125-Jahr-Jubiläum
Herz-Chef Gerhard Glinzerer im Interview
Es gibt wohl nur ganz wenige Menschen in Europas Haustechnikbranche, die Gerhard Glinzerer nicht kennen. Denn dieser stets geerdet wirkende Inhaber einer global agierenden Unternehmensgruppe ist auch heute noch bei nahezu allen zentralen SHK-Veranstaltungen persönlich vor Ort.
Aber jetzt kommt der Widerspruch: Trotz dieses intensiven Schulter-an-Schulter-Kontaktes zur Branche kennen nur ganz wenige Menschen die Person Gerhard Glinzerer. Denn dieser Industriekapitän, dessen Unternehmen kürzlich von einem heimischen Wirtschaftsmagazin unter die Top-1.000-Unternehmen des Landes gereiht wurde, diskutiert zwar liebend gern über die Vorteile seiner jeweiligen Produktneuheiten, aber Fragen über ihn persönlich oder Details zu seinem Unternehmenscluster, die über die offiziellen Fakten hinausgehen, weicht er konsequent aus.
Für einen Journalisten ist es daher ein Glücksfall, wenn derartige Persönlichkeiten mit ihren Unternehmen Firmenjubiläen begehen. Denn bei solchen Anlässen öffnen sich ab und zu Gelegenheitstüren, die sonst fest verschlossen bleiben.
Im Fall von Herz, das in diesem Jahr sein 125-Jahr-Jubiläum begeht, öffnete sich eine derartige Tür in Form eines gemeinsamen Frühstücks, zu dem mich Gerhard Glinzerer unerwartet Ende Jänner eingeladen hat. Zum Frühstück wohlgemerkt und nicht zum Interview – dieses entwickelte sich erst ganz spontan im Rahmen unseres zweistündigen Gesprächs
Das Gespräch hat in seiner Unternehmenszentrale in der Wiener Richard-Strauss-Straße stattgefunden und war von Beginn an unerwartet offen. Für das persönliche Setting sorgte dabei eine gemütliche Bauernstube, die sich der Firmenchef im Keller einrichten ließ – ausgestattet mit unzähligen Originalartefakten aus vergangenen Zeiten, die in beeindruckender Weise eine Reise durch die Zeit ermöglichen. Eine Reise, die im obersteirischen Graßnitz beginnt, wo Gerhard Glinzerer als Arbeiterkind die Gegend rund um Aflenz erkundete. Es sind seine Wurzeln, die dem Herz-Eigentümer bis heute sehr wichtig sind, wie er im Gespräch betont.
Herr Glinzerer, wie muss ein Lebenslauf aufgebaut sein, um von einer kleinen steirischen Marktgemeinde aus die globale Haustechnikwelt erobern zu können?
Dr. Gerhard Glinzerer: Ich habe in Graz Betriebswirtschaftslehre und Jus studiert und wollte ursprünglich in Richtung Wirtschaftsprüfung gehen. Dafür hätte sich eine von mir anvisierte Assistentenstelle an der Uni als Basis gut geeignet. Hinderlich war allerdings meine Tätigkeit in der Hochschülerschaft und als Obmann einer Studentenpartei. Nicht jeder Ordinarius hat Meinungsverschiedenheiten mit der OH sportlich genommen, sondern dies als Affront betrachtet. Und eine Art fünfter Kolonne im Institut wollte man schon gar nicht. Es folgte die Übersiedlung nach Wien, wo ich bei einer Vorläuferorganisation von EY, Ernst & Young, als Revisionsassistent anheuerte. Letztlich war diese eher archäologische Tätigkeit nicht das Meine, und kurz darauf bin ich bei der Familie Kahane gelandet, die mit ihrer Montana-Gruppe damals zu Österreichs führenden Unternehmen zählte. Dort wurde ich nach einigen wenigen Zwischenstationen recht schnell zum Finanzvorstand bestellt. Meine internationale Ausrichtung stammt sicherlich aus dieser hochinteressanten und lehrreichen Zeit im Konzern der Montana AG. Nach sieben Jahren ergab sich die Möglichkeit, selbst Unternehmer zu werden, gemeinsam mit einem Kollegen, der auch entsprechende Branchenerfahrung einbrachte. Die Gelegenheit hieß Herz Armaturen.
Was bewegt einen Menschen, der bereits in jungen Jahren auf eine derartige Karriere zurückblicken kann, alles Erreichte zurückzulassen, um Unternehmer zu werden? Sind sie ein Abenteurer?
Aus heutiger Sicht war dieser Firmenkauf ziemlich verrückt. Wenn man wenig zu verlieren hat, ist man wahrscheinlich auch risikobereiter. Zudem war die Braut Herz schön geschmückt, und die Leichen im Keller waren gut vergraben. Mein Rüstzeug war die Ausbildung, die mir meine Eltern ermöglicht hatten, was für die damalige Zeit übrigens gar nicht so selbstverständlich war, sowie ihre stets vorbehaltlose mentale Unterstützung.
