Interview

Strategien für Sanitäranlagen im öffentlichen Raum

Barrierefreiheit
21.03.2024

Barrierefreies Bauen ist das Thema von Peter H. Spitaler, der als Vorstandsmitglied von Design for All – Zentrum für Universal Design Österreich, auch genau weiß, welcher Designlösungen es bedarf, um Sanitäranlagen im öffentlichen Raum bedarfsgereicht auszustatten. Interview: Barbara Fürst
Bunte Fotos oder Bilder an den Wänden schaffen Atmosphäre
Bunte Fotos oder Bilder an den Wänden schaffen Atmosphäre, sie verschlechtern aber den Kontrast, gerade für Menschen mit einer Sehbehinderung ein Problem.

Peter H. Spitaler im Portrait
Peter H. Spitaler ist Geschäftsführer und Senior Designer im Team Spitaler.

Gebäude Installation: Wie haben sich sanitäre Anlagen im öffentlichen Raum aus Ihrer Beobachtung heraus in den letzten Jahrzehnten verändert?
Peter Spitaler: Wir müssen uns vorab einmal klar werden, was überhaupt unter dem öffentlichen Raum zu verstehen ist. Für mich ist der öffentliche Raum jene Bereiche, zu denen jeder ohne Einschränkungen zugehen kann. Nicht nur allgemein öffentliches Gut, sondern auch Einkaufszentren, Bahnhöfe, Dienstleister usw. Also Bereiche mit meist großer Menschenansammlung. Bereits im 19. Jahrhundert wurden in großen Städten sogenannte Bedürfnisanstalten in Parks und auf Plätzen errichtet. Der Name W. Beetz ist dabei fix mit Wien verbunden. Die Anlagen, die meist aus Gusseisen bestanden, entsprachen den damaligen Hygieneanforderungen. Seit dieser Zeit hat sich jedoch einiges geändert. Aufenthaltsqualitäten im öffentlichen Raum sind attraktiver geworden. Immer mehr Menschen halten sich darin auf. Das bedingt natürlich, dass auch das Netz der notwendigen Sanitäranlagen laufend erweitert werden muss. Viele Standorte, die Ende des vergangenen Jahrhunderts verloren gingen, wurden wieder teilweise errichtet und entsprechen nun unseren aktuellen Hygieneanforderungen. Durch die starke Zunahme an Einkaufszentren war es auch notwendig, WC-Anlagen dorthin zu verlagern.

Sind „Trends“ – in Hinblick auf Designfragen (Farben, Formen) ein Thema, oder sehen Sie vielmehr gesellschaftlich gewandelte Anforderungen oder normative Vorgaben als Treiber der Entwicklung?
Ob man von einem Trend reden kann, wenn unsere Gesellschaft immer diverser wird, möchte ich so nicht sagen. Was aber sicherlich ein Riesenthema der letzten Jahre war und noch immer ist, sind die Errichtung von Toiletten für Menschen mit Behinderungen. Da passiert an vielen Orten einiges. Erfahrungen und Know-how für qualitative Lösungen sind vorhanden. Es gibt Empfehlungen und Regelwerke wie diese aussehen sollen. Luft nach oben gibt es natürlich immer.

Was müssen sanitäre Anlagen im öffentlichen Raum heute können?
Aktuelle Hygienestandards sind zu berücksichtigen und natürlich muss auch die Nutzungssicherheit gegeben sein. Eine der wichtigsten Anforderungen ist die Sichtbarkeit und leichte Erkennbarkeit der Sanitäranlagen. Anlagen, die früher oft in uneinsichtigen Winkeln von Parks lagen, müssen ins Zentrum des Geschehens rücken. Wir benötigen WCs dort, wo sich Menschen aufhalten. Zusätzlich bewirkt diese Anordnung ein Gefühl von Sicherheit, es gibt weniger Angsträume.
Wir alle wünschen uns ein sauberes und hygienisch einwandfreies WC. Moderne fugenlose Materialien erleichtern die Reinigung wesentlich. Versuche, öffentliche WC-Anlagen besonders „künstlerisch“ zu gestalten, brachten positive Ergebnisse punkto Reinlichkeit für viele Nutzer, aber auch Nachteile für einige. Landschaftsaufnahmen oder Bilder von Sehenswürdigkeiten aus bunten Folien an den Wänden verschlechtern den Kontrast und dadurch die Bedienbarkeit einzelner Elemente. Menschen mit Sehbehinderungen sind davon besonders betroffen.

Bild einer Bezahlsituation
Die Bezahlsituation stellt viele Menschen vor eine Herausforderung.

