Energie
Wien bekommt Geothermie-Großanlage
Eine besondere Rolle, die Bundeshauptstadt unabhängig von fossiler Energie zu machen, dürfte laut der Wiener Stadtregierung der Tiefengeothermie zukommen. Umgesetzt werden soll dieses Megaprojekt zur Erschließung der Erdwärme von der "Wien Energie". Das Klimaschutzministerium fördert dieses Unterfangen mit rund acht Millionen Euro. Gestartet werden soll bereits im nächsten Jahr. Läuft alles nach Plan, soll die Tiefengeothermie-Anlage klimaneutrale Fernwärme mit bis zu 20 Megawatt erzeugen. Die exakte endgültige thermische Leistung kann jedoch erst nach einer erfolgreichen Erkundungsbohrung final bestimmt werden. Um die Anlage noch effizienter zu machen, plant Wien Energie zudem den kombinierten Betrieb mit einer Wärmepumpe.
Als Standort der neuen Anlage wurde ein Areal am Rande der Seestadt Aspern identifiziert. Sofern alle damit verbundenen Verfahren plangemäß verlaufen, kann mit den Vorarbeiten für die Bohrungen 2023 begonnen werden. Die Bohrarbeiten finden 2024 statt, die Inbetriebnahme der Tiefengeothermie-Anlage ist für 2026 vorgesehen. Diese Pilotanlage ist der erste große Meilenstein für den zügigen weiteren Ausbau der Tiefengeothermie in Wien. Bis 2030 will Wien Energie insgesamt bis zu vier Tiefengeothermie-Anlagen in der Donaustadt und Simmering mit einer Gesamtleistung von bis zu 120 Megawatt entwickeln. Der Ausbau der Tiefengeothermie soll auch nach 2030 fortgesetzt werden, damit die Fernwärme bis 2040 gänzlich aus klimaneutralen Quellen erzeugt wird.
Was ist Tiefengeothermie?
Geothermie nutzt die in der Erdkruste gespeicherte Wärme. Diese stammt aus dem Erdkern, der zwischen 5.000 und 7.000 Grad heiß, sowie aus natürlichen Zerfallsprozessen im Erdmantel. Die in der Erde gespeicherte Wärme und der stetige Wärmeaustausch mit der Erdkruste ist nach menschlichen Maßstäben unerschöpflich. Pro 100 Meter Tiefe nimmt die Temperatur in Mitteleuropa um etwa drei Grad zu. Während die oberflächennahe Nutzung der Erdwärme geringe Tiefen bis zu 300 Meter betrifft, sind bei der Tiefengeothermie für die Erschließung von Thermalwasservorkommen Bohrungen in mehreren tausend Metern Tiefe erforderlich. Das im östlichen Raum Wiens gespeicherte Thermalwasser weist aufgrund seiner Millionen Jahre langen Isolierung im Gestein eine hohe Mineralisation (z.B. Salzgehalt) auf und ist daher nicht trinkbar. Die Gewinnung erfolgt mittels Bohrungen, die nach der Wärmeentnahme an der Oberfläche das Thermalwasser wieder in das ursprüngliche Thermalwasservorkommen zurückführen. Es entsteht damit ein geschlossener, regenerativer Kreislauf.
Technisch anspruchsvolles Projekt
Zur Erschließung des Thermalwassers sind mehrere Bohrungen in über 3.000 Meter Tiefe erforderlich. Aufgrund dieser Tiefe, die etwa hundertmal tiefer als die tiefste U-Bahn-Station Wiens liegt, und da die Bohrungen nur einen Durchmesser von ca. 30 cm haben, ist dabei mit keinerlei Auswirkungen wie etwa Vibrationen an der Erdoberfläche zu rechnen. Technisch anspruchsvoll sind Bohrungen in solchen Tiefen aber dennoch.
