Historische Kutschen: Von Leiterwägen und Prunkkarossen
„Unsere Kutschen und Schlitten erzählen Geschichten aus einer Zeit, in der die Geschwindigkeit noch nicht das Maß aller Dinge darstellte und Nachhaltigkeit selbstverständlich war“, sagt Hannes Gruber. Der gelernte Tischler widmet sich seit Kurzem mit seiner ganzen Energie dem Betrieb des Museums in Großraming, im oberösterreichischen Ennstal an der Eisenstraße in der Nationalparkregion Kalkalpen gelegen.
So wird heute in der 1958 von Vater Franz Gruber gegründeten Tischlerei, die Sohn Hannes im Jahr 2000 übernahm, nur noch restauriert. Zu Spitzenzeiten hatte der auf Möbelbau spezialisierte Familienbetrieb über zehn Mitarbeiter. Die überbordende Bürokratie und die sich ändernden Kundenbedürfnisse gaben schließlich den Ausschlag, dass sich der 49-Jährige heute mit seiner ganzen Energie dem Museum verschrieben hat. Die Zufriedenheit mit dieser Entscheidung und die Fähigkeit, Entwicklungen der Gegenwart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, sind bei einer Führung durch das größte private Kutschenmuseum Österreichs auch deutlich spürbar.
Respekt vor dem Handwerk
Was als private Sammelleidenschaft Franz Grubers Anfang der 1960er-Jahre begann, führte vor dreißig Jahren zur Gründung des Museums. Ins Rollen kam die Sache, als sich die Familie ein Pferd und eine erste Kutsche anschaffte. Durch die Beschäftigung mit dem Thema fiel dem Tischler auf, wie viele alte Gespanne in diesen Umbruchzeiten weggeworfen wurden. So wurde der Wunsch, diese – aus handwerklicher und kulturgeschichtlicher Sicht – alten Schätze für die nächsten Generationen zu erhalten, zum Steckenpferd des Vaters, das auch der Sohn zu seiner Leidenschaft machte.
Als das Museum 1986 eröffnet wurde, hatten die Grubers 45 Schlitten und Kutschen im Bestand. Aktuell zählt die Sammlung über 120 Fahrzeuge, vornehmlich aus dem 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. 70 davon sind permanent ausgestellt. Zahlreiches Zubehör wie Beschirrungen, Sättel, Schlittengeläute und Laternen wird ebenso präsentiert wie das alte Handwerkszeug von Wagner und Sattler. Obwohl der Platz schon wirklich knapp wird, würde der Museumsbetreiber zu einer weiteren Rarität „sicher nicht Nein sagen“.
Ein bunter Querschnitt
„Eine Führung dauert gut eineinhalb Stunden, das passt genau. Mehr würde die Besucher überfordern“, erklärt Hannes Gruber. Wie lange auch immer er dauert – der Rundgang fühlt sich an wie eine kleine Zeitreise, und die allesamt fahrtauglichen Exponate bieten einen bunten Querschnitt all dessen, „was vor dem Auto auf den Straßen unterwegs war“. Das Angebot reicht vom schweren, bäuerlichen Arbeitsfahrzeug über verschiedene Bürgerwägen bis zum vornehmen Landauer des Adels. Elegante Jagdgespanne sind ebenso zu besichtigen wie simple Leiterwägen, Feuerwehr-, Brauerei-, Post-, Bäcker- und auch Leichenwägen. Das Herzstück der Sammlung ist eine Prunkkarosse aus dem Jahr 1790, die den oberösterreichischen Diözesanbischöfen als Galawagen diente. Das älteste Exponat – ein eleganter, einspänniger Damenschlitten – wurde um 1680 produziert.
