Brennpunkt

Ins Netz gegangen

Onlinehandel
20.06.2022

In Zeiten von schnell verfügbaren Waren setzt sich auch das Handwerk mit den Möglichkeiten rund um Online-Shops und Co auseinander. Aber welches Potenzial birgt ein Shop im Netz wirklich?
Balcosy: Holzbalkone, die für Frischluft sorgen

Konsument*innen von heute sind nicht nur sehr gut informiert, sie kaufen auch deutlich mehr im Internet. Aber könnte das, was für den klassischen Möbelhandel seit Jahren zum "Daily Business“ gehört, auch eine Chance für traditionelle Handwerksbetriebe darstellen? Und wenn ja: Wo liegen die Grenzen und Möglichkeiten des Vertriebs von Tisch, Sessel und Co im Netz? Einer, der sich im Rahmen der pandemiebedingten Schließungen damit auseinandergesetzt hat, ist Michael Pecherstorfer von der gleichnamigen Tischlerei im oberösterreichischen Eferding. "Während des ersten Lockdowns haben wir uns gefragt, wie wir unsere Kunden auch abseits des Schauraums erreichen und zusätzlich Umsatz generieren könnten. Da kam die Idee auf, einen Teil unseres Sortiments auch online zu verkaufen“, erzählt er. Neben dem Schauraum in Eferding soll der Onlineshop zusätzlich eine Möglichkeit bieten, Produkte sichtbar zu machen. "Schließlich können wir auch in unserem großzügigen Schauraum nicht unser gesamtes Portfolio herzeigen – online bieten wir alles, was man zur Wohnraumgestaltung braucht“, so Pecherstorfer weiter. Die Umsetzung hat der technisch versierte Sohn Jakob übernommen, ganz generell rät der Unternehmer aber allen Betrieben, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, einen Profi ins Boot zu holen. Darüber hinaus werden Digitalisierungsmaßnahmen auch vonseiten der Wirtschaftskammer unterstützt.

Michael Pecherstorfer, Tischlerei Anreitner

Wir sehen den Online-Shop als Möglichkeit, zusätzliche Zielgruppen zu erreichen und ein Zusatzangebot für unsere Kunden zu bieten.

Michael Pecherstorfer

Realistischer Blick

Ob man sich durch die Implementierung der Online-Einkaufsmöglichkeit das große Geschäft erwarten sollte? Hier hat der Geschäftsführer des gemeinsam mit der 2018 übernommenen Tischlerei Arnreiter insgesamt 40 Frau-und-Mann starken Betriebs einen recht realistischen Blick auf die derzeitige Entwicklung: "Wir sehen den Online-Shop als Möglichkeit, zusätzliche Zielgruppen zu erreichen und ein Zusatzangebot für unsere Kunden zu bieten. Die Erwartungen an den Shop als wirklich tragenden Umsatzbringer hatten wir allerdings nicht.“ Das liegt auch daran, dass neben der technischen Umsetzung die Betreuung sehr ressourcenintensiv ist. "Die große Herausforderung ist, den Shop zu betreuen – wirklich funktionieren kann das nur, wenn alle Online-Kanäle des Unternehmens, wie Website und Social Media, miteinbezogen werden“, so Michael Pecherstorfer weiter. Und damit werden auch die Möglichkeiten für die Zukunft sichtbar: Gerade junge Käufer*innen könnten in den kommenden Jahren durch eine Erweiterung der Kaufmöglichkeiten im Netz erreicht werden. Als mögliche Vision sieht Pecherstorfer eventuell die Chance, online über Konfiguratoren neue Zielgruppen zu erreichen, die so auch am Bildschirm die Möglichkeit haben, ihre eigenen Möbel mitzugestalten. Und auch wenn der komplette Kaufprozess nicht mit einem Klick machbar ist, öffnet ein Konfigurator neue Türen, um mit dem Betrieb in Kontakt zu kommen und zu bleiben.

Holzbalkon zum Ausklappen.

Frischluft zum Ausklappen

Apropos Kontakt: Durch die hohe handwerkliche Expertise ist die Tischlerei Pecherstorfer auch Kooperationspartner für ein recht innovatives Produkt: Für das ebenfalls in Oberösterreich ansässige Unternehmen Balcosy fertigt der Traditionsbetrieb nämlich Holzbalkone, die sogar in der kleinsten Wohnung für Frischluftgefühl sorgen. "Balcosy ist ein gutes Beispiel für ein regio­nales Produkt, das vornehmlich über das Internet vertrieben wird“, so Pecherstorfer. "Und wir freuen uns sehr, bei der Entwicklung im Boot zu sein.“ Freuen tut das auch Balcosy-Gründer Florian Holzmayer, der im ersten Lockdown die Idee für den klappbaren Balkon entwickelt hat. Eigentlich wollte der gebürtige Salzburger, der mittlerweile in Oberösterreich sein Unternehmen Flowfactory betreibt, Studenten mehr Zugang zur Sonne ermöglichen. "Als ich im ersten Lockdown am Fensterbrett gesessen bin, ist mir die Idee zu Balcosy gekommen“, erzählt er.

Florian Holzmayer

Aus einem Holzbrett und einer Absturzsicherung bastelte er den ersten Prototypen – mittlerweile ist die Idee so gut angekommen, dass das Produkt nicht nur im Rahmen der Fernsehshow "2 Minuten, 2 Millionen“, sondern auch von vielen Kunden regen Zuspruch erhielt. Der Bedarf spricht dafür: "Alleine in Wien haben 44 Prozent der Haushalte keinen Zugang zum Freien, nachträgliche Balkonanbringungen sind enorm kosten- und genehmigungsintensiv und lassen sich oft gar nicht umsetzen“, so Holzmayer. "Dafür ist Balcosy die perfekte Lösung.“ Und als gelernten Holzbauer ist für ihn klar, dass nur ein Werkstoff infrage kommt – nämlich Holz.

Vermittlungsarbeit

Von Beginn an war klar: Der klappbare Holzbalkon wird über den Onlinevertrieb an sonnenhungrige Konsumenten verkauft. Zum einen, um das Produkt skalieren zu können, und zum anderen, um eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen. Und auch Holzmayer hat gelernt: Um mit einem Onlineshop reüssieren zu können, muss man allerhand beachten. "Natürlich ist es für uns etwas einfacher als für einen Tischlereibetrieb, weil wir im Endeffekt nur ein Produkt in zwei Varianten vertreiben“, erzählt er. "Gleichzeitig geht es aber um etwas, das man noch nicht kennt, da muss man eventuell auftretende Unsicherheiten vonseiten der Konsumenten abfangen.“ Die Haptik eines Produkts lässt sich in einem Onlineshop schließlich schwerer oder kaum vermitteln. Deshalb ist Holzmayer derweil zusätzlich direkt bei den Kunden unterwegs: „Wir haben einen Bestellservice, der gerade von der älteren Zielgruppe stark genützt wird – und hier zeigt sich, dass es am Anfang wichtig ist, vor Ort zu sein.“ Aber auch online ließe sich viel vermitteln, dafür braucht es aber ausgiebige Kommunikation über Social Media. "Über Facebook und Instagram können wir die Geschichte von Balcosy anders erzählen, direkter und vor allem unterschiedliche Beispiele vom Aufbau zeigen und direkt mit dem (potenziellen) Kunden in Resonanz gehen. Diese Art der Interaktion schafft eine Vertrauensbasis.“ Auch die wesentlichen Vorzüge von Balcosy, nämlich die nachhaltige und regio­nale Produktion, lässt sich auf den Plattformen gut vermitteln. Sein Rat an Unternehmen, die einen Online-Shop gründen wollen? "In jedem Fall die Unterstützung vonseiten der WKO in Anspruch nehmen – hier wird nicht nur Expertise geboten, zusätzlich gibt es auch Förderungen, die die Implementierung erleichtern.“ Ob es sich aus seiner Sicht für Tischlereibetriebe lohnt, in einen Shop zu investieren? "Bei standardisierten Produkten kann ich mir das schon gut vorstellen, bei planungsintensiven Angeboten wird es eher schwierig sein.“ Außerdem sei die Kaufoption übers Netz schlicht und einfach nicht für jede Zielgruppe geeignet. "Für kleinere Betriebe lohnt es sich hingegen, in einen ordentlichen Auftritt im Netz zu investieren. Eine gute Website bringt enorm viel Resonanz – und hier gilt ganz oft: Weniger ist mehr“.

Alleine in Wien haben 44 Prozent der Haushalte keinen Zugang zum Freien. Dafür ist Balcosy die perfekte Lösung.

Florian Holzmayer

Tradition in Serie

Elisabeth Priesching

Ein Unternehmen, das schon in der dritten Generation als Handwerksprofi unterwegs ist, ist die Tischlerei Priesching im nieder­österreichischen Prinzersdorf. Begonnen hat die Geschichte mit der Serienfertigung für Polstergestelle, über die Jahre hat sich die Tischlerei zum Zulieferbetrieb gemausert, bis man schließlich auch für den stationären Handel produziert hat. Und auch hier war es der Lockdown, der in der Familie Priesching ganz neue Pläne entstehen ließ: "Wir wollten unsere Marke weiterentwickeln und unsere gesamte Wertschöpfungskette zeigen – vom Baumstamm bis zum fertigen Möbel“, so Elisabeth Priesching. "Und: Wir wollten wieder zurück zu den Wurzeln und unser Handwerk direkt an den Kunden vermitteln.“ 2020 war damit die Geburtsstunde von Flussdorf Möbel. Tische, Stühle, Bänke, Betten und Regale werden in der eigenen Produktionsstätte mit Fokus auf traditionelle Handarbeit und regionale Produkte hergestellt. "Dabei war für uns klar: Wir wagen den Sprung ins digitale Zeitalter und gründen einen Onlineshop – auch, um uns vom Handel unabhängiger zu machen und zusätzliche Kundenschichten zu erreichen.“ Dabei setzt die Unternehmerfamilie auf ein sogenanntes Multichannel-Konzept: Durch die Kombination aus Onlineshop und Schauraum soll das Online-Einkaufserlebnis mit dem des persönlichen Kontakts und der Beratungskompetenz vor Ort verbunden werden.

Der Auftritt muss unbedingt authentisch sein, denn der Online-Kunde ist sehr kritisch.

Elisabeth Priesching, Flussdorf Möbel

Zielgruppen erweitern

Der Schauraum ist derzeit in Fertigstellung, der Online-Shop läuft schon. Was man aus Sicht der Unternehmerin unbedingt beachten muss? "Der Online-Kunde ist top informiert und weiß, was er will. Und: Er will schnell eine Antwort – sei es per E-Mail oder Online-Kontaktformular. Hier braucht es definitiv genügend Ressourcen, damit man das abfangen kann.“ Gerade das seien auch die Herausforderungen, die ein Online-Shop mit sich bringt: Sowohl zeitlich, personell als auch finanziell muss man tief in den Ressourcentopf greifen. Der Vorteil: Man erreicht eine deutlich breitere Kundenschicht. Unterstützt wurde der Betrieb übrigens auch vonseiten der WKO, die über die Fachgruppe E-Commerce wichtigen Input geliefert hat und bei Förderungskonzepten unterstützt hat. Zusätzlich hat man sich eine Werbeagentur ins Boot geholt, die den Auftritt im Web umsetzte. Produziert wird nach Bestelleingang, derzeit ist das Online-Geschäft im Anlaufen. Elisabeth Prieschings Rat an andere Tischlereibetriebe? "Zuallererst ist die Frage wichtig: Brauche ich wirklich einen Online-Shop? Oder sind die Ressourcen besser aufgehoben, wenn ich in eine gute Website investiere? Wenn ich nur ein Produkt online verkaufen will, kann ich auch andere Plattformen nutzen, die den rechtlichen Rahmen dafür schon bieten – ohne große Investitionskosten“, so Priesching. Darüber hinaus sei ein wirklich gut überlegtes und ausgereiftes Konzept die Basis. Auch Geduld müsse man mitbringen: "Nur weil online alles sehr schnelllebig ist, heißt das nicht, dass ich schnell gefunden werde.“ Und neben dem zeitlichen Rahmen, den es für ein solches Projekt braucht, ist für Priesching eines besonders wichtig: "Der Auftritt muss unbedingt authentisch sein, denn der Online-Kunde ist sehr kritisch.“ Authentizität und Glaubwürdigkeit sind gerade in traditionellen Handwerksbetrieben wesentliche Werte – vielleicht finden genau diese in Zukunft vermehrt den Weg ins Web, wer weiß? (yr)

Digital-Förderung für KMU

Ab sofort ist es für KMU wieder möglich, geförderte Beratungen von zertifizierten Expertinnen und Experten in den Themengebieten Geschäftsmodelle & Prozesse (inkl. Ressourcenoptimierung), E-Commerce & Online-Marketing, IT- & Cybersecurity und digitale Verwaltung sowie eine Umsetzungsförderung zu erhalten.

Status- und Potenzialanalysen werden zu 80 Prozent (max. 400 Euro) gefördert. Für umfassendere Strategieberatungen gibt es einen Zuschuss von 50 Prozent (max. 1.000 Euro). Insgesamt können mehrere Beratungen bis zu zusammen 3.000 Euro gefördert werden. Bei der Umsetzungsförderung werden Investitionen in Digitalisierungsprojekte im Ausmaß von 3.000 bis 30.000 Euro mit bis zu 30 Prozent (max. 6.000 Euro) gefördert.

Mehr Informationen:
www.kmudigital.at

Branchen
Tischlerei