Mit einer Erkundungsbohrung wird die Beschaffenheit und Verfügbarkeit des Thermalwassers am gewählten Standort untersucht. Nach der erfolgreichen Erkundungsbohrung werden zwei weitere Bohrungen durchgeführt. Für die geplante Nutzung kommt ein System namens „Hydrothermale Dublette“ zum Einsatz. Dafür wird zunächst rund ein Kilometer senkrecht in die Tiefe gebohrt, danach verlaufen die Bohrungen schräg in entgegengesetzte Richtungen bis auf eine Tiefe von rund 3.000 bis 3.500 Meter. Über eine der Bohrungen wird das Thermalwasser mittels einer Förderpumpe an die Oberfläche befördert. Nach der Wärmeentnahme an der Oberfläche über Wärmetauscher wird das Thermalwasser über die zweite Bohrung wieder in das gleiche Thermalwasservorkommen zurückgeführt, es entsteht damit ein geschlossener erneuerbarer Kreislauf. Der Entnahme- und der Rückgabepunkt des Thermalwassers liegen dabei rund vier Kilometer voneinander entfernt. Die in der Tiefengeothermie-Anlage gewonnene Wärme wird anschließend in das Fernwärmenetz eingespeist.
Umfassende Erkundung der Geologie abgeschlossen
Die Nutzung von Tiefengeothermie in Wien ist nur deshalb möglich, weil sich mit dem „Aderklaaer Konglomerat“ eine wasserführende Gesteinsschicht unterhalb der Bundeshauptstadt befindet. Als wichtige Grundlage für die Erschließung dieses Vorkommens hat Wien Energie gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft, Forschung und Industrie im Forschungsprojekt „GeoTief Wien“ in den letzten Jahren eine umfassende Untersuchung der geologischen Gegebenheiten unter der Stadt vorgenommen.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse beruhen auf einer umfangreichen seismischen 3D-Erkundung des „Aderklaaer Konglomerats“. Das Forschungsteam konnte aber auch die seit 2012 bestehende Tiefenbohrung von Wien Energie in Essling für einen erfolgreichen Fördertest im Aderklaaer Konglomerat nutzen. Nachdem sich die technischen Mittel zur Erkundung und Nutzung geothermischer Vorkommen in den letzten Jahren entsprechend weiterentwickelt haben, ist das Projektteam von Wien Energie zuversichtlich, dass die neuen Bohrungen auf Basis der inzwischen gewonnenen Erkenntnisse erfolgreich verlaufen werden. Wie schon beim Forschungsprojekt „GeoTief Wien“ arbeitet Wien Energie mit der OMV zusammen, die aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung und ihrer technischen Expertise für die geologische Planung der Bohrungen zuständig sein wird.
Potenzial für Wien
Das Thermalwasservorkommen unter der Stadt ist so groß, dass bis 2030 bis zu 125.000 Wiener Haushalte mit Fernwärme aus Tiefengeothermie versorgt werden könnten. Das entspricht einer jährlichen CO2-Einsparung von 325.000 Tonnen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Errichtung weiterer Tiefengeothermie-Anlagen im Stadtgebiet geplant, die in Summe bis zu 20 Prozent der Fernwärme-Gesamterzeugung abdecken können.
Zu den Vorteilen der Tiefengeothermie zählt, dass es sich dabei um eine CO2-neutrale Energiequelle handelt, die lokal und rund um die Uhr verfügbar ist und dementsprechend unabhängig von (fossilen) Energieimporten ist. Tiefengeothermie ist eine verlässliche und nach menschlichem Ermessen nahezu unerschöpfliche Ressource, die Wärme und Strom langfristig und zu stabilen Preisen zur Verfügung stellt. Darüber hinaus hat die Tiefengeothermie im Gegensatz zu anderen Möglichkeiten einen geringen Flächenbedarf und ist entsprechend Landschafts-schonend. Die Anlage selbst ist im Betrieb komplett emissionsfrei.
Um die Anrainer*innen und Grundstückseigentümer*innen in der Umgebung umfassend über dieses Bauvorhaben zu informieren, sind in den nächsten Wochen Informationsveranstaltungen in der Donaustadt geplant.