Renovieren machen". Das ist das große Ziel unserer Kampagne #wirmachenswahr2024. Dabei geht es darum, den privaten, gewerblichen, wie öffentlichen Bauherren zu vermitteln, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um ein Bauvorhaben umzusetzen und es nicht auf die lange Bank zu schieben. Wenn es hierzu auch noch attraktive Kreditangebote gäbe, wäre die Entscheidung für unsere potenziellen Kunden noch einfacher.
Die größte Chance für die Glasbranche sehe ich derzeit in der Sonderanfertigung von Glasduschen und Glaswänden, da aufgrund beengter Platzverhältnisse oft ein Standardprodukt nicht passt. Weiters ist und bleibt die Wohnraumsanierung ein interessantes Geschäftsfeld für uns.