Interview
"Bau ist bei Digitalisierung auf Niveau des Fischereiwesens"
Herr Achammer, manche Experten sind der Meinung, dass die Bauwirtschaft bei der Produktivität großen Nachholbedarf hat. Stimmen Sie dem zu?
Christoph Achammer: Voll und ganz, vor allem für den Hochbau: Wir sindeine Industrie, die 30 bis 50 Prozent Verschwendung toleriert und stolz ist, wenn sie in der Bilanz eine Marge von drei Prozent ausweisen kann. Wir nehmen das alle in Kauf.
Alle?
Achammer: Alle. Ich beziehe da die Architekten und Ingenieure ganz bewusst mit ein. Ich habe das übrigens schon vor 15 Jahren kritisiert.
Hat das was bewirkt?
Achammer: Nicht viel.
Wie kommt es zu dieser Verschwendung von 30 bis 50 Prozent?
Achammer: Ich sehe dafür drei Gründe. Erstens: Wir sind uns, glaube ich einig, dass in den vergangenen 20 bis 30 Jahren die Gebäude deutlich komplexer geworden sind. Der Anteil der Gebäudetechnik an den Errichtungskosten ist auf 25 bis 50 Prozent gestiegen. Und da rede ich noch gar nicht von den Lebenszykluskosten. Vor 30 Jahren war das noch ein Bruchteil. Und gleichzeitig akzeptieren wir in Österreich, dass es keine adäquate Ausbildung für Gebäudetechniker gibt.
Warum sind die Technikkosten so gestiegen?
Achammer: Das führt mich zum zweiten Grund: Die teure Technik resultiert unter anderem daraus, dass wir uns als einzige Industrie dem integralen Planungsansatz verweigern. Nehmen Sie das Beispiel der Autoindustrie: Vor 40 Jahren benötigte man 60 Monate für die Entwicklung eines neuen Modells. Heute schaffen es die Hersteller in 14 Monaten. Und das ist nicht so, weil alle plötzlich viel gescheiter geworden sind.
Woran liegt es dann?
Achammer: Sie arbeiten gescheiter zusammen – vom Designer bis zu den Verantwortlichen für die Produktion: Alle relevanten Bereiche sind von Anfang an beteiligt und arbeiten gemeinsam an der Entwicklung des neuen Fahrzeugmodells.
Am Bau ist das anders…
Achammer: …das kann man wohl sagen. Wir Bauleute dokumentieren unseren Unwillen zur integralen Zusammenarbeit schon durch die Honorarordnung. Dort steht sinngemäß: Der Architekt hat die Aufgabe, die Leistungen der nachgeordneten Fachplaner in seinen Entwurf zu integrieren. Das ist das semantische Bekenntnis zur Verweigerung der integralen Zusammenarbeit.
Können Sie erläutern, was das in der Praxis bedeutet?
Achammer: In der Praxis läuft der Prozess folgendermaßen ab: Zunächst wird ein Wettbewerbsentwurf gemacht. Niemand stellt den in weiterer Folge infrage. Der Tragwerksplaner macht ihn im nächsten Schritt möglich, der Haustechniker im nächsten bewohnbar. Die Fragen, die in einem integralen Prozess gestellt würden, stellt hier niemand.
Buchhalter der vergebenen Möglichkeiten
Was für Fragen sind das?
Achammer: Zum Beispiel: Ist es notwendig, die Westseite zu verglasen, oder können wir das auf den Norden verlegen? Dadurch könnten wir die Kühlanlage auf ein Drittel verkleinern. In einem konsekutiven Prozess kommt es nicht zu diesen Fragen. Das erklärt einen Teil der Verschwendung von 30 bis 50 Prozent.
Es fehlt noch Ihr dritter Punkt.
Achammer: Der ist aus meiner Sicht der Wichtigste. Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt: „Die einzige Möglichkeit, Komplexität zu reduzieren, ist Vertrauen.“ Leider ist Vertrauen eine jener Eigenschaften, die die Bauindustrie überhaupt nicht zu buchstabieren in der Lage ist. Im Gegenteil: Wir haben in den vergangenen 30 Jahren auf die wachsende Komplexität reagiert, indem wir eine Misstrauenskultur managen. Da sind Berufsgruppen entstanden, die überhaupt nichts zur Wertschöpfung beitragen. Ich denke da zum Beispiel an die Projektsteuerer, die nichts steuern. Sie sind nur die Buchhalter der vergebenen Möglichkeiten. Eine andere Auswirkung der Misstrauenskultur ist der unsägliche Anstieg der rechtlichen Beratungskosten.
Wer soll denn hier wem vertrauen?
Achammer: Alle im Prozess einander. Alle Stakeholder – vom Auftraggeber über das ausführende Unternehmen und den Produktlieferanten bis zum Planer. Die Beteiligten müssen aus meiner Sicht zu einer Vertrauenskultur finden, die eine zentrale Aufgabe im Blick hat: den gemeinsamen Projekterfolg.
Mir ist noch nicht klar, warum das gute alte Misstrauen so problematisch sein soll.
Achammer: Weil es teuer ist. Durch das mangelnde Vertrauen sind Prozesse entstanden, die Verschwendung produzieren. Planung und Ausführung sind getrennt und man sagt, das müsse so sein, sonst hätte man keine Kontrolle über die ausführenden Unternehmen. Denn diese wären nur auf ihren Profit bedacht. Ohne Kontrolle wäre keine Qualität möglich.
So ähnlich habe ich es gelernt.
Achammer: Nicht nur Sie. Dieser Denkansatz hat zur Folge, dass sogenannte „produktneutrale Gebäude“ geplant werden müssen. Auf dieser Basis werden dann die einzelnen Gewerke in aufwändigen Prozessen definiert und breit ausgeschrieben.
So findet man den Bestbieter…
Achammer: …und erzeugt Kosten für aufwändige Umplanungen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sie schreiben ein Lüftungsgewerk für ein Hochhaus aus. Der Anbieter, der den Auftrag erhält, wählt ein Produkt, bei dem die Lüftungsöffnung links unten ist. Sie haben aber rechts oben geplant. Also müssen sie das für das gesamte Gebäude wieder umplanen. Oder nehmen Sie die Ausschreibung für einen Aufzug. Da sie produktneutral ausschreiben, müssen Sie in der Planung berücksichtigen, dass die Produkte von allen Anbietern Platz im Aufzugsschacht haben. Also planen Sie zur Sicherheit bei jeder Öffnung 25 bis 30 Zentimeter Luft ein. Das muss dann nachher mit großem Aufwand und Kosten manuell geschlossen werden.
Was ist aus ihrer Sicht die Lösung?
Achammer: Sie geben dem Planer die Möglichkeit, frühzeitig ein Produkt auszuwählen. So kann er die Planung auf das Produkt abstimmen und es in Form eines „Early Procurement“ beschaffen. So machen es die anderen Industrien ja auch. Mit 20 Prozent unserer Kunden arbeiten wir bei ATP bereits so zusammen.
Was kann die Digitalisierung leisten, um die Produktivität am Bau zu erhöhen?
Achammer: Hier ist Vorsicht geboten: Erst wenn Sie die Form der Zusammenarbeit verändert haben, bringt die Digitalisierung etwas. Ohne diese Umstellung führt sie nur zu höheren Kosten. Die veralteten Prozesse und Strukturen sind auch der Grund, warum die Bauindustrie sich bei der Digitalisierung bislang nur auf dem Niveau des Jagd- und Fischereiwesens befindet.