Wie ist es dann zum eigentlichen Firmenkauf gekommen?
Thomas Smolka, der damalige Inhaber von Herz, war ein kulturell sehr interessierter Mensch und auch für viele andere Bereiche offen. Ich würde ihn aber nicht als Liebhaber von Messing, Metallspänen oder Kühlemulsionen bezeichnen. Die Zeit seiner Eigentümerschaft war demnach auch schwierig für Herz. Zudem lebte er im Ausland und war selten in Österreich. Das alles hatte natürlich Auswirkungen auf die Substanz des Unternehmens, für das er mehrere Jahre erfolglos einen Käufer suchte. In welch desolatem Zustand Herz damals war, beweist ein kolportiertes Zitat unter den damaligen Marktbegleitern: „Für Herz braucht man keine Sterbehilfe leisten, dieses Problem erledigt sich von selbst“. Mein Partner Maximilian Gessler und ich waren wohl damals unter den wenigen Menschen, die das Potenzial der Marke Herz als wertvoll und zukunftsträchtig einschätzten. Vielleicht waren wir auch ein Stück weit zu optimistisch. Denn die Zeit direkt nach der Übernahme war extrem fordernd. Es galt, das Unternehmen von Grund auf – bis hin zum veralteten Maschinenpark – neu zu strukturieren und aufzubauen. Und dies mit einem kaum nennenswerten Budget. Das war wohl auch mit einer der Gründe, warum Maximilian nach wenigen Jahren seine Anteile verkaufte. Seither führe ich als Eigentümer das Unternehmen allein.
Was war damals der zentrale Anreiz für den Kauf?
Mein Übernahme-Kompagnon war aufgrund seiner ausgeprägten familiären Haustechnikaffinität fest davon überzeugt, dass er in der Lage sei, den Verkauf der Herz-Produkte massiv steigern zu können. Auch seiner Schlussfolgerung konnte ich folgen, dass Heizungen bzw. entsprechende Regelungen immer gebraucht würden. Meine ursprüngliche Aufgabe sollte damals lediglich darin bestehen, die Produktion so weit auf Vordermann zu bringen, dass die Wünsche der Kunden einigermaßen befriedigt werden konnten. Unser Mantra war dabei stets, dass zwei jungen topmotivierten Menschen einfach alles gelingt, wenn sie nur nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Zudem darf nicht vergessen werden, dass das 1896 gegründete Unternehmen Herz trotz aller Widrigkeiten in der heimischen Haustechnikbranche einen sehr guten Ruf genoss. Schließlich vertrauten bereits Generationen von Installateuren auf die Zuverlässigkeit von Herz-Produkten.
Wie konnten Sie die dafür erforderliche Finanzierung aufbringen?
Das war Ende der 80er-Jahre recht einfach, da der Firmenkauf zur Hochphase des Management-Buy-in bzw. -Buy-out erfolgte. Dadurch ließ es sich mit ganz wenig Eigenkapital realisieren. Außerdem hatte ich in den Jahren zuvor einiges erspart. Der weitaus größte Teil, also rund 90 Prozent des Kaufpreises, wurde von der Zentralsparkasse finanziert – faktisch ohne relevante Sicherheit, da diese ja aus den verpfändeten Herz-Anteilen bestand. Ein derartiges Vorgehen ist aus heutiger Sicht absolut undenkbar. Mein Vorteil war vielleicht, dass ich aus meiner Zeit als Finanzvorstand der Montana die involvierten Bankenvorstände recht gut kannte und dadurch wohl einen gewissen Vertrauensvorschuss genießen durfte.
Unser Riesenglück war, dass sich damals die Oststaaten gerade im Umbruch befanden. Diese einmalige Gelegenheit haben wir nicht verstreichen lassen.
Trotz der allgemeinen Wirtschaftsaufbruchszeit der späten 1980er-Jahre sind nicht alle Geschäftsmodelle aufgegangen. Warum hat es bei Ihnen geklappt?