Bauer, Bürger, Edelmann
„Die Kutsche war früher quasi die fahrende Visitenkarte: Man erkannte sofort, wer einem entgegenkam“, erzählt Hannes Gruber. Ausstattung und Anspannung zeigten, ob die Eigentümer der bäuerlichen, der bürgerlichen oder der adeligen Schicht entstammten. So durften Bauern und Bürger laut Gesetz maximal mit zwei eingespannten Pferden auf öffentlichen Straßen unterwegs sein. Der Kaiser hingegen fuhr acht-spännig, die Kaiserin und die Thronfolger sechsspännig, alles was adelig war vier-spännig. Vorfahrt hatte jene Kutsche, die die meisten Pferde eingespannt hatte. Und selbst im Tod blieb der Unterschied bestehen, denn auch die Leichenwägen waren entweder groß und prunkvoll oder in bescheideneren Ausführungen.
Die Geheimnisse der alten Meister
Neben dem geschichtlichen Aspekt fasziniert das handwerkliche Können, von dem die Stücke zeugen. Die für den Kutschenbau relevanten Gewerke Wagner, Sattler und Schmied gehören heute zu den aussterbenden Berufen. In vergangenen Zeiten waren sie allerdings der Garant für die Mobilität aller Bevölkerungsschichten. Auch Linierer für die feinen Malerarbeiten und Posamentenmacher – für kunstvolle Besatzteile zuständig – waren im Wagenbau gefragt.
An den ausgestellten Originalen sieht man die Spuren der Handarbeit, jedoch können selbst Experten deren Entstehung oft nicht mehr nachvollziehen. Gruber: „Die alten Meister haben ihr Wissen früher nur mündlich überliefert und somit ihr Kapital geschützt. Durch die fehlende Dokumentation ist allerdings vieles in Vergessenheit geraten.“
Gut erhaltene Originale
Am meisten freuen sich die Grubers über gut erhaltene Originalstücke. Nicht, weil sie die aufwendigen Restaurierungsarbeiten scheuen, sondern weil sie eben Zeitzeugen und keine Nachbauten ausstellen wollen. Sind die Stück doch zu stark beschädigt – „Ruinen“, wie Hannes Gruber sie nennt –, werden diese so originalgetreu wie möglich und ausschließlich von Hand restauriert. „Ich möchte die Dinge bewusst so wie früher machen.“ Das bedeutet Pinsel statt Spritzpistole, händisches statt maschinelles Schleifen. Sind wirklich einmal Teile wie Türen oder Bänke nachzubauen, macht der Tischler das selbst. Ist ein Rad über die Jahre morsch geworden, holt er sich allerdings Hilfe beim Wagner, den es als einzigen „weit und breit“ noch im Nachbardorf Weyer gibt.
Die konstruktiven Bauteile der Kutschen und Schlitten sind allesamt aus Eschenholz gefertigt, da dieses besonders hart und gleichzeitig elastisch ist. Dekorative Elemente, Füllungen u. Ä. sind mit Vorliebe in Nussholz ausgeführt. Die meisten der Wägen sind deckend lackiert. Dadurch konnte man auch „schlechteres Material“, also solches mit Rissen und starken Verästelungen, verwenden. Naturholzwägen sind eher selten zu finden.
Das Museum als Kulturzentrum
„Durch das Museum ergeben sich oft nicht alltägliche Situationen und ich komme mit vielen verschiedenen Menschen in Berührung. Das macht mir besonderen Spaß“, erzählt Hannes Gruber weiter. Seine Kutschen und Schlitten reisen z. B. zu Landesausstellungen – wie heuer zu jener ins Pferdezentrum Stadl-Paura zum Thema „Mensch und Pferd“ – und sie spielten im TV wie in der in Großraming gedrehten Serie „Die Landärztin“ oder in Paulus Mankers Theaterproduktion „Alma – A Show Biz ans Ende“ mit.
Zudem wird das Museum als vielseitiges Kulturzentrum genützt. Im Hof spielt die Bühne Großraming – mit Hannes Gruber als Teil des Schauspielerensembles – im Sommer Theater. Im Stadl finden Konzerte des international renommierten Kalkalpen Kammermusik Festivals statt. Auch ein Adventmarkt und viele andere Events finden hier einen stimmungsvollen Rahmen. Und ein nächstes Projekt ist auch schon in Planung: Das Verfassen eines Buches über die Entstehung des Museums und die Geschichte der Exponate. Denn „es gibt einfach so viel zu erzählen“.
www.johannesgruber.com