Grundsätzlich muss der Zugang zu Sanitäranlagen eindeutig erkennbar sein. Türen mit wenig Kontrast zur Umgebung oder unzureichende Kennzeichnungen sind ungünstig. Dass die Benutzung von WC-Anlagen heutzutage etwas kosten darf, wird meist schon allgemein akzeptiert. Aber genau diese Bezahlsituation stellt viele Menschen vor eine Herausforderung, derer sie nicht gewachsen sind. Ein Überangebot an Informationen fordert jeden von uns intellektuell heraus. Was eventuell dem einen Nutzer hilft, ist für einen anderen eine unüberwindbare Barriere. Da ist es unbedingt notwendig, geeignetere Lösungen zu finden. Eventuell gibt es smarte Lösungen, die wesentlich attraktiver sind als die mancherorts angebotenen Zugangsbeschränkungen.

Welche Anforderungen sind von Planenden im Vorfeld und in Folge von den Ausführenden zu erfüllen?
Grundsätzlich sollte den Planern bewusst sein, dass öffentliche Sanitärbereiche einen anderen Lösungsansatz benötigen als Bäder im Privatbereich. Das Design muss universellen Designkriterien entsprechen, damit auch alle Menschen die Toiletten selbstständig benutzen können. Wie oben schon erwähnt, ist die richtige Lage ein wesentliches Qualitätskriterium. Lange Gänge, versteckte Winkel sind zu vermeiden. Ein Umdenken muss stattfinden. Es ist nicht einzusehen, dass WCs, die wirklich jeder Mensch braucht, oft an den unattraktivsten Standorten errichtet werden.
Die Ausstattungs-Qualität bei Waschtischen, WC-Schalen und Armaturen wird sich eventuell je nach Umgebung unterscheiden. Manchmal ist es leider notwendig, vandalensichere Lösungen zu verbauen. Eine einfache Benutzbarkeit muss jedoch immer gegeben sein. Oft wird bei sogenannten Nebensächlichkeiten gespart. Händetrockner, Bedienelemente bei Waschtischen oder WC-Spülern müssen intuitiv leicht und für jeden bedienbar sein. Auf die richtige Höhe und Positionierung ist zu achten. Das ist nicht mit Mehrkosten verbunden, aber es steigert wesentlich die universelle Benutzbarkeit. Kleinigkeiten, wie kontrastierende Flächen oder ein blendfreies Licht, sollten bei jeder Planung berücksichtigt werden.  Es gibt eigentlich keine wirkliche Begründung, warum sich allgemeine Sanitärbereiche von normgerechten barrierefreien WC-Räumen, außer in der Größe oder bei der Verwendung von Klappgriffen unterscheiden sollen!

Herr Spitaler, liegt Ihnen noch etwas Besonderes auf dem Herzen, was Sie den Planenden und Entscheidungstragenden mitgeben wollen?
Ja, da gibt es zwei Themenbereiche, über die ich sprechen möchte:
Ich verstehe grundsätzlich den Wunsch von Menschen mit Behinderungen, dass spezielle barrierefreie WC-Anlagen nur mit dem Euro-Key zu öffnen sind. Es erhöht wesentlich die Reinlichkeit der Anlagen. Oft wird aber vergessen, dass auch andere Personen diese Räumlichkeiten benötigen. Das kann jemand sein, der nach einer Sportverletzung einfach mehr Platz braucht oder junge Väter, die den Kinderwagen mit dem Nachwuchs mitnehmen möchten oder müssen. Wer lässt schon gerne sein Kind unbeaufsichtigt im öffentlichen Raum zurück?
Immer mehr kleine Sanitäranlagen verschwinden aus unserem Stadtbild. Oft entsprechen sie nicht mehr unseren heutigen Anforderungen punkto Hygiene und Sicherheit. Das einst dichte Netz wird zu Gunsten großer zentraler Lösungen ausgedünnt. Die Abstände zwischen den Anlagen vergrößern sich. Es gibt jedoch eine nicht zu vernachlässigende große Gruppe von Menschen mit Stoffwechselerkrankungen (unsichtbaren Behinderungen), die oft und spontan ein WC benötigen. Wenn die Versorgung mit WCs für diese Gruppe nicht sichergestellt ist, besteht die Gefahr, dass diese Menschen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Man beschneidet sie damit in einem Grundrecht.

Zur Person

Peter H. Spitaler ist Geschäftsführer und Senior Designer im Team Spitaler. Er war jahrelang als Mitarbeiter in Planungsbüros tätig. Dabei musste er erkennen, dass sich viele Projekte in Teilbereichen nicht an den Bedürfnissen der Benutzer orientieren. Im Frühjahr 2011 begann er sich neben seinen anderen Tätigkeiten intensiver mit dem Thema „universelles Design“ auseinander zu setzen. Seit Dezember 2011 ist er international gültig zertifizierter Experte für barrierefreies Bauen. Das Wissen bringt er zusätzlich als Experte bei Austrian Standards ein. Als Vorstandsmitglied von Design for all — Zentrum für Universal Design Österreich — verfolgt er internationale Entwicklungen und kann daher umfassende Designlösungen erstellen, die für alle Menschen das Leben erleichtern.

Branchen
Haustechnik