Kunst am Bau
Mode zwischen zwei Glasscheiben
"Kunst am Bau" hat bei öffentlichen Auftraggebern in Deutschland eine lange Tradition. Sie sollte sich unter anderem mit dem Ort sowie der Bauaufgabe auseinandersetzen und kann dem Objekt ein zusätzliches Profil verleihen. Im besten Fall sorgt sie für gute Akzeptanz und Identifikation mit dem Gebäude. Ein gelungenes Beispiel für ein gutes Zusammenwirken von Architektur und Kunst zeigt die Grundschule Hermine-von-Parish in München. Deren Bauherr ist die Landeshauptstadt München, Referat für Bildung und Sport, umgesetzt wurde sie vom Baureferat.
Neues Stadtquartier
Die Schule gehört zum Zentrum eines Quartiers, das aktuell auf einer ehemaligen Bahn- und Gewerbefläche entsteht. In ihm sollen zukünftig etwa 5.500 Menschen wohnen, ungefähr 800 arbeiten und circa 700 in die sechszügige Grundschule gehen. Diese umfasst neben dem Schulgebäude eine Dreifachsporthalle, ein Hausmeistergebäude und eine Tiefgarage. Geplant wurde das Objekt von dem Münchner Büro Schwinde Architekten, das sich unter anderem auf den Bau von Bildungseinrichtungen spezialisiert hat. "Natürlich konnten wir bei diesem Bauvorhaben unsere Erfahrung im Schulbau einbringen und so das Münchner Lernhauskonzept sehr gut umsetzen", sagt Christina Wechsler, die leitende Architektin des Projekts.
Münchner Lernhauskonzept
Dieses Konzept berücksichtigt die besonderen räumlichen, pädagogischen und personalorganisatorischen Anforderungen von Schulen. Hierfür fasst es mehrere Jahrgangsstufen zu einem "Lernhaus" zusammen. Dieses besteht aus Klassenräumen, die sich in Richtung eines zentralen Mehrzweckbereichs orientieren – und zum Teil auch öffnen lassen. Dadurch ergibt sich eine flexible Raumnutzung. Die Lerneinheiten sind jeweils an einem großen Innenhof positioniert. Ziel ist es, den Bedürfnissen der Schüler bestmöglich gerecht zu werden. Bei der Grundschule Hermine-von-Parish bedeutet dies, dass ein "Lernhaus" vier Klassen, zwei Ganztagsbereiche und zwei Inklusionsräume umfasst. Zusätzlich werden die sechs Lernhäuser im Erdgeschoss mit drei Fachklassenräumen und einem Musikraum ergänzt. Um diese, inklusive der Nebenräume, in dem Gebäude unterzubringen, sind knapp 9.000 m² Platz erforderlich.
Zwischen zwei Glasscheiben
Die Lernhäuser und Fachklassen verteilen sich auf vier Stockwerke, die über ein zentrales Treppenhaus mit Atrium erschlossen werden. In diesem zieht vor allem das Werk des Künstlers Christian Falsnaes die Blicke auf sich: Eine große Glasfläche aus einzelnen Elementen, die sich über die gesamte Höhe des Treppenhauses erstrecken. Sie sind Absturzsicherung und Kunst am Bau in einem.
Der Farbverlauf aus roten, orangen, gelben, violetten, grünen und blauen Feldern wird durch bunte Kinderkleidung gebildet, die zwischen zwei Glasscheiben einlaminiert wurde. Realisiert wurde das Kunstwerk in Kooperation mit Glas Marte. Eine der Dienstleistungen des Bregenzer Unternehmens besteht darin, Materialien zwischen zwei Glasscheiben einzulaminieren. Für dieses Verfahren eignet sich beinahe jedes erdenkliche Objekt, wie zum Beispiel Draht, Stickereien, Papier und vieles mehr. Um alle Komponenten dauerhaft miteinander zu verbinden, werden elastische, reißfeste Folien verwendet. Für den Verbund können sämtliche Glasarten genutzt werden.
Kontrapunkt gegen Fast Fashion
Bei der Münchner Grundschule kommen pro Etage immer drei 3,75 m x 4,50 m große Glasflächen mit einem Gewicht von 340 kg pro Scheibe zum Einsatz. Für eine optimale Glaslagerung der Absturzsicherung sorgt die Vorfertigung im Glas Marte Werk: Dort wurden Glas und Profil dauerhaft miteinander verbunden, sodass die Glasmodule auf der Baustelle nur noch in die Unterkonstruktion eingehängt werden mussten. Das Ergebnis ist eine flächenbündige Ganzglasansicht der Kunstinstallation sowie der direkt anschließenden Glasgeländer, welche den Bodenaufbau abdeckt und auch keine Unterkonstruktionsprofile erkennen lässt.
Die Kleidung ist abgelegte Ware, die dem aktuellen Modetrend entspricht und dem ähnelt, was die Schüler der Grundschule derzeit selbst tragen. Durch das "Hinterglasbringen" konserviert der Künstler sie. Damit setzt er einen Kontrapunkt gegen den Trend der Fast Fashion (billige, moderne Kleidung, die schnell entsorgt wird). Betrachtet man T-Shirt, Hose und Co. als symbolische Stellvertreter der Schüler*innen, kann man an ihnen auch soziale Funktionen ablesen. Denn die Textilien markieren – sowohl gewollt als auch ungewollt – die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen, gesellschaftlichen Schichten, kulturellen Gemeinschaften und Geschlechterrollen. Dementsprechend sind die einlaminierten Kleidungsstücke nicht nur eine optisch ansprechende Bereicherung der Schule, sie regen auch zu unterschiedlichen Interpretationen an.
(bt)
Autorin: Claudia El Ahwany