Juristische Wortspielerei

Haarspaltereien mit Folgen

Vergaberecht
16.05.2023

Juristische Fachbegriffe sind kompliziert, doch oft nicht ohne Grund. Schließlich gilt es, Missverständnisse zu vermeiden.

Teilweise hat das seinen guten Grund, weil schon die Umstände des (wirtschaftlichen) Lebens, die juristisch zu ordnen sind, kompliziert sind. Es ist meistens wichtig, den richtigen Begriff zu verwenden, damit man Missverständnisse vermeidet (das ist auch bei technischen ­Fachbegriffen so; es ist ja nicht egal, ob man "Ortbeton" oder "Fertigbeton" sagt).
Manchmal sind Juristen aber in ihre eigene Sprache so verliebt (oder verpeilt), dass etwas übers Ziel geschossen wird.
In einem Fall, in dem auf den präzisen Wortlaut zu viel Wert gelegt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH – Entscheidung vom 1.3.2022, E 1531/2021) reparierend eingegriffen. Zwar hat das dem Bieter nicht mehr viel genützt, weil das Vergabeverfahren inzwischen wohl schon beendet war, aber vielleicht hilft es anderen Unternehmern in der Zukunft.

Der Ausgangsfall

Ein Auftraggeber schrieb eine Rahmenvereinbarung aus. Er versandte an die Bieter die Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll.
Diese Entscheidung gleicht der sogenannten "Zuschlagsentscheidung": Der Auftraggeber hat den Namen des erfolgreichen Bieters sowie "die Gründe der Nichtberücksichtigung sowie die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes" (also die Bewertung anhand der Zuschlagskriterien) mitzuteilen. Er muss dann die Stillhaltefrist abwarten, bevor er das Vergabeverfahren abschließen darf.

Der Unterschied liegt aber darin, dass es bei einer Rahmenvereinbarung nicht "Zuschlagsentscheidung" heißt, sondern "Entscheidung, mit welchem Unternehmer bzw. mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll"; denn es wird ja danach kein "Zuschlag" (im Sinne des Abschlusses eines Leistungsvertrags) erteilt, sondern eben eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen (ein Leistungsvertrag wird erst dann abgeschlossen, wenn nachfolgend ein Abruf aus dieser Rahmenvereinbarung erfolgt).

Ein Bieter bekämpfte nun diese Entscheidung beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG), nannte sie aber im Antrag irrtümlich "Zuschlagsentscheidung". Aus dem Antrag (in dem auch das richtige Datum der angefochtenen Entscheidung angeführt war) und den Unterlagen aus dem Vergabeverfahren ging eindeutig hervor, welche Entscheidung bekämpft wurde.
Das BVwG wies den Antrag ohne inhaltliche Behandlung zurück, denn: Die existente Entscheidung (dass eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll) wäre nicht angefochten worden, die angefochtene Entscheidung (Zuschlagsentscheidung) gab es nicht. Begründet wurde das vom BVwG weiters damit, dass im Antrag zwanzigmal das Wort "Zuschlagsentscheidung" vorkam (was aber logisch ist: Wenn man sich rechtsirrtümlich einmal im Wort vergreift, in der Annahme, man hätte das richtige Wort benützt, ist davon auszugehen, dass sich dieses Versehen fortsetzt), daher könne man den Willen des Antragstellers nicht umdeuten.
Der Antragsteller wandte sich dagegen mit einer Grundrechtsbeschwerde (Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter) an den VfGH.

Die Entscheidung

Der VfGH gab der Beschwerde statt und hob den Beschluss des BVwG auf. Das BVwG habe die Rechtslage grob verkannt und zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Der Antragsteller, so meinte der VfGH, habe klar bezeichnet, welche Entscheidung angefochten werde. Die Annahme des BVwG, dass sich der Antrag gegen eine nicht existente Zuschlagsentscheidung richte und nicht gegen die Entscheidung, dass eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, sei denkunmöglich.

Der Praxistipp

Die Entscheidung des VfGH ist freilich zu begrüßen. Dennoch sollte man bei der Wortwahl gerade in vergaberechtlichen Anträgen möglichst genau sein, denn erstens besteht das Risiko, dass sich nicht jede Vergabekontrollbehörde diese VfGH-Entscheidung künftig zu Herzen nimmt, und zweitens muss die ­Sache nicht immer so klar sein, dass tatsächlich ins­gesamt deutlich hervorkommt, was man wirklich gemeint hat.

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