Unser Riesenglück war, dass damals gerade das Sowjetsystem zusammengebrochen ist. Die Oststaaten befanden sich im Umbruch. Diese einmalige Gelegenheit haben wir nicht verstreichen lassen. Geld hatten wir zwar keines, dafür aber viel Ehrgeiz. Die erste Tochtergesellschaft außerhalb Österreichs wurde 1990 in Polen gegründet – also bereits kurz nach der Herz-Übernahme, mit einem Geschäftsführer, einer Sekretärin, einem alten Auto und einem Lager. In derselben Form folgte die Tschechoslowakei und danach das jeweils nächste Land auf unserer abgesteckten Landkarte. Heute sind wir mit Tochtergesellschaften – bis auf Weißrussland – nahezu flächendeckend in Osteuropa an führender Position aktiv. Diese Expansionsrichtung war im Übrigen damals die für uns einzig mögliche. Denn dass wir es mit unseren beschränkten finanziellen Mitteln in den Westen geschafft hätten, wo wir mit mächtigen Marktbegleitern wie etwa Heimeier, Oventrop oder Danfoss konfrontiert gewesen wären, kann ich ausschließen. Heute verfügen wir über ein Netzwerk an Tochtergesellschaften von Lettland bis Bulgarien und von Großbritannien bis ins sibirische Krasnojarsk, das übrigens gerade jetzt in der Corona-Krise sehr hilfreich ist. Denn wir beschäftigen jeweils ortsansässige Mitarbeiter, wodurch wir trotz der bekannten Restriktionen im Geschäftsverlauf nie beschränkt waren. Aktuell besteht die Unternehmensgruppe aus rund 3.500 Mitarbeitern, davon allein 800 in Österreich. Beliefert werden die Märkte aus unseren in ganz Europa verteilten Werken. Ostasien und Australien wird von Wien bzw. über einen Zwischenstopp von den Emiraten aus beliefert.
Wie oft sind Sie persönlich in den von Ihnen bearbeiteten Märkten unterwegs?
In den letzten Jahren wahrscheinlich weniger, als viele vermuten würden. Denn ich habe das Glück, von sehr vielen extrem engagierten Mitarbeitern unterstützt zu werden. In der Anfangszeit meiner Selbstständigkeit gab es natürlich immer wieder auch Perioden, an denen ich pro Woche in drei verschiedenen Ländern unterwegs sein musste. Abgesehen vom letzten Jahr, wo ich fast gar nicht fort war, bin ich in der Regel rund die Hälfte des Jahres nicht in Österreich.
Sie geben ein enorm hohes Expansionstempo für Ihre Gruppe vor. Dafür mutet die Unternehmenszentrale hier in der Wiener Richard-Strauss-Straße jedoch recht überschaubar an.
Das stimmt. Wir platzen hier bereits aus allen Nähten. Daher haben wir für die dringend benötigte Erweiterung die Überbauung unseres Parkplatzes vorgesehen. Pro Geschoß können wir ungefähr 600 m2 Bruttofläche errichten, was bei den geplanten vier zusätzlichen Büroebenen genügend Platz verspricht. Zudem werden zwei neue Parkdecks zur Verfügung stehen. Sobald die dafür erforderlichen Genehmigungen der Stadt Wien eintreffen, legen wir los. Wir rechnen mit dem Baubeginn in der zweiten Jahreshälfte.
Aus heutiger Sicht war dieser Firmenkauf ziemlich verrückt. Wenn man wenig zu verlieren hat, ist man wahrscheinlich auch risikobereiter. Zudem war die Braut Herz schön geschmückt, und die Leichen im Keller waren gut vergraben.
Wenn es die Zeit erlaubt, tauscht Gerhard Glinzerer das Abenteuer Wirtschaft immer wieder auch mal gegen das Abenteuer Berg.
FACTBOX
1896 wurde der Grundstein der heutigen Herz Armaturen GmbH durch die Gründung der Armaturenfabrik Gebauer & Lehrner gelegt, in der neben Armaturen für Heizsysteme und den Sanitärbereich auch Zapfhähne hergestellt wurden. Die Herzgasse in Wien-Favoriten – erster Sitz des Unternehmens – wurde später zum Namensgeber des heute global tätigen Konzerns. Dr. Richard Lehrner musste jedoch aus wirtschaftlichen Gründen verkaufen. Eingestiegen ist damals die Wiener Familie Smolka, die für den Verkauf ihres Weltmarktführerunternehmens Tyrolia-Schibindungen 1971 an die amerikanische AMF wohl genügend Geld in ihrer Akquisekasse gehabt haben dürfte. Mangels Interesses verkaufte Thomas Smolka 1989 das durch die Jahre sanierungsreif gewordene Unternehmen an Dr. Gerhard Glinzerer, der diese Marke zu einem globalen Marktleader aufbauen konnte.
Heute setzt die Firmengruppe mit rund 3.500 Mitarbeitern und 40 Produktionsstandorten im In- und Ausland rund
500 Millionen Euro um. Die bekannten weißen Heizkörper-Regler mit dem Herz im Logo sind jedoch in der Zwischenzeit nur noch ein ganz kleiner Teilbereich des Umsatzes. Dieser setzt sich zusammen aus der Herstellung und dem weltweiten Verkauf von Armaturen, Fittingen, Regelungen und Thermostatventilen für die Hausinstallation im Bereich Heizung, Kühlung, Sanitär und Gasinstallationen. Darüber hinaus ist Herz auch einer der führenden Produzenten von Biomassekesseln sowie von Wärmepumpen. Mit einer der jüngsten Akquisitionen, der Hirsch Servo AG, produziert die Gruppe zudem Dämmstoffe aus expandiertem Polystyrol, Polypropylen und Polyethylen.