Der Fehlerteufel steckt im Detail
Sobald auf der Baustelle oder schlimmer noch bei einem fertigen Bauwerk ein Schaden entdeckt wird, geht sie los – die Suche nach dem Schuldigen. Denn ein Schaden kostet mitunter eine Menge Geld, und zahlen will in der Regel niemand.
Speziell bei bauchemischen Produkten steckt die Fehleranfälligkeit oft im Detail. Wechselnde und nur schwer steuerbare Rahmenbedingungen wie Außen- oder Materialtemperatur entscheiden häufig über das Gelingen eines Bodenaufbaus oder über die Dichtheit des Kellers. Auch wenn Hersteller kontinuierlich daran arbeiten, die Produkte einfacher und selbsterklärend in der Anwendung zu machen sowie die Toleranzen zu erhöhen – „dennoch ist Bauchemie eine präzise Disziplin, deren Fehler in der Verarbeitung nachhaltig böse Auswirkungen haben können“, betont Wolfgang Panholzer, Geschäftsführer des oberösterreichischen Produzenten AvenariusAgro.
Zu viele Informationen, zu wenig Zeit
Dass ihre Produkte mängelfrei verarbeitet werden, ist auch den Herstellern ein großes Anliegen. Datenblätter und Verarbeitungshinweise auf den Gebinden sollen genaue Auskunft über die Anwendung geben, doch nicht immer wird auf der Baustelle danach gehandelt. „Selbstüberschätzung beziehungsweise das Ignorieren wichtiger Details der Verarbeitungsvorschriften sind die häufigsten Gründe für Verarbeitungsfehler“, fährt Panholzer fort.
Peter Mayr, Produktmanagement Bautechnik bei Murexin, sieht vor allem den Zeitdruck dafür verantwortlich. „Wir beobachten immer wieder, dass die Verarbeiter oft nicht ausreichend Zeit haben, sich mit dem Material vertraut zu machen.“ Unterlagen zur korrekten Anwendung seien einfach zu bekommen, aber es mangle an der Zeit zur Informationsbeschaffung. Der hohe Zeitdruck ist jedoch nicht nur bei der fehlenden Information zu spüren. Gerade bei bauchemischen Produkten spielen die raumklimatischen Rahmenbedingungen eine große Rolle. Sollten diese nicht den Vorgaben entsprechen, muss manchmal dennoch gearbeitet werden. „Das Zeitfenster, in dem zum Beispiel Beschichtungen eingebaut werden müssen, ist oft sehr schmal. Wenn dann Umstände eintreffen, die einer ordentlichen Verarbeitung widersprechen, muss aus Sicht der Verarbeiter trotzdem gearbeitet werden“, so Wolfgang Kohler, Produktingenieur bei Sika.
Der Teufel steckt hier oft im Detail. „Zum Beispiel glauben viele, dass Sonneneinstrahlung im Hochsommer rasches Durchtrocknen fördert, wobei die schnelle Hautbildung genau das Gegenteil bewirkt“, weist Panholzer von AvenariusAgro auf eine potenzielle Fehlerquelle hin.
Profis bevorzugt
Dass im Zuge eines Bauvorhabens immer wieder Fehler auftreten können, gehört für Gunther Sames, Geschäftsführer von Ardex Österreich, zum Alltag. „Allerdings müssen Verarbeitungsfehler nicht zwingend zu einem Baumangel führen“, betont er. Als eines der Hauptthemen für Schäden am Bau sieht man bei Ardex weniger die Einzelgewerke, sondern viel mehr die Schnittstellenproblematik. Oftmals werde bei der Planung zu wenig Augenmerk darauf gelegt. „An dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass die Anforderungen hinsichtlich wärme- oder schalltechnischer Maßnahmen an das Gebäude stetig steigen und aus unserer Sicht daraus auch ein größeres Schadenspotenzial abzuleiten ist. Oftmals muss auch der Planer oder Ausführer feststellen, dass Detaillösungen nicht immer allen Normanforderungen entsprechend ausgeführt werden können“, so der Ardex-Geschäftsführer.
Einfach einkomponentig
Um zumindest mögliche Fehler beim Anmischen des bauchemischen Produkts zu vermeiden, setzen die Hersteller verstärkt auf einkomponentige Produkte. So geschehen auch bei Murexin. „Aktuell sind wir auf unsere einkomponentige, bitumenfreie Bauwerksabdichtung Maximo 1 K BF stolz. Sie wird verarbeitungsfertig angeteigt im Gebinde angeboten – Mischfehler entfallen somit komplett. Außerdem ist sie um rund 50 Prozent ergiebiger als beispielsweise die langjährig verwendeten Bitumenprodukte. In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass mit der Maximo 1K BF nur drei anstatt sechs Kilogramm pro Quadratmeter appliziert werden. Hier ergibt sich neben dem ökologischen Vorzug auch ein logistischer Vorteil, denn der Verarbeiter kauft weniger Material und transportiert auch weniger zur Baustelle,“ erklärt Produktmanager Peter Mayr.
Auch bei Sika liegt der Fokus klar auf der einfachen Verarbeitung der Produkte. „Je einfacher ein Produkt anzuwenden ist, desto geringer ist die Fehleranfälligkeit“, betont Sika-Produktingenieur Wolfgang Kohlert. Neben einkomponentigen Produkten werden die Bauprodukte in Bezug auf höhere Toleranzen hinsichtlich Temperatur und Luftfeuchtigkeit sowie längere Offen- und Verarbeitungszeiten trotz schnellerer Aushärtung optimiert. So zum Beispiel der Industrieestrich SikaScreed HardTop-60, der durch ein sehr langes Zeitfenster zum Glätten punktet. Der verlegte Estrich kann auch sofort nach dem Glätten grundiert werden, wodurch sich der Verarbeiter weitere Arbeitsschritte wie zum Beispiel das Aufbringen eines Verdunstungsschutzes und in weiterer Folge eines nochmaligen Strahlens für die Nachfolgebeschichtung erspart.
AvenariusAgro baut vor allem bei kunststoffmodifizieren Bitumenspachtelmassen hohe Toleranzen ein, „um der Realität gerecht zu werden“, wie es Geschäftsführer Wolfgang Panholzer ausdrückt. Die Realität sei nämlich, dass immer mehr Arbeiten durch „Semiprofis“ am Bau verrichtet werden.
Arbeit im System
Neben einfacheren Produkten verfolgt der deutsche Bauchemiehersteller Kiesel noch einen weiteren Ansatz. „Grundsätzlich empfehlen wir zudem das Arbeiten im System: Es ist für den Verarbeiter vorteilhaft, wenn der Belagsaufbau aus einer Hand kommt. So ist auch die gezielte Beratung durch den Hersteller gewährleistet“, erklärt Roland Tschigg von Kiesel Bauchemie. Er fügt hinzu: „Unser Ziel ist es zudem, den Verarbeitern ein Verlegesystem zu liefern, das nicht nur technisch in jeder Komponente höchsten Ansprüchen genügt, sondern auch gut zu verarbeiten ist und smarte Lösungen für Herausforderungen auf der Baustelle bietet.“ Eine dieser smarten Lösungen ist die sperrende Dispersionsgrundierung Okatmos DSG.
Damit sollen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, denn das Produkt ist Grundierung und Absperrung in einem. „Gerade bei der Verlegung von großformatigen Fliesen, die noch immer im Trend liegen, schützt Okatmos DSG zudem den Calciumsulfatestrich vor eindringender Feuchtigkeit. Durch den Einsatz dieser universellen, wasserbasierten Sperrgrundierung wird die Verwendung von wasserfreien Reaktionsharzgrundierungen in bestimmten Fällen überflüssig – ein klarer Vorteil für den Verarbeiter“, so Tschigg.
Zurück auf die Schulungsbank
Um die fachgerechte Anwendung ihrer Produkte zu gewährleisten, bieten mittlerweile alle Bauchemiehersteller Produktschulungen und Anwendungsseminare an. „Für eine sichere Anwendung eines bauchemischen Produktes auf der Baustelle ist nicht nur eine optimale, perfekte Produktqualität vonnöten, ganz wichtig ist es hier, entsprechende Produkt- und Informationsveranstaltungen für das Gewerbe anzubieten“, so Ardex-Geschäftsführer Sames. „Jährlich besuchen weit mehr als 3.000 Personen derartige Schulungen bei uns im Haus, um ihr eigenes Know-how auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen.“ Auch bei den Kunden von AvenariusAgro kommt das Schulungsangebot gut an. Für 2018 sind die Seminare bereits ausgebucht.
Bei Murexin ortet man verstärkt einen Trend zu individuellen Baustelleneinweisungen: „Immer mehr Verarbeiter treten mit der Bitte nach Zusatzschulungsterminen und mit dem Wunsch nach Baustelleneinweisungen an uns heran. Gerade diese Kommunikation erachten wir als sehr wertvoll für unsere Produktentwicklung, denn wir sind stets am Puls der Zeit, welche Anforderungen an Produkte es von den Anwendern gibt“, so Peter Mayr von Murexin.
Schulungen bringen allen etwas
Mapei-Geschäftsführer Andreas Wolf kann diesen Trend ebenfalls bestätigen. „Wir bieten über das Jahr verteilt Schulungsblöcke zu den unterschiedlichsten Themen an. Interessant ist jedoch, dass die Individualschulungen an den Standorten der Kunden immer beliebter werden.“ 2017 konnte sogar ein neuer Rekord verzeichnet werden, während die mehrtätigen Schulungsblöcke etwas weniger nachgefragt wurden. Insgesamt sieht Wolf Schulungen als Win-win-Situation für beide Seiten: „Für uns ist Qualität ein wichtiger Faktor, und je besser unsere Kunden auf die Produkte geschult sind, umso qualitativ hochwertiger ist die Verarbeitung. Nur dann sind sowohl unsere Kunden als auch Endkunden zufrieden.“
„How to ...“ – Youtube als Schulungsalternative?
Aber wie können sich Verarbeiter weiterbilden, deren Chefs keine Zeit oder kein Geld in Schulungen investieren können oder wollen? Um ihre Reichweite zu erhöhen und Verarbeitungstipps noch leichter zugänglich zu machen, nutzen immer mehr Hersteller das Internet und soziale Medien. Mapei tut es, AvenariusAgro auch, Murexin schon lange, und auch so gut wie alle anderen bauchemischen Hersteller sind bereits auf den Zug aufgesprungen. Die Rede ist von einem unternehmenseigenen Youtube-Channel, auf dem Verarbeitungs- und How-to-Videos ins Netz gestellt werden.
Dennoch, die direkte Beratung und Schulung will damit keiner der Hersteller ersetzt sehen. „Verarbeitungsvideos sind sicherlich eine sinnvolle Ergänzung, aber keine Alternative. Learning by doing ist und bleibt die wichtigste Schulung am Bau“, so AvenariusAgro-Geschäftsführer Panholzer. Auch Roland Tschigg von Kiesel sieht darin eher eine gute Ergänzung: „Interessierte können auf Youtube und Facebook eine Reihe von Anwendungsvideos über unsere Produkte finden. Wir sehen dies als Dienstleistung für Verarbeiter, die sich schnell und effizient informieren wollen. Eine technische Schulung können diese Anwendervideos jedoch nicht ersetzen.“ Vor allem die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen und selbst etwas praktisch auszuprobieren, sei wichtig und fehle, so Kohlert von Sika.
Gunter Sames von Ardex bringt es abschließend auf den Punkt: „Um Verarbeitungsfehler zu vermeiden, ist es unbedingt notwendig, sich einen Überblick über die gesamte Baustellensituation, den konkreten Anwendungsbereich und die Verarbeitungsbedingungen zu schaffen. Je besser sich hier der Verarbeiter damit auseinandersetzt, umso weniger Fehler werden auftreten. Im digitalen Zeitalter sind jedoch Produktschulungen nicht mehr zu 100 Prozent an Ort und Stelle gebunden, diese können auch über digitale Medien theoretisch bis in den eigenen Betrieb oder das private Wohnzimmer hineinreichen. Diese Option bildet eine perfekte Ergänzung zum bisher klassischen Schulungsmodus.“