Durchatmen

Expo
15.05.2015

Nur noch wenige Tage sind es bis zur diesjährigen Weltausstellung in Mailand. Im Österreich-Pavillon herrscht derzeit noch rege Betriebsamkeit vor dem großen Eröffnungsevent am 1. Mai. Auf das Expo-Motto „Feeding the Planet, Energy for Life“ reagiert das Planerteam nicht mit einem Pavillon im klassischen Sinn, sondern rückt mit einem umrahmten Wald die Bedeutung von Luft und Atem in den Mittelpunkt. 

Rund 140 Länder und Organisationen nehmen an der diesjährigen Expo vom 1. Mai bis zum 31. Oktober in Mailand teil. Knapp 20 Millionen Besucher erwarten die Organisatoren in den kommenden sechs Monaten. Der österreichische Beitrag gehört in diesem Jahr sicher zu den auffälligsten, denn auf dem Bauplatz wurde seit vergangenem Jahr nicht nur ein Ausstellungsgebäude errichtet, sondern auch gleich ein ganzer Wald gepflanzt. Die komplette Ausstellungsfläche von 560 Quadratmetern im Inneren des Pavillons ist dicht mit Bäumen aus heimischen Wäldern bestückt. Mit dem unkonventionellen Baukörper soll die Beziehung zwischen urbanem Leben und Natur in den Mittelpunkt gerückt und erlebbar gemacht werden. „Mit seinem Konzept hat Österreich das Motto konsequent und hervorragend umgesetzt. Mit dem Wald als zentralem und originellem Kernstück beweist das Land sein traditionell stark verankertes Umweltbewusstsein“, zeigte sich Stefano Gatti, Direktor für internationale Angelegenheiten der ECPO Milano, schon beim Spatenstich im vergangenen Jahr von dem Entwurf beeindruckt.  

„Atmen Sie Österreich“

„Die Waldkulisse ist ein ebenso mutiges wie stimmiges Konzept, um die traditionell guten Beziehungen zu unserem Nachbarland Italien zu vertiefen. Naturnahe Wälder und die Reinheit der Luft sind zwei besondere Qualitäten Österreichs, und Holz ist ein wichtiges Exportgut nach Italien“, erläutert Regierungskommissär Josef Pröll.
„breathe.austria“ lautet der vielversprechende Name des österreichischen Beitrags. Dem Projekt ging ein EU-weiter Gestaltungswettbewerb voraus. Insgesamt 450 interessierte Planungsbüros forderten die Ausschreibungsunterlagen an, und 56 Kreativteams reichten letztendlich auch ein. team.breathe (respira.austria) von Professor Klaus Loenhart konnte sich im abschließenden Juryvoting gegenüber seinen Mitstreitern durchsetzen. Dem interdisziplinären Projektteam gehören zudem auch Vertreter der Technischen Universität Graz und der Universität für Bodenkultur in Wien an. Schwerpunkt ihrer Forschung ist der ökologische, energetische und gesellschaftliche Wandel der Umwelt. Das Pavillon-Konzept von team.breathe rückt Luft ins Zentrum. „Wir nützen das Identifikations­potenzial der hohen Luft- und Lebensqualität in Österreich und thematisieren die natürliche wie technische Kompetenz unseres Landes. Nach dem Motto ‚Energy for Life‘ realisieren wir einen Pavillon zum Durchatmen – mit dem gefühlten Klima eines dichten Waldes“, erklärt Klaus Loenhart, Projektarchitekt und Leiter des Instituts für Architektur und Landschaft an der Technischen Universität Graz. 

Der Innen- wird zum Außenraum 

„Mit jedem Atemzug verbinden wir uns mit unserer Umwelt. Unser Konzept für den Österreich-Pavillon fokussiert auf Luft als das Lebensmittel Nummer eins. Pflanzen haben dabei einen zentralen Effekt für unser Klima, daher bilden sie auch den Mittelpunkt unseres Pavillons“, so Loenhart weiter. Mittelpunkt ist in diesem Zusammenhang wörtlich zu nehmen, denn im Zentrum hinter der rundum geschlossenen Fassade liegt der große atriumartige Innenhof. Seit vergangenem Jahr konnte man hier dem Pavillon im wahrsten Sinne des Wortes beim Wachsen zusehen. Neben den 54 bis zu zwölf Meter hohen Bäumen wurden auch 12.000 Forst- und Kleingehölze gepflanzt, die nun rechtzeitig vor Beginn der Expo zum Austreiben und zu Blühen beginnen. 
Diesen Wald umrahmt der Vorarlberger Holzbauspezialist Kaufmann Bausysteme an drei Seiten mit einer vorgefertigten Konstruktion aus Holz. Die hintere Schmalseite des rund 2.000 Quadratmeter großen Grundstücks schließt ein massiv errichteter Servicebereich ab. Hier sind auf drei Etagen sowohl Gastronomiebetriebe und Servicestellen untergebracht wie auch die gesamte Gebäudetechnik, Lagerräume und Sanitäreinheiten. Im obersten Geschoß befinden sich das Büro, ein Besprechungsraum sowie eine VIP-Lounge mit angeschlossener Bar. 
Der gesamte Wald ist wie mit einem Laubengang in Holzbauweise eingefasst. Parallel mit der Pflanzung der Bäume und Kleingehölze wuchs auch schrittweise die Gebäudhülle nach vorn zum Eingang hin. Dafür wurden in den vergangenen Wochen rund 180 Laufmeter Holzwände montiert sowie parallel dazu auch der gesamte Innenausbau realisiert. Als Material für die Hülle kam Brettsperrholz zum Einsatz. Durch den Aufbau aus mehreren kreuzweise verleimten Schichten ist es extrem formstabil. Der große Vorteil für ein temporäres Gebäude dieser Art ist allerdings, dass es nicht nur rasch aufgebaut, sondern ebenso schnell wieder rückgebaut, wiederverwertet oder recycelt werden kann. Knapp zwei Monate nach dem Baustart im Dezember des vergangenen Jahres konnte mit dem Abschluss der Rohbauarbeiten die Dachgleiche gefeiert werden. 
Dem unkonventionellen Gebäude entsprechend war auch die Zusammensetzung des Baustellenteams außergewöhnlich. Zehn Gärtner und Landschaftsbauer waren beziehungsweise sind mit der Bepflanzung und Pflege beschäftigt. Ihnen gegenüber stehen acht Bauarbeiter für die Errichtung der Fundamente und der massiven Bauteile. Für die Einfassung des Waldes kamen noch acht Holzbauspezialisten dazu, und je sechs Personen waren mit der Installation der Lüftung und Sanitäranlagen, der Elektrik und dem trockenen Innenausbau betraut. 

Luftkraftwerk

Höchster Punkt des österreichischen Pavillons ist eine knapp zwölf Meter hohe Hainbuche, die nicht nur das sechs Meter hohe Gebäude deutlich überragt, sondern auch alle benachbarten Gebäude. Gemeinsam mit den anderen Bäumen wird der österreichische Beitrag mit seiner besonderen Baumwipfel-Skyline herausstechen. 
Statt sich Schaubilder oder Multimedia-Präsentationen anzusehen, werden die Besucher des österreichischen Länderpavillons auf eine Entdeckungsreise für alle Sinne geschickt und dabei einen Ort der spontanen Erholung abseits des geschäftigen Treibens der Expo finden. „Unser Wald im Pavillon dient einerseits als Klimaraum und beeinflusst das Mikroklima im Pavillon merklich, auf der anderen Seite ist er aber auch Wahrnehmungsraum, ein lebendiger Ort, an dem frischer Sauerstoff, sprich Luft aus Österreich, produziert wird“, berichtet Loenhart. 
Die Vegetation des Waldstücks besitzt eine gesamte Blattoberfläche von zirka 43.000 Quadratmetern und erzeugt damit in der Stunde mehr als 62 Kilogramm reinen Sauerstoff. Was in etwa dem stündlichen Bedarf von 1.800 Menschen entspricht. Das heißt, der Pavillon versorgt nicht nur die Besucher mit frischem Sauerstoff, sondern gibt über seine offene Konstruktion den Überschuss an die Umgebung ab.
Auch die gesamte Energie, die der Pavillon benötigt, wird direkt vor Ort produziert. Für die Energiegewinnung werden neuartige lichtdurchlässige Solarpaneele, sogenannte Grätzel-Zellen, eingesetzt. „Die Farbstoff-Solarzelle ist eine weltweit neuartige Glastechnologie. Basierend auf dem Prinzip der Photosynthese wird dabei Licht in elektrische Energie umgewandelt“, erklärt Mario J. Müller, Vorstand des Forschungszentrums Fibag und Leiter Technik, Forschung und Entwicklung beim steirischen Technologieunternehmen SFL, das für die Photovoltaikfassade verantwortlich zeichnet. 
Als Ort der Ruhe und Entspannung will der österreichische Pavillon auf der Expo dienen. Die Transpiration der Pflanzen hat dabei einen kühlenden Effekt und sorgt gemeinsam mit der Verschattung durch die Bäume für ein angenehmes Mikroklima, das sich deutlich von der Luft und dem Klima in Mailand abheben und damit erleb- und wahrnehmbar wird.  

Branchen
Dach